Gewalttrauma und Körperarbeit- das ist für uns und andere Betroffene eine der größten Herausforderungen und gleichzeitg eine der größten Chancen auf dem (Über-)Lebensweg.
Wir haben in den letzten Jahrzehnten in Therapien viel geredet, diskutiert, enttabuisiert, gefragt, beantwortet, geschwiegen, widersprochen- und vergleichsweise wenig mit dem Körper erlebt und gefühlt. Das lag zum Einen daran, dass Therapeut*innen (bei Bekanntwerden der DIS) meistens keine körperfokussierte Arbeit (mehr) angeboten haben und sich auch davor scheuten, das „heiße Eisen Körper“ mit uns in An.Griff zu nehmen und zum Anderen an unserer eigenen Abwehr und Panik.
Glücklicherweise erlebten wir aber auch Mutiges und Verbindendes mit einzelnen Helfer*innen, die sich mit uns trauten und ausprobierten, was mit dem Körper gehen kann und darf. Diese Zusammenarbeit führte zu den wichtigsten, weitreichendsten und nachhaltigsten Entwicklungen und Fortschritten, die wir bisher auf unserem „Traumaheilungskonto“ verbuchen konnten.
Körperarbeit ist für uns jedoch kein (ausschließlicher) Psychotherapiebestandteil, sondern „passiert“ (vor allem) in unserem Alltag. Wir möchten uns nicht mit dem Traumafolgeerleben des „lebenslänglichen Fremd.Körpers“ arrangieren müssen, sondern wollen „in uns Zuhause sein können“ – und zwar vollumfänglich. Eine Dissoziative Identitätsstruktur befindet sich nicht nur im Kopf, in der Psyche- sie hat auch eine Körperebene. Das bedeutet, dass Psychotherapie nicht ausreicht, wenn man dabei den Körper vergisst- oder wenn er im Alltag quasi nur „dissoziierter Mitläufer“ ist. Die Auseinandersetzung mit einer DIS nimmt (teilweise) so viel Lebens.Raum ein; man ist vollzeitbeschäftigt damit, sich irgendwie zusammenzuhalten, einen Überblick zu bekommen, Innenkommunikation zu versuchen, sich (basal) zu versorgen und zu sichern, sich zu verstehen und zu begreifen- manchmal fühlt es sich so an, als sei man nur noch „Kopf“.
Der Körper braucht (auch!) Raum, Zeit, Platz, Aufmerksamkeit, Anerkennung, Fürsorge. Das ist so logisch und gleichzeitig so schwer und so problematisch. Wenn man hinschaut, hinfühlt- dann kann es weh tun. Dann kann etwas gebraucht werden, was man nicht geben kann, darf oder will. Dann werden Beeinträchtigungen sichtbar oder auch Trümmerfelder. Dann ergibt sich Baustelle um Baustelle um Baustelle. Wenn man in Kontakt mit dem Körper geht, kommt man in Kontakt mit der erlebten Gewalt und den Eindrücken und Gefühlen, die der Kopf nicht (mehr) weiß. Dazu braucht´s keine hochqualifizierte, megaintensive Therapiesession- da kann auch ein simpler Spaziergang, ein kurzes Bad oder eine Umarmung reichen und *zack* bist du in connection…
Alltagserfahrungen mit dem Körper- welche Herausforderungen und Chancen! Wir möchten Betroffene und Unterstützende so gerne ermutigen und bestärken, sich dahin zu wagen, in eigenem Tempo, auf eigene Weise(n), mit eigener Kreativität- und wir denken, dass wir das am besten können, wenn wir von eigenen Erfahrungen erzählen.
Jede*r von uns erlebt den Körper anders, wenn sie/er in ihm unterwegs ist. Manche nehmen ihn deutlicher wahr, manche kaum; manche mit Symptomen und Beschwerden; manche besonders groß/klein/dick/schief; usw. Manche erleben es wie „durch die Gegend getragen werden“, wenn der Körper läuft; manche haben große Empfindungsunterschiede in der rechten oder linken Körperhälfte, etc.
Der Körper, in dem wir alle leben, gehört niemandem von uns so ganz persönlich- niemand kann von sich sagen: „Ja, diese menschliche Hülle, das ist MEIN Körper, mit ihm identifiziere ich mich.“ Wir sind uns aber inzwischen einig geworden, dass sich das ändern darf und soll. Und dass wir dafür Kraft, Energie, Arbeit, Mut aufbringen wollen. Weil wir merken, dass sich das Leben deutlich schöner, runder, voller, bunter anfühlt, wenn wir es immer mehr mit unserem gemeinsamen Körper wahrnehmen und erfahren. Lassen wir ihn links liegen, bleibt etwas ganz Wesentliches auf der Strecke.
Wenn wir darauf schauen, wie Kinder ihren Körper entdecken und mit ihm vertraut werden, wie sie im Idealfall eine natürliche, sichere Verbindung mit ihm haben und welch selbstverständliche, spontane Bewegungsfreude sie ausdrücken können, dann wird uns klar: Wir haben Nachholbedarf.
Menschen, die uns als Kind kannten, beschreiben uns als „sehr angepasstes, ruhiges und braves Mädchen“. Wir waren weder wild, noch zappelig, noch sportbegeistert, noch albern, o.a. Wir blieben sitzen oder liegen, wenn man uns irgendwohin platzierte; hörten sofort mit unerwünschtem Verhalten auf, wenn man uns ermahnte. Diese Beschreibungen decken sich mit unseren eigenen Erinnerungen: Wir haben nicht lernen können und dürfen, uns ganz natürlich selbst zu verkörpern.
Im Hier und Jetzt merken wir deutlich, was diese Vergangenheit für Auswirkungen hat: Da gibt´s so viele Blockaden und Einschränkungen! Wir können nicht „einfach losrennen“, wir können nicht frei tanzen, hüpfen, springen; wir haben Probleme mit der Tiefenwahrnehmung und mit Geschwindigkeit: Sobald der Körper etwas „schneller als sonst“ tun soll/muss, bzw. eine Steigerung der Geschwindigkeit wahrnimmt, geraten wir in eine Überforderung. Und die kann so groß werden, dass wir einfach umkippen.
Ausgelassenheit. Heiterkeit. Albernheit. Wildheit. Lebendigkeit. Spielen. All das lernen wir neu. Weil wir es nicht verinnerlicht haben. Wir eignen uns all das neu an. Und wir spüren: Es lohnt sich!
Dieser körperliche Selbst-Erfahrungsprozess betrifft uns alle: Gesamtsystemisch und jede*n Einzelne*n von uns, in jeder Altersstufe. Spielen lernen ist nicht nur etwas für die Innenkinder, sondern ganz wesentlich wichtig ist das auch für die Jugendlichen und Erwachsenen.
Einige von uns Älteren haben in den letzten Wochen während eines körperfokussierten Kurses viele wichtige Schritte gewagt und geübt, spielerisch und ausgelassen zu sein. Dieser Kurs hatte nichts mit Therapie, Trauma oder überhaupt irgendeinem „Psychokram“ zu tun und wirkte dennoch oder gerade deshalb ausgesprochen „heilsam“. Wir haben uns zum Beispiel erstmalig bewusst zu Musik hüpfend durch eine Turnhalle forwärts bewegt. So, wie Kinder das tagtäglich auf dem Weg zur Kita, zu Hause, in der Schule und überall dort, wo sie es können und dürfen, tun. Für uns fühlte sich das wie eine Premiere an; so, als hätte unser Körper das noch nie erlebt. Dementsprechend besonders war auch die innere Bewegung und Berührung: Es war schön-schlimm. Wir hätten gleichzeitig weinen, lachen, schreien, weglaufen und fluchen können- hin und her gerissen zwischen „Ich will/kann/darf das nicht! Das ist peinlich! Das ist super! Das ist total spooky!“.
(Freies) Tanzen ist für uns eine sehr hilfreiche Möglichkeit (und Herausforderung), in Kontakt mit unserem Körper zu kommen. Wir haben im Laufe der letzten Jahre glücklicherweise verschiedene Sport- und Bewegungsarten ausprobieren und manche begeistert beibehalten können- aber mit dem Tanzen stehen wir immer noch etwas auf Kriegsfuß. Wir lassen uns aber nicht davon abhalten, weiter dran zu bleiben. Es ist okay, wenn wir dafür Zeit und Geduld brauchen und immer wieder an unsere Grenzen stoßen. Manchmal gelingt es uns, unsere „Komfortzone“ (bzw. eher „Sicherheitszone“) etwas zu erweitern und manchmal bleiben wir lieber in einem „sehr engen Rahmen“.
Der Körper hat gelernt, sich zu beschränken. Nicht zu expandieren und zu fordern. Wir helfen ihm heute dabei, sich zu dehen und zu strecken. An manchen Stellen braucht er besonderen Halt und Stütze. An manchen Stellen braucht er auch besondere Kraft, an anderen will er weicher sein. Es gibt Bewegungen, die ihm ganz fremd sind- die bisher gar nicht zu seinem natürlichen Repertoire gehörten. Wir gestatten ihm, sich darin auszuprobieren und zu erweitern- und wir erlauben uns insgesamt, dass uns das (erst mal) Angst macht und auch Trauer auslöst. Oder dass es „erstaunlich toll“ ist.
Wir sind unserem Körper (mittlerweile) so dankbar dafür, dass er uns trägt, belebt, aushält – dass er uns überhaupt erst existent sein lässt!
Manchmal träumen wir von Spielplätzen für erwachsene Körper. Von Tanz-Flashmobs im Supermarkt oder sonstwo. Von spontanen, liebevollen Umarmungen freundlicher Menschen. Von Bodypainting im Sonnenschein am Meer. Von Pfützenspringen ohne Schamgefühl. Von Body Positivity, im Grundgesetz verankert. Von Verbindungen mit sich selbst, mit anderen, mit der Welt – und dann erinnern wir uns an diese verrückt-schön-schreckliche Übung aus o.g. Kurs, bei der wir uns vorstellen sollten, Sterne vom Himmel zu pflücken…
Vielleicht wäre das was für ein Freizeittreffen – Ausflug ins Trampolinhaus? Das ist für uns ein Spielplatz, wo auch erwachsene Körper da sein können. 😊
Wir erleben auch, wie wichtig es uns ist, einen Körper zu haben und uns dem Körper anzunähern. Das ist seit Jahren unser Projekt, auch bevor wir das mit der DIS wirklich verstanden hatten. Uns mit dem Körper anfreunden.
„Manchmal träumen wir von Spielplätzen für erwachsene Körper.“
..ich kann das soo nachempfinden! in diesem Sommer bin ich auch sehr viel draußen, sehr viel Barfuß im Park mit Freund*innen. Dinge tun, die einfach Spaß machen. Dabei erlebe ich wie toll es ist sich z.B. auf eine Bewegung zu fokussieren, oder etwas Neues zu lernen und zu merken: „hey, das kann ich ja!“.
Gleichzeitig macht es auch Angst den Körper mehr zu spüren, ist es gut oder schlecht, braucht es überhaupt eine Bewertung, wenn das Herz auf einmal bis zum Hals klopft..
PS:Habt einen ganz schönen Urlaub !