Trauma und Folgen

„Ein Trauma ist ein als lebensbedrohlich wahrgenommenes Ereignis, das die eigenen Bewältigungsmöglichkeiten übersteigt und den betroffenen Menschen mit Gefühlen der Hilflosigkeit, intensiver Angst oder Entsetzen überflutet. Wenn weder Kampf noch Flucht möglich ist, also Körper und Seele sich der Situation nicht entziehen können, schaltet der menschliche Organismus auf Überlebensstrategien um. Der Mensch erstarrt (ähnlich dem Totstellreflex bei Tieren) und dissoziiert. (Vielfalt e.V.)“

„Der Begriff „Dissoziation“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „Trennung“ oder „Zerfall“. Im Bereich der klinischen Psychologie und Psychiatrie versteht man unter Dissoziation, dass normalerweise zusammengehörige Informationen, Wahrnehmungen, Gedanken etc. nicht miteinander in Verbindung gebracht werden können.

Zwei oder mehr mentale Inhalte oder Prozesse, die normalerweise miteinander in Verbindung stehen (z.B. Bilder eines Erlebnisses, dazugehörige Gefühle und im Gedächtnis gespeicherte Erfahrungen aus früheren Situationen), werden nicht miteinander in Beziehung gesetzt und dadurch nicht in Bewusstsein, Gedächtnis und/oder Selbstbild integriert. Hiervon können unterschiedliche mentale Inhalte wie z.B. Sinneseindrücke, Gedanken, Erinnerungen, Gefühle, Körperempfindungen, Handlungsimpulse oder Bewegungsabläufe betroffen sein. (Infonetz Dissoziation)“

Psychotraumatisierungen können durch ein einmaliges Erlebnis (Monotrauma, z.B. Unfall, Naturkatastrophe, Amoklauf, Verlust/Tod eines nahestehenden Menschen, lebensbedrohliche Erkrankung, Überfall, o.a.) und mehrfache Erlebnisse (Komplextrauma, z.B. Krieg, Folter, körperliche/ sexualisierte/ psychische Gewalt, Vernachlässigung in der Kindheit, u.a.) entstehen.

Wiederholte und/oder langjährige Gewalterfahrungen können verschiedene, vielfache Folgen haben: Psychisch, physisch, sozial, beruflich, finanziell, ganz persönlich individuell.

Posttraumatische Symptome:

z.B. Ängste, Panikattacken, Phobien, destruktives Selbstbild, belastende Emotionen, Flashbacks, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, sog. Hyperarousal, Depressionen, „innere Leere“, somatoforme Störungen, Kontakt-und Beziehungsstörungen, Bindungsstörungen, selbstverletzendes Verhalten (SVV), Suchtentwicklung, Essstörungen, Zwänge, psychotische Zustände, Persönlichkeitsstörungen (z.B. Borderline), dissoziative Störungen (z.B. DSNNS, DIS), u.a.

Mögliche physische Folgen (direkt und indirekt):

Verletzungen, Narben, chronische Schmerzen (z.B. Kopf- oder Bauchschmerzen), Schwindelattacken, evtl. Autoimmunerkrankungen, Magen-Darm-Symptome (Übelkeit, Erbrechen, Inkontinenz, Entzündungen, u.a.), sexuelle „Funktionsstörungen“, psychosomatische Beschwerden (Lähmungserscheinungen, dissoziative Bewegungsstörungen und/oder Krampfanfälle, u.a.) Sprach- und Sprechstörungen, Schluckstörungen, u.a.

Beruflich/finanziell/sozial:

Armut durch Erwerbsunfähigkeit oder lange Krankheitsausfälle, ggf. auch therapeutische/medizinische/soziale Unterversorgung durch Armut, evtl. Obdachlosigkeit, soziale Isolation, evtl. kein Zugang zu eigenem Geld (z.B. durch Gewalttäter*innen im persönlichen Umfeld versperrt), Schulden, finanzielle Abhängigkeiten, mangelhafter Zugang zu Bildungs- und Kulturangeboten, u.a.

Gewalttraumatisierungen (sog. „man made trauma/disaster“) können auf der körperlichen, sexualisierten, psychischen, spirituellen Ebene stattfinden. Auch organisierte, ritualisierte/rituelle Gewalt existiert:

„In organisierten und rituellen Gewaltstrukturen wird die systematische Anwendung schwerer sexualisierter Gewalt (in Verbindung mit körperlicher und psychischer Gewalt) an Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen durch die Zusammenareit mehrerer Täter*innen, bzw. Täternetzwerke ermöglicht und ist häufig verbunden mit kommerzieller sexueller Ausbeutung (Zwangsprostitution, Handel mit Kindern, Missbrauchsdarstellungen).

Dient eine Ideologie zur Begründung und Rechtfertigung der Gewalt, wird dies als rituelle Gewaltstruktur bezeichnet. In manchen Strukturen sind Familien generationsübergreifend eingebunden. Es erfolgt eine frühkindliche Bindung an Täter*innen, Gruppe und Ideologie.

Organisierte und rituelle Gewaltstrukturen können eine umfassende Kontrolle und Ausbeutung von Menschen durch Mind-Control-Methoden beinhalten. Die planmäßig wiederholte Anwendung schwerer Gewalt erzwingt spezifische Dissoziation bzw. gezielte Aufspaltung der frühkindlichen Persönlichkeit. Die entstehenden Persönlichkeitsanteile werden für bestimmte Zwecke trainiert und benutzt.“

Diese Definition stammt vom 2016 eingerichteten externen Fachkreis „Sexualisierte Gewalt in organiserten und rituellen Gewaltstrukturen“ beim Bundesfamilienministerium.

Eine „Dissoziative Identitätsstruktur/-störung“ (DIS) oder eine „Dissoziative Störung nicht näher spezifiziert“ (DSNNS, oder auch Ego-State-Disorder) können Folgen organisierter Gewalt sein, es liegt hier aber keine Kausalität vor! Die Diagnose DIS/DSNNS lässt nicht automatisch auf organisierte/rituelle Gewalterfahrungen schließen. Auch in anderen Gewaltstrukturen können Menschen eine DIS oder DSNNS als Überlebensstrategie entwickeln.

„Die „Dissoziative Identitätsstörung“ bzw. „Multiple Persönlichkeitsstörung (MPS)“ wird in den internationalen Diagnosemanualen ICD-10 (F44.81) und DSM-IV unter den Konversionsstörungen bzw. Dissoziativen Störungen aufgeführt. Bei MPS/DIS gibt es mindestens zwei, meistens mehr unterschiedliche Persönlichkeiten innerhalb eines Individuums. Jede Persönlichkeit hat ihr eigenes Gedächtnis und ihre eigenen Eigenschaften und Verhaltensweisen. Verschiedene der Persönlichkeiten übernehmen wiederholt aufgrund innerer oder äußerer Auslösereize die Kontrolle über das Verhalten der Betroffenen. Häufig wissen die Persönlichkeiten nichts voneinander. Subjektiv wird dies erlebt als nicht zu sich gehörendes Verhalten, Stimmen hören, „Zeit verlieren“, Flashbacks, Erstarren u.a. (Vielfalt e.V. )“

Menschen mit Psychotraumatisierungen und auch Angehörige (Freund*innen, Partner*innen, u.a.) brauchen „Kontaktpunkte“ innen und außen:

  • Ich habe/finde Sprache/Worte/Ausdruck. Es gibt einen Rahmen (Diagnose, Begriffe, Kontext) für das, was ich erlebe. Mein Gehirn kann denken und verarbeiten. Ich bin nicht unnormal/gestört, sondern die Umstände (die Gewalt) waren/sind es!
  • Ich bin handlungsfähig und kann entscheiden. Ich werde gehört und ernst genommen. Es geht um mich. Ich bin/denke/fühle richtig. Ich lerne, meine inneren Prozesse zu steuern (Veränderung ist möglich). Ich kann an meinem biographischen Puzzle arbeiten.
  • Ich habe das Recht auf (medizinische, soziale, therapeutische, persönliche) Hilfe. Ich darf Unterstützung suchen und auswählen. Mein Körper hat eigene Bedürfnisse (Hunger, Durst, Temperatur, Ruhe, Aktivität, u.a.). Ich darf sprechen. Ich bestimme die Richtung, das Tempo, den Zeitpunkt.
  • Ich nehme meine Grenzen wahr, drücke sie aus, verteidige sie.
  • Ich stelle einen roten Faden her zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ich verstehe Zusammenhänge. Ich mache eine Bestandsaufnahme und entwickle Perspektiven: Was ist kaputt und was ist noch heil/gesund? Was geht noch (oder wieder) und wovon muss ich mich verabschieden? (z.B. Kinderwunsch; Berufstätigkeit reduzieren oder aufgeben müssen; soziale Kontakte nicht so halten können, wie man gern würde; psychische und physische Belastungsgrenzen akzeptieren; körperliche Folgeschäden realisieren und versorgen, u.a.)
  • usw.

Trauma und dessen Folgen können ein ganzes Leben (und nachfolgende Generationen) beeinträchtigen und beeinflussen. Es ist eine gesamtgesellschaftliche und politische Verantwortung, Prävention zu betreiben und weiter zu entwickeln und Menschen mit Traumafolgestörungen so zu unterstützen und zu versorgen, wie sie es jeweils brauchen.

Die private und berufliche Begleitung gewalttraumatisierter Menschen kann verschiedene Herausforderungen mit sich bringen. Hier ist es sinn- und wertvoll, sich zu vernetzen, Fachkompetenz zu erwerben, die eigene „Psychohygiene“ im Blick zu behalten. Möglicherweise unterstützende Links sind hier zu finden.