sich in den Körper hineinleben

Gewalttrauma und Körperarbeit- das ist für uns und andere Betroffene eine der größten Herausforderungen und gleichzeitg eine der größten Chancen auf dem (Über-)Lebensweg.

Wir haben in den letzten Jahrzehnten in Therapien viel geredet, diskutiert, enttabuisiert, gefragt, beantwortet, geschwiegen, widersprochen- und vergleichsweise wenig mit dem Körper erlebt und gefühlt. Das lag zum Einen daran, dass Therapeut*innen (bei Bekanntwerden der DIS) meistens keine körperfokussierte Arbeit (mehr) angeboten haben und sich auch davor scheuten, das „heiße Eisen Körper“ mit uns in An.Griff zu nehmen und zum Anderen an unserer eigenen Abwehr und Panik.

Glücklicherweise erlebten wir aber auch Mutiges und Verbindendes mit einzelnen Helfer*innen, die sich mit uns trauten und ausprobierten, was mit dem Körper gehen kann und darf. Diese Zusammenarbeit führte zu den wichtigsten, weitreichendsten und nachhaltigsten Entwicklungen und Fortschritten, die wir bisher auf unserem „Traumaheilungskonto“ verbuchen konnten.

Körperarbeit ist für uns jedoch kein (ausschließlicher) Psychotherapiebestandteil, sondern „passiert“ (vor allem) in unserem Alltag. Wir möchten uns nicht mit dem Traumafolgeerleben des „lebenslänglichen Fremd.Körpers“ arrangieren müssen, sondern wollen „in uns Zuhause sein können“ – und zwar vollumfänglich. Eine Dissoziative Identitätsstruktur befindet sich nicht nur im Kopf, in der Psyche- sie hat auch eine Körperebene. Das bedeutet, dass Psychotherapie nicht ausreicht, wenn man dabei den Körper vergisst- oder wenn er im Alltag quasi nur „dissoziierter Mitläufer“ ist. Die Auseinandersetzung mit einer DIS nimmt (teilweise) so viel Lebens.Raum ein; man ist vollzeitbeschäftigt damit, sich irgendwie zusammenzuhalten, einen Überblick zu bekommen, Innenkommunikation zu versuchen, sich (basal) zu versorgen und zu sichern, sich zu verstehen und zu begreifen- manchmal fühlt es sich so an, als sei man nur noch „Kopf“.

Der Körper braucht (auch!) Raum, Zeit, Platz, Aufmerksamkeit, Anerkennung, Fürsorge. Das ist so logisch und gleichzeitig so schwer und so problematisch. Wenn man hinschaut, hinfühlt- dann kann es weh tun. Dann kann etwas gebraucht werden, was man nicht geben kann, darf oder will. Dann werden Beeinträchtigungen sichtbar oder auch Trümmerfelder. Dann ergibt sich Baustelle um Baustelle um Baustelle. Wenn man in Kontakt mit dem Körper geht, kommt man in Kontakt mit der erlebten Gewalt und den Eindrücken und Gefühlen, die der Kopf nicht (mehr) weiß. Dazu braucht´s keine hochqualifizierte, megaintensive Therapiesession- da kann auch ein simpler Spaziergang, ein kurzes Bad oder eine Umarmung reichen und *zack* bist du in connection…

Alltagserfahrungen mit dem Körper- welche Herausforderungen und Chancen! Wir möchten Betroffene und Unterstützende so gerne ermutigen und bestärken, sich dahin zu wagen, in eigenem Tempo, auf eigene Weise(n), mit eigener Kreativität- und wir denken, dass wir das am besten können, wenn wir von eigenen Erfahrungen erzählen.

Jede*r von uns erlebt den Körper anders, wenn sie/er in ihm unterwegs ist. Manche nehmen ihn deutlicher wahr, manche kaum; manche mit Symptomen und Beschwerden; manche besonders groß/klein/dick/schief; usw. Manche erleben es wie „durch die Gegend getragen werden“, wenn der Körper läuft; manche haben große Empfindungsunterschiede in der rechten oder linken Körperhälfte, etc.

Der Körper, in dem wir alle leben, gehört niemandem von uns so ganz persönlich- niemand kann von sich sagen: „Ja, diese menschliche Hülle, das ist MEIN Körper, mit ihm identifiziere ich mich.“ Wir sind uns aber inzwischen einig geworden, dass sich das ändern darf und soll. Und dass wir dafür Kraft, Energie, Arbeit, Mut aufbringen wollen. Weil wir merken, dass sich das Leben deutlich schöner, runder, voller, bunter anfühlt, wenn wir es immer mehr mit unserem gemeinsamen Körper wahrnehmen und erfahren. Lassen wir ihn links liegen, bleibt etwas ganz Wesentliches auf der Strecke.

Wenn wir darauf schauen, wie Kinder ihren Körper entdecken und mit ihm vertraut werden, wie sie im Idealfall eine natürliche, sichere Verbindung mit ihm haben und welch selbstverständliche, spontane Bewegungsfreude sie ausdrücken können, dann wird uns klar: Wir haben Nachholbedarf.

Menschen, die uns als Kind kannten, beschreiben uns als „sehr angepasstes, ruhiges und braves Mädchen“. Wir waren weder wild, noch zappelig, noch sportbegeistert, noch albern, o.a. Wir blieben sitzen oder liegen, wenn man uns irgendwohin platzierte; hörten sofort mit unerwünschtem Verhalten auf, wenn man uns ermahnte. Diese Beschreibungen decken sich mit unseren eigenen Erinnerungen: Wir haben nicht lernen können und dürfen, uns ganz natürlich selbst zu verkörpern.

Im Hier und Jetzt merken wir deutlich, was diese Vergangenheit für Auswirkungen hat: Da gibt´s so viele Blockaden und Einschränkungen! Wir können nicht „einfach losrennen“, wir können nicht frei tanzen, hüpfen, springen; wir haben Probleme mit der Tiefenwahrnehmung und mit Geschwindigkeit: Sobald der Körper etwas „schneller als sonst“ tun soll/muss, bzw. eine Steigerung der Geschwindigkeit wahrnimmt, geraten wir in eine Überforderung. Und die kann so groß werden, dass wir einfach umkippen.

Ausgelassenheit. Heiterkeit. Albernheit. Wildheit. Lebendigkeit. Spielen. All das lernen wir neu. Weil wir es nicht verinnerlicht haben. Wir eignen uns all das neu an. Und wir spüren: Es lohnt sich!

Dieser körperliche Selbst-Erfahrungsprozess betrifft uns alle: Gesamtsystemisch und jede*n Einzelne*n von uns, in jeder Altersstufe. Spielen lernen ist nicht nur etwas für die Innenkinder, sondern ganz wesentlich wichtig ist das auch für die Jugendlichen und Erwachsenen.

Einige von uns Älteren haben in den letzten Wochen während eines körperfokussierten Kurses viele wichtige Schritte gewagt und geübt, spielerisch und ausgelassen zu sein. Dieser Kurs hatte nichts mit Therapie, Trauma oder überhaupt irgendeinem „Psychokram“ zu tun und wirkte dennoch oder gerade deshalb ausgesprochen „heilsam“. Wir haben uns zum Beispiel erstmalig bewusst zu Musik hüpfend durch eine Turnhalle forwärts bewegt. So, wie Kinder das tagtäglich auf dem Weg zur Kita, zu Hause, in der Schule und überall dort, wo sie es können und dürfen, tun. Für uns fühlte sich das wie eine Premiere an; so, als hätte unser Körper das noch nie erlebt. Dementsprechend besonders war auch die innere Bewegung und Berührung: Es war schön-schlimm. Wir hätten gleichzeitig weinen, lachen, schreien, weglaufen und fluchen können- hin und her gerissen zwischen „Ich will/kann/darf das nicht! Das ist peinlich! Das ist super! Das ist total spooky!“.

(Freies) Tanzen ist für uns eine sehr hilfreiche Möglichkeit (und Herausforderung), in Kontakt mit unserem Körper zu kommen. Wir haben im Laufe der letzten Jahre glücklicherweise verschiedene Sport- und Bewegungsarten ausprobieren und manche begeistert beibehalten können- aber mit dem Tanzen stehen wir immer noch etwas auf Kriegsfuß. Wir lassen uns aber nicht davon abhalten, weiter dran zu bleiben. Es ist okay, wenn wir dafür Zeit und Geduld brauchen und immer wieder an unsere Grenzen stoßen. Manchmal gelingt es uns, unsere „Komfortzone“ (bzw. eher „Sicherheitszone“) etwas zu erweitern und manchmal bleiben wir lieber in einem „sehr engen Rahmen“.

Der Körper hat gelernt, sich zu beschränken. Nicht zu expandieren und zu fordern. Wir helfen ihm heute dabei, sich zu dehen und zu strecken. An manchen Stellen braucht er besonderen Halt und Stütze. An manchen Stellen braucht er auch besondere Kraft, an anderen will er weicher sein. Es gibt Bewegungen, die ihm ganz fremd sind- die bisher gar nicht zu seinem natürlichen Repertoire gehörten. Wir gestatten ihm, sich darin auszuprobieren und zu erweitern- und wir erlauben uns insgesamt, dass uns das (erst mal) Angst macht und auch Trauer auslöst. Oder dass es „erstaunlich toll“ ist.

Wir sind unserem Körper (mittlerweile) so dankbar dafür, dass er uns trägt, belebt, aushält – dass er uns überhaupt erst existent sein lässt!

Manchmal träumen wir von Spielplätzen für erwachsene Körper. Von Tanz-Flashmobs im Supermarkt oder sonstwo. Von spontanen, liebevollen Umarmungen freundlicher Menschen. Von Bodypainting im Sonnenschein am Meer. Von Pfützenspringen ohne Schamgefühl. Von Body Positivity, im Grundgesetz verankert. Von Verbindungen mit sich selbst, mit anderen, mit der Welt – und dann erinnern wir uns an diese verrückt-schön-schreckliche Übung aus o.g. Kurs, bei der wir uns vorstellen sollten, Sterne vom Himmel zu pflücken…

Worte am Samstag

©PaulaRabe

Es ist mir immer wieder ein Rätsel, wieso Menschen immer noch meinen, Gewalttäter*innen könnten nicht freundlich, beliebt oder herzlich sein. Könnten nicht Vereinskolleg*innen, Nachbar*innen, Elternbeiratsvorsitzende, Brüder, Schwestern, Freund*innen, Partner*innen sein.

Und es ist mir immer wieder ein Rätsel, wieso Menschen meinen, Opfer jedweder Gewaltformen müssten immer sichtbar gebrochen sein. Könnten nicht witzig, charmant, flirty, lustvoll, gemein, böse oder ehrgeizig sein. Könnten nicht beides oder alles sein.

Ich habe keine Lust und keine Energie mehr für Grundsatzdiskussionen aus dem Mittelalter. Darüber, wie was sein müsste oder gar nicht sein kann, wer vermutlich nicht schuldig oder auf der anderen Seite sehr sicher bestimmt mitverantwortlich sein wird.

Ich bin müde von dieser ewigen “Täter*in-Opfer-Umkehr“, dem “victim blaming“, dem reflexartigen Täter*in-Verteidigen und Gewalt-Verharmlosen, der never ending story des Erklärens und erst recht bin ich müde von dieser mehr oder weniger deutlich formulierten Anspruchshaltung an Betroffene, doch “Aufklärungsarbeit“ zu leisten, sich zu zeigen, zu sagen, was man wann wie (nicht) braucht, stark zu sein und tapfer und überhaupt.

Hauptsache, man kann sich erleichtert zurücklehnen und feststellen: “Puh, wie schön – war doch alles nicht so schlimm. Ist doch alles wieder gut (in meinem Weltbild).“

Es ist mir immer wieder ein Rätsel, dass Menschen meinen, Gewalt sei zu Ende, wenn sie aufgehört hat.

Zusammenarbeit und Vielfalt

Wenn Jede*r immer nur sein eigenes Süppchen kocht, schmeckt’s auf Dauer überall fad‘, finde ich.

Miteinander in Kontakt zu kommen, um gemeinsam Dinge zu verändern und Neues zu entwickeln, braucht auch Mut, Offenheit und Bewegungsbereitschaft – auf allen Seiten.

Wie spannend und bereichernd das sein kann – und wie herausfordernd.

Vielleicht ist es schön bequem und angstfreier, “unter sich“ zu bleiben, die eigene Komfortzone nicht zu verlassen und eine kleine oder auch größere Gemeinschaft zu bilden, die sich selbst hält und bestärkt.

Vielleicht verhindert das aber auch so viel?

Therapeut*innen unter sich, Jurist*innen unter sich, Betroffene unter sich, Wissenschaftler*innen unter sich – viele “Runde Tische“, die nie vollständig bunt besetzt sind. Wie schade!

Betroffene UND privat UND beruflich Unterstützende können GEMEINSAM so viel mehr auf Dauer bewegen und verbinden, als wenn sie sich (aus unterschiedlichsten Gründen) separieren.

Auf Tagungen, Podiumsdiskussionen und in Mediendarstellungen “Quotenbetroffene“ zu präsentieren, sich Inklusion auf die Fahnen/Flyer/Inhaltsangaben zu schreiben, aber letztlich doch nur “Multiwashing“ zu betreiben, ist das Gegenteil von “Zusammenarbeit“.

Auf Augenhöhe und mit Freude und guter Energie in Austausch miteinander kommen und dabei auch neugierig auf Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten sein, das ist das, was ich mir im Zusammenhang mit Vernetzung wünschen würde.

Am 2.Juni zum Beispiel und auch sonst. 🙂

Mehr als das.

Viele gute, wichtige Statements und Positionierungen sind inzwischen in Folge des “Spiegel“-Artikels (“Wahn der Therapeuten“) veröffentlicht worden.

Es wurde wiederholt betont, dass die Existenz ritueller Gewalt keine Glaubensfrage ist und die Behandlung der Folgen komplexer Gewalttraumatisierungen Professionalität und Wissenschaft bedeutet.

Es wurde deutlich, wie Psychotraumatolog*innen unter anderem durch Vertreter*innen der “False Memory“-Erzählung diffamiert werden und welche beruflichen, persönlichen und politischen Konsequenzen das haben kann.

Für Betroffene/Überlebende ist das alles ein alter Hut.

Für Betroffene/Überlebende ist ein “Spiegel“-Artikel letztlich eben auch nur ein Artikel…

Die Aufregung, die er nach sich zog (an vielen Stellen leider sehr spät und nur sehr “milde“), wirkt wie ein Strohfeuer – und was kommt dann?

Wie lange hält denn die Bereitschaft zur öffentlichen und internen Auseinandersetzung an?

Welche Veränderungen wird es denn in Zukunft vor Gerichten, bei Glaubhaftigkeitsbegutachtungen, u.a. geben?

Wer wird sich denn dafür einsetzen, dass die Standards der Aussagepsychologie/Forensik reformiert werden?

Damit Betroffene zu ihrem “Recht“ kommen können, statt retraumatisiert und alleingelassen in Straf- und OEG-Verfahren zu scheitern.

Wir werden sehen.

Vernetzung: Rückblick, Einblick, Ausblick

virtuelles Selbsthilfeforum, ca.2003:

Unsere ersten ausgestreckten Fühler zu anderen Menschen mit DIS… Wir lesen viel Ähnliches, Fremdes, Irritierendes, Verstörendes. Es gibt Support, Diskussionen und Mobbing. Wir bekommen zum ersten Mal einen Eindruck davon, wie Gewalt im Internet abläuft und welche Rolle dabei auch Neid und Missgunst spielen können. Menschen mit DIS sind nicht automatisch eine funktionierende, freundliche, solidarische Community- das erleben wir bis heute so.

Trotzdem, bzw. gleichzeitig lernten wir im Laufe der Zeit einzelne Personen etwas näher kennen und spüren auch positive, unterstützende Verbindungen mit anderen Vielen.

Wichtig war und ist: Das „sowohl…, als auch…“ im Blick zu behalten- und zu realisieren, wie kraft- und machtvoll Gewalt strukturell gefestigt und gewollt ist.

Opferentschädigungs- und Strafverfahren, irgendwann zwischen 2003 und 2013:

Wir werden mehrfach hinsichtlich unserer Aussagefähigkeit, Glaubhaftigkeit und Pathologie begutachtet. Immer wieder taucht dabei die Frage auf, ob wir Kontakt zu anderen Betroffenen haben/hatten und inwiefern wir Fach- oder Selbsthilfeliteratur gelesen haben.

Beides stellt Risiken für uns und Vorteile für die Täter*innen dar: Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Sein und Erleben, den Erinnerungen und inneren Strukturen ist zwar im „stillen Kämmerlein mit sich alleine“ nicht so dramatisch, wehe aber jenen, die damit nach außen gehen und evtl. spiegelnden Kontakt zu Anderen (sowohl Betroffenen/ Peer`s, als auch Unterstützungspersonen wie z.B. Psychotherapeut*innen) suchen- dies kann geradezu ein K.O.-Kriterium bei forensischen Begutachtungen darstellen.

Für die Beschuldigten hingegen gilt das natürlich nicht.

Wenn sie sich z.B. bei „False Memory“-Gruppierungen/Gurus beraten und anwaltlich von einschlägig bekannten Strafverteidiger*innen vertreten lassen, spricht das in Gerichtsverfahren eher für ihr großes Bemühen, ihre vermeintliche Unschuld beweisen zu lassen, als dafür, dass sie Dreck am Stecken haben. Sie können sich in Vereinen „zu Unrecht Beschuldigter“ vernetzen und solidarisieren, können sich in Medien präsentieren, laut sein, Aufstände fabrizieren, sich gegenseitig Geld „spenden“, usw. usf.- ohne negative Auswirkungen auf ihre „Glaubhaftigkeit“ aus Sicht der Justiz oder Forensik. Die „Unschuldsvermutung“ wird einseitig praktiziert. Klar…

„DIS-kurs“-Tagung, 2013:

Wir veranstalten einen „Selbsthilfekongress“ mit zwei anderen Betroffenen, zu dem ca.100 Menschen kommen. Wir erleben sehr viel konstruktiven Austausch, großes Interesse und ein tolles Zusammenwirken. Betroffene und professionell und privat Unterstützende sitzen gemeinsam an „bunten Tischen“, gestalten gemeinsam Workshops und Diskussionsrunden- auf Augenhöhe.

Es wird deutlich, wie groß der Bedarf an Vernetzung auf allen Seiten und wie groß der Wunsch nach Folgeveranstaltungen ist. Wir sind motiviert und erschlagen gleichzeitig.

Wie möchten wir in Zukunft Öffentlichkeitsarbeit machen? Was müssen wir dabei beachten? Welche Fehler wollen wir vermeiden? Wie wird DIS eigentlich in Medien dargestellt? Und wo, verflixt noch mal, bekommt man für verschiedene Projekte finanzielle Mittel her?

Öffentlichkeitsarbeit ist Arbeit! In unserem Themenbereich kann man damit leider nicht so schnell einen Blumentopf gewinnen, da geht´s um „die gute Sache“, die aber vielen Menschen doch etwas zu anstrengend ist und wenn man die Wahl hat, vielleicht sonntags abends dem Serienkiller im „Tatort“ zuzuschauen oder sich mit einer Dokumentation zu den Folgen organisierter, sexualisierter Gewalt auseinanderzusetzen, dann kann man im Grunde keinem verübeln, wenn er/sie sich einfach eine DVD vom „Traumschiff“ einlegt…

Start der Peer- und Angehörigenarbeit, 2020:

In der E-Mail-Beratung erreichen uns viele Anfragen, von Menschen mit (p)DIS, An-/Zugehörigen und professionellen Helfer*innen. Wir sind konfrontiert mit den Auswirkungen der katastrophal mangelhaften, psychotherapeutischen Versorgungslage und der fehlenden Schutzeinrichtungen; den überforderten, erschöpften, alleingelassenen Unterstützer*innen und unserer Frage: „Wo/Wie können wir uns mit Anderen zu unserer Arbeit austauschen?“.

Peerarbeit im Bereich der „Traumafolgestörungen“ scheint noch nicht besonders etabliert zu sein- wir fühlen uns „allein auf weiter Flur“, suchen nach Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten und veröffentlichen einen Aufruf zur Gründung einer „Austauschgruppe für Menschen mit DIS, die im psychosozialen Bereich arbeiten“. Die Resonanz ist toll- und bis heute hat sich daraus eine konstante, vertrauensvolle Gruppe entwickelt.

Immer wieder beschäftigt uns darin die Frage, wie viel DIS-Outing eigentlich wo gehen kann oder soll oder will- und wo und wie sichere Begegnungen mit anderen Menschen stattfinden können. Sowohl im beruflichen, als auch im privaten, als auch im „Hilfe-bedürftigen“ Kontext.

Sommer und Herbst, 2022:

Wir treffen andere Viele und Begleitende zu einem selbstorganisierten Sommerpicknick („Könntet Ihr sowas vielleicht auch in NRW/Österreich/Niedersachen etc. anbieten? Macht Ihr das nächstes Jahr wieder?“- und wir mittendrin); nehmen am Abschlusstreffen eines sich verabschiedenden „Arbeitskreises gegen rituelle Gewalt“ teil („Wie schade, dass es nicht weitergehen kann!“ -„Will vielleicht jemand in Zukunft die Organisation übernehmen?“ – „Äh, nein, das schaffe ich zeitlich/kräftemäßig nicht… So viele Überstunden und überhaupt!“- und wir mittendrin); lesen und sprechen in Köln (mit erhobenen Stinkefingern Richtung ortsansässige Täter*innen); beenden nach einem Jahr erfolglos unsere Suche nach einem ambulanten Therapieplatz für uns selbst und werden von Psychotherapeut*innen in der Emailberatung gefragt, ob wir als Urlaubsvertretung für ihre Klient*innen da sein könnten und zudem auch evtl. einen Emailverteiler zur Vernetzung anbieten würden.

Wir erkennen, wie oberwichtig plötzlich das Grenzenspüren und -setzen geworden ist. Und wie wenig Lust wir auf Alleinverantwortlichkeit, „Quotenbetroffenenrolle“ und „Weltrettung“ haben.

Anfang Mai, 2023:

Wir sitzen in einem Saal mit 200 Menschen und hören einem ärztlichen Direktor dabei zu, wie er die lange erwartete Stellungnahme der DGTD zum Spiegel-Artikel („Im Teufelskreis“, 11.03.2023) vorliest.

Dabei vermissen wir nicht nur eine Bezugnahme auf die inhaltliche Differenzierung des Begriffes „rituelle Gewalt“, sondern auch weniger Egozentrik.

Im weiteren Verlauf der Tagung mit dem Titel „Gewalt – Macht – Sinn; Trauma, Dissoziation und Spiritualität“ fällt uns an verschiedenen Stellen immer wieder ein flapsiger, süffisanter Unterton auf; wir spüren eine herablassende, zum Teil elitäre „Energie“ oder „Stimmung“ einzelner „Fachleute“ und beobachten irritierte, frustrierte und enttäuschte Reaktionen/Kommentare von anderen Teilnehmenden.

Fehlt der Bezug zur Arbeitspraxis? Die Verbindung zur Basis?

Es gibt auch in Therapeut*innen-Kreisen eine gewaltvolle Hierarchie, ein „die da oben“ (Klinikleitung, Fachärzt*innen, Psychotherapeut*innen, u.a.) und „die da unten“ (Sozialarbeiter*innen, Erzieher*innen, Seelsorge, Pädagog*innen, u.a.)!

Wie vernetzen sich eigentlich professionelle Helfer*innen untereinander?

Glücklicherweise gibt es auch diverse Lichtblicke an diesem Tagungswochenende:

(Mindestens) Zwei sich als von Gewalt komplextraumatisiert „outende“ Referent*innen zeigen sehr gut, dass „Betroffenenrolle“ und „Profirolle“ durchaus zusammen funktionieren können (und vermitteln wertvolle, arbeitspraktische, nicht „abgehobene“ Inhalte); es finden viele inspirierende, verbindende Gespräche in den Pausen und am Abend statt; es gibt eine berührende, kraftvolle Kunstausstellung einer Betroffenen; spannende, differenzierte ethische Sicht- und Denkweisen zum Thema „Schuld und Vergebung“ sind zu hören – und ein Vortrag zu spiritueller Gewalt, besonders in christlichen Zusammenhängen; gehalten in einem christlichen Akademiehaus mit Bibeln in jedem Zimmer.

Vernetzung findet (auch) im eigenen Kopf statt.

Mitte Mai, 2023:

Es trudeln die ersten Anmeldungen zum Vernetzungstreffen „Dissoziative Identitätsstruktur“ per Email ein. Die inhaltliche Gestaltung unserer Lesung steht auch fest. Wir fühlen uns einigermaßen gut vorbereitet und freuen uns schon. Die wegen Krankheit leider ausgefallene Lesung in Niedersachsen wird im November nachgeholt. Nebenbei denken wir über eine Wiederholung des Sommerpicknicks nach, über eine Art „mehrtägige, kreative Freizeit am Meer für Viele und Begleitende“, über weitere Lesungen und Gespräche anderswo in Deutschland- und darüber, ob „Vernetzung“ für Täter*innen(-Gruppierungen) eigentlich auch so viel Arbeit und Kraftaufwand bedeutet, wie für uns und andere (Betroffene)? Es scheint so, als hätten sie es leichter, sich gegenseitig zu stärken, zu erreichen, zu halten, zu supporten, als unserseins. Als hätten sie zum Einen einen längeren Atem und Arm, zum Anderen auch günstigere (Vor-)Bedingungen und „Mittel“. Und all das hätte dann nur sehr wenig mit „Verschwörungserzählungen“ oder alleiniger „Geld ist Macht“-Theorie zu tun, sondern vielmehr mit gesellschaftlichen Gegebenheiten und „Normalitäten“, die „wir alle“ mittragen und „brauchen“.

Tja.

Weltrettung ist nicht unser Ding.

Durchhaltevermögen im „Klein-Klein“ aber schon, mit möglicherweise langfristigen Auswirkungen auf´s „Große“…

Und da sind wir nicht die Einzigen.

Vernetzungstreffen DIS am 2.Juni

Vernetzung ist soooo wichtig, so wertvoll! Nicht nur in Schleswig-Holstein, aber besonders auch hier.

Wir freuen uns auf Eure Anmeldungen per Mail an: vernetzung – dis @ gmx . de (ohne Leerzeichen)

Im Anschluss an das Vernetzungstreffen veranstalten wir am gleichen Ort von 17 bis 19 Uhr wieder eine Lesung aus unserem Buch “zusammen gehalten“ mit anschließendem Gespräch (offen für alle Interessierten).

Dafür ist keine Anmeldung nötig. Der Flyer zur Lesung folgt noch.

Vielen herzlichen Dank an Anna Morgentau für die tolle Flyergestaltung zum Vernetzungstreffen! 😍

In Verbindung sein

©PaulaRabe

Heute würden wir eigentlich bei Violetta e.V. in Lüchow-Dannenberg lesen und sprechen und damit Teil einer Vernetzungsaktion sein.

Stattdessen sitzen wir aber mit Covid-19 zu Hause auf dem Sofa und blättern alleine durch unser Buch “zusammen gehalten“.

Ein Text fällt uns wieder mal ins Auge, in dem es auch um Vernetzung geht: Täter*innen und ihre Lobby tun das sehr gut und professionell, Betroffene und Unterstützende müssen sich ihre Verbindungen immer wieder konsequent erarbeiten und auch erkämpfen.

Wie toll, wenn’s gelingt; wie wichtig und wertvoll, dass es Menschen gibt, die sich engagieren und dabei auch finanziell unterstützt werden.

Wir freuen uns, wenn wir jetzt und in Zukunft dazu beitragen können, Vernetzungen auf den Weg zu bringen.

Zum Beispiel am 2.Juni in Schleswig-Holstein (Flyer folgt). ☺