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Privatangelegenheit?

Ich bin uns dankbar.

Dafür, dass an der Hoffnung (oder war es Wissen?) auf Veränderung festgehalten wurde.

Dafür, dass uns niemand suizidiert hat und wir nicht im Täterkreis geblieben sind.

Dafür, dass diese viele, viele innere Arbeit geleistet und ausgehalten wurde, weil es immer welche gab, die bereit und fähig waren, Verantwortung für das System und unser (Über-)Leben zu übernehmen und Kraft und Energie zu investieren.

Ich bin uns dankbar, dass wir nicht auf Rettung gewartet haben.

Was wäre aus mir, aus uns geworden, wenn alles anders verlaufen wäre?

Was wäre passiert, wenn nicht zur richtigen Zeit die richtigen Menschen in unser Leben gekommen wären? Wenn auch die vielen Jahre Therapie nicht gewesen wären?

Was wäre, wenn ich nicht Teil von einem „Wir“ wäre, das so ist, wie es eben ist?

Ich bin uns dankbar, dass wir trotz (oder wegen?) aller Prägungen, genetischer Gegebenheiten, Erziehungsformen und Traumazusammenhänge in der Lage sind, uns gegen die Fortsetzung der Gewalt zu entscheiden. Dass wir uns die Kontrolle über Impulse und Handlungen erarbeitet haben.

Wenn ich darüber lese, dass Kinder und Jugendliche Gewalt ausüben, sich gegenseitig bedrohen und zum Teil lebensbedrohlich verletzen, wird mir eiskalt. Dann spüre ich den schmalen Grat, der in dem „Was wäre, wenn…“ liegt.

Dann kommen mir auch die Tränen:

Tränen des Mitgefühls mit jenen, die völlig haltlos so sehr außer sich geraten sind.

Tränen der Wut über strukturelle Benachteiligung, Vernachlässigung, Diskriminierung, Ignoranz, gewaltvolle „Vorbilder“ und all jene Aspekte, die dazu führen, dass Kinder und Jugendliche sich selbst verlieren, bzw. sich gar nicht erst „finden“ können.

Tränen der Freude über die Stärke und Resilienz, den Trotz und die Wut, die Klugheit und Neugier, die Beharrlichkeit und Lebendigkeit, die ich auch in den jüngeren Generationen erkennen kann.

Tränen der Erleichterung über das, was in und mit uns ist.

Im „Was wäre, wenn…“ liegen eben nicht nur Gefahren, sondern auch sehr viel Chancen.

Das muss allen klar sein.

Positiv statt ausweglos

©PaulaRabe

Es gibt zwei Stichwörter, die ich besonders häufig nutze, wenn es zum Beispiel um traumabezogene Ohnmachtsgefühle geht: Tätersuggerierte Ausweglosigkeit.

Etwas, das sich bei Betroffenen so tief eingebrannt hat: Das Gefühl, die Haltung und auch die Erfahrung „Ich kann nichts (dagegen) tun. Die Anderen sind immer mächtiger.“

Täterstrukturen profitieren davon, dass sie handlungsfähig und machtvoll sind und bleiben – und andere nicht. So funktionieren Gewalt, Manipulation, Kontrolle, Hierarchien…

Auch Hilfesysteme können in diese Falle geraten- und in dem Zusammenhang übrigens auch Verschwörungserzählungen folgen.

Gewaltüberlebende zu unterstützen, sie auf ihrem Weg zu begleiten, bedeutet, mit Rückschlägen, Blockaden, Ausweglosigkeiten, Verzweiflung, Resignation konfrontiert zu sein.

Dennoch positiv zu bleiben, fällt allen Beteiligten aus guten Gründen immer wieder schwer.

Wie soll man auch optimistisch „dranbleiben“, wenn sich Vieles so schwer gestaltet, Vernetzung nicht funktioniert und offenbar Andere immer wieder am längeren Hebel sitzen?!

Täterstrukturen profitieren von Erschöpfung, Isolation, Informationsdefiziten, Überforderung der Anderen, weil sie daran wachsen können. Damit meinen wir übrigens auch rechtsradikale Parteien.

Für uns ist die Alternative, auf unseren Fokus zu achten und ihn immer wieder bewusst auszurichten: Wer bekommt wo welche Bühne und welchen Support? Welche Überzeugungen, Inhalte, Haltungen und Ideen brauchen mehr Präsenz? Wo geht es um ein „gutes Leben für alle“, im Gegensatz zu Ego-Zentrismus?

Wir achten darauf, wo wir uns Informationen besorgen und Wissen aneignen. Nicht überall, wo „sachlich“ und „faktenbasiert“ draufsteht, kann man sich auf solches verlassen.

Sich eine Meinung zu bilden, eine Haltung zu entwickeln, erfordert oft mehr Mühe als nur den Konsum eines 10 Sekunden-Reels.

Positiv denken kann nur, wer bereit und in der Lage ist, sein Denken zu reflektieren. Komplextrauma ist da leider häufig ein Gegenspieler. Deshalb ist es gut, sich immer wieder daran zu erinnern, dass das Gehirn lernfähig ist.

Was willst du (nicht)?

©PaulaRabe

Gut zu wissen, was man alles nicht will: Hass, Gewalt, Diskriminierung, Krieg, Propaganda, Umweltzerstörung, Armut, Narzissmus, Verschwörungsmythen, Patriarchat, Rosenkohl und Mückenstiche zum Beispiel.

Wichtig ist jedoch auch, zu wissen, was man will: Miteinander, Solidarität, Respekt, Freundlichkeit, Grundrechte, Freiheit, Frieden, Hilfsbereitschaft, Klimaschutz, Gewaltschutz, Blumen und einen Therapieplatz zum Beispiel.

Ein Demo-Plakat zu gestalten, fällt uns gerade gar nicht so leicht: Ein Spruch oder Symbol für etwas oder gegen etwas? Geht beides zusammen oder gleichzeitig? Hauptsache, wir sind dabei, so wie viele andere auch. An eine „gespaltene Gesellschaft“ wollen wir weder glauben, noch uns daran gewöhnen. Spaltung ist nichts für die Ewigkeit – wir wissen, wovon wir reden.

„Herz statt Merz“ oder „Altern-in-Liebe für Deutschland“ – im Grunde landen wir beim Plakatmalen immer wieder dort, wo in uns Hoffnung, Kraft und der Glaube an das Gute leben. Dieser Fokus lässt uns weiterdenken, weitergehen, weiteratmen, statt vor Angst oder Resignation bewegungsunfähig zu werden. Wir finden es nicht naiv, dumm, vermessen oder ignorant, wenn wir uns daran festhalten und davon ausgehend, dass andere Menschen auch so ticken.

Es muss doch gute Gründe geben für das Leben. Es muss doch Sinn machen, in dieser Welt zu sein- und zwar jede*r für sich und alle zusammen.

Wenn das alles egal wäre, wenn der Zug schon abgefahren wäre, das Ruder nicht mehr herumzureißen wäre, manche schon ihren „Sieg“ in der Tasche hätten und die Welt sowieso untergehen würde – dann würden wir trotzdem bei der Liebe bleiben.

Alles andere wäre sinnlos.

Augen auf!

Trotzdem entscheiden sich Menschen, Diktatoren, Gewalttätern, Faschisten und Lügnern zu folgen, sie zu wählen, zu unterstützen, bei ihnen zu bleiben, ihr Gedankengut zu verinnerlichen und weiterzuverbreiten.

Sind das alles Menschen ohne Herz und Verstand? Nicht zwangsläufig, nicht immer.

Was bewegt sie, sich genau so zu verhalten?

In einem bestimmten Status zu verharren; keine Veränderung zu schaffen, obwohl man es kognitiv „besser“ weiß; sich zu fügen, wegzusehen, auszuhalten, abzuspalten – all das ist menschentypisch bei einem hohem Stresslevel. All das können Versuche sein, Angst zu kompensieren.

Die Augen zu schließen, während man sich einem Abgrund, einer Gefahr nähert oder sich bereits mittendrin befindet, kann ein kindlicher Reflex, eine naive Überzeugung sein- oder auch ein Fluchtimpuls.

Die andere Seite der Medaille ist der Angriff. Auch wenn wir verstehen, dass radikales Denken und Handeln Ursachen hat, die näher beleuchtet werden müssen und auch wenn uns klar ist, dass Gewalt eher stetig wächst, statt urplötzlich zu explodieren, so hat unser Verständnis dennoch Grenzen.

Wir denken, es ist keine Zeit mehr für Schwammigkeit, Ignoranz und gesamtgesellschaftliche Dissoziation- und erst recht nicht für Unterwerfung.

„Wir“ können es uns nicht leisten, abzuwarten, wie die Dinge sich so entwickeln- und der Schrecken hört auch nicht einfach von alleine wieder auf!

Es geht darum, hier und jetzt, heute und in diesem Leben verantwortungsbewusste, „anständige“ Entscheidungen zu treffen und sich mit anderen zu solidarisieren, die ebenfalls bereit sind, sich zu bewegen: Respektvoll, achtsam, menschenfreundlich; für etwas, statt immer nur dagegen.

Niemand muss alleine bleiben.

(K)ein Teil davon: DIS in der Öffentlichkeit

Nachdem wir 1999 die Diagnose „Multiple Persönlichkeitsstörung“ (heute „Dissoziative Identitätsstörung“) erhielten, suchten wir nach Büchern, Dokumentationen, Reportagen o.a. zu diesem Thema. Im Internet bewegten wir uns zu dieser Zeit noch gar nicht. Wir fanden irgendwann die Bücher „Multiple Persönlichkeiten“ von Michaela Huber und „Schmetterlingsfrauen“ von Sabine Marya, entdeckten die Selbsthilfe-Zeitungen „Matrioschka“ und anschließend die „DIS-Tanz“, hörten ein Radio Feature, sahen die Reportage „Die Seele brennt“. Direkte Kontakte zu anderen Betroffenen hatten wir nicht, aber wir erlebten eine Art Austausch und Wiedererkennen über die Beiträge in den Selbsthilfe-Zeitungen.

Später entdeckten wir die Möglichkeiten des Internets, nutzten das „Lichtstrahlen-Forum“ und einen Chat. Social Media war damals noch kein Thema. Analoge Selbsthilfegruppen kamen für uns aus Angst und Überforderung nicht in Frage und uns waren auch keine in unserer Umgebung bekannt.

Heute sieht alles ganz anders aus: Es gibt viel mehr verschiedene Literatur, Filme, Dokumentationen, Medienberichte, Selbstvertretung und Accounts von Betroffenen in sozialen Netzwerken, Chats, Gruppen, u.a. Darüber, wie der Austausch im analogen Leben deutschlandweit aussieht, wie viele Selbsthilfegruppen, Vernetzungsinitiativen, Intervisionsgruppen und Arbeitskreise existieren, haben wir keinen Überblick.

Wir bekommen vor allem über unsere Öffentlichkeitsarbeit und die Peer- und Angehörigenberatung etwas von der „Betroffenencommunity“ und der „Helfer*innen-Szene“ mit. Wir sehen Ausschnitte von dem, was an Selbstvertretung und Aktivismus passiert, auf Instagram (andere social media-Kanäle nutzen wir nicht), in Blogs, Podcasts oder anderen Publikationen. Und uns fällt auf, dass wir uns immer weniger, d.h. fast gar nicht mehr „dazugehörig“ oder „gemeint“ fühlen.

Wir haben einerseits den Eindruck, dass Vieles einfach vermischt wird und Unterschiede keine Rolle mehr spielen: Anteile, Ego States, DIS- egal, alles das Gleiche? Ein spannendes Thema, um sich in seiner Individualität und mit unterschiedlichen Seiten zu zeigen- DIS als „Followercatcher“ im Insta-Profil? DIS als Erklärung oder Legitimation für das eigene Sein- fast wie ein Lifestyle: „Du kannst alles/jede*r sein- feel free!“?

Andererseits sehen wir, dass zum Thema DIS viel „exotisiert“ und „spezifiziert“ wird: Reaktiv oder programmiert, polyfragmentiert, hoch funktional, mit oder ohne Innenwelt, usw.- DIS ist nicht gleich DIS, logisch. Die Ausprägungen, Symptome, Strukturen sind verschieden, bunt, individuell. Die Diagnosekriterien sind jedoch klar definiert.

Wie positioniert sich die „Fachwelt“ heute im Vergleich zu „vor 25 Jahren“? Wir haben nicht die Zeit, Kraft und Finanzen, um uns durch diverse Fachbücher zu arbeiten; außerdem fehlt uns der Zugang zu entsprechenden Fortbildungs- und Tagungsangeboten. Das bedeutet, dass wir kein umfassendes, vollständiges Wissen dazu haben, wie heute in der „Traumatherapie-“ oder generell „Helfer*innen-Szene“ über die DIS gedacht, gesprochen, geforscht und mit ihr gearbeitet wird. Ausschnitte sind uns jedoch bekannt.

Wir sind sehr froh darüber, dass in den letzten Jahrzehnten viel mehr erkannt, verstanden und verändert wurde: Die DIS wurde sowohl per bildgebenden Verfahren belegt, diagnostisch genauer beleuchtet (siehe ICD-11) und insgesamt nicht mehr als „absolut seltenes Phänomen“, sondern als in sich logische und existente Traumafolgestörung gerahmt. Diese Erkenntnis ist bei manchen Institutionen und erst recht bei Behörden leider noch nicht ganz angekommen und wird auch von Gegenströmungen im Sinne eines „backlashs“ negiert, aber ganz grundsätzlich muss/müsste man heute keine Grundsatzdiskussionen mehr führen.

Traumatherapie ist kein Hexenwerk und keine „Nische“. Es gibt Ausbildungs-, Fortbildungs-, Weiterbildungs-, Supervisions-, Vernetzungsangebote und -möglichkeiten. Wenn man ein*e gute*r Traumatherapeut*in werden möchte, kann man sich mit entsprechenden persönlichen, fachlichen und finanziellen Voraussetzungen vor Ort auf den Weg machen und muss dafür nicht in die USA reisen oder das Rad neu erfinden.

Und obwohl (oder gerade weil?) sich so viele Optionen mit den Jahren entwickelt haben, sich Informationen, Wissen und Kontakt zu/mit DIS zu verschaffen, sind wir mit Vielem, was uns medial begegnet, nicht glücklich. Wir haben den Eindruck, dass es einen „blind spot“ gibt, quasi ein „no-go“ in der Betroffenencommunity: Die Frage danach, wie eigentlich Selbstvertretung stattfindet und wie „wir“ uns öffentlich zeigen und positionieren. Wie prägen „wir“ das „Bild“ über DIS? Welche Behauptungen, Thesen, Haltungen tragen „wir“ in die Welt? Wo und wie tragen wir zu Stigmatisierung, Exklusion und letztlich auch Isolation bei?

Ein Aspekt, der uns beispielsweise beschäftigt, ist die Aufteilung der DIS in eine „reaktive“ oder „programmierte/von Täter*innen gemachte“ Form. Wir wissen nicht, wer diese Unterscheidung eigentlich etabliert hat und wie sie in der „Fachwelt“ diskutiert wird. An einigen Stellen wird sie jedoch immer wieder aufgegriffen und ausgestaltet, im Sinne einer Aufklärung beschrieben und beleuchtet. Unsere Frage dazu ist: Welchen Sinn macht das und wofür ist das gut?

Unsere eigenen Gedanken sind: Warum eine DIS ensteht, ist individuell verschieden. Frühe, langjährige Gewalt spielt immer eine Rolle, „niemand hat geholfen“ ebenfalls. Strukturelle Dissoziation braucht bestimmte Voraussetzungen, um sich entwickeln zu können- und unserem Verständnis nach ist sie immer ein reaktiver Vorgang auf äußere Gegebenheiten. Eine DIS ist eine traumaassoziierte Anpassungsleistung des Gehirns, sie findet also immer „im eigenen Kopf“ statt und nicht außerhalb.

Dass Täter*innen in organisierten Gewaltkontexten den menschlichen Automatismus der Dissoziation nutzen, um ein Kind nach eigenen Vorstellungen zu prägen, trainieren, „gefügig zu machen“, ist unstrittig. Wenn man vorhat, Kinder langfristig in einer Gruppierung auszubeuten, von ihnen zu profitieren und dabei sicher zu sein, dass man damit nicht auffliegt, dann bietet es sich an, Wissen und Fähigkeiten im Bereich von sogenannter „mind control“ zu haben und anzuwenden. Nicht jede Täter*innengruppe, die kommerziell sexualisierte Gewalt ausübt, „trainiert“ ihre Opfer gleich intensiv. Nicht jedes Kind, das in solchen Strukturen aufwächst, wird in Sachen DIS gleich fokussiert „bearbeitet“. Manchmal reicht es Täter*innen einfach auch, wenn Opfer schlicht und unkompliziert situativ angepasst funktionieren: Dazu braucht es unserer Ansicht nach nicht zwingend eine riesige Anzahl hochkomplex durchprogrammierter Innenpersonen.

Eine Situation erfordert eine Orientierung und Anpassung. Eine Aufgabe erfordert eine Lösung. Ein Trauma erfordert einen Überlebensmechanismus („Fight-Flight-Freeze-Fawn-Fragment“). Alles, was dazu in einem Menschen stattfindet, ist reaktiv. Jede Spaltung, jede neue Innenperson- auch jene, die von Täter*innen bewusst forciert, gewollt, gestaltet, per „mind control“ initiiert ist- ist ein reaktiver Vorgang. Auch jede etablierte Konditionierung und Programmierung ist ein reaktiver, d.h. angepasster Effekt im Gehirn der/des Betroffene*n und somit letztlich „selbst gemacht“.

Uns ist klar, dass diese Sichtweise die Gemüter vor allem auf Betroffenenseite erhitzen kann. Wir möchten betonen: „Selbst gemacht“ meint nicht „selbst Schuld“! Und „selbst gemacht“ bedeutet auch nicht „Dann löse es doch einfach wieder auf!“ Diese langjährige, traumatische und somit auch neuronale Prägung hinterlässt schwerwiegende Folgen auf allen Ebenen- wir wissen, wovon wir sprechen und wie hart die Arbeit an Veränderung ist. Wir wissen zudem aus eigener Erfahrung, dass sich manches nicht verändern und erst recht nicht heilen lässt.

Die Unterscheidung in „reaktive“ und „gemachte/programmierte“ Systeme trägt unserer Ansicht nach nicht dazu bei, dass alle irgendwie besser verstanden, anerkannt, gesehen, bedacht oder unterstützt werden. Wir erleben es so, dass dadurch zum Einen eine „Hierarchie des Schreckens“ gefördert wird und zum Anderen vermittelt wird, dass „gemachte/programmierte“ Systeme eine besondere, andere, umfangreichere, herausfordernde, „spezielle“ Psychotherapie benötigen- die quasi im Grunde niemand zu leisten vermag, weil sich ja niemand mit dieser „hohen Komplexität“ auskennt oder fachlich wirklich geeignet ist. Es kann also nur schiefgehen. Die täter*innensuggerierte Ausweglosigkeit wird weiter gefüttert, es bleibt bei einer kollektiven Erstarrung und Lähmung, sowohl im inneren als auch im äußeren System und alle Beteiligten fühlen sich handlungsunfähig. Die Einzigen, die davon unbeeindruckt weiter aktiv sind, sind die Täter*innen.

Langjährig verschiedenen Methoden von „mind control“ ausgesetzt zu sein, bedeutet, massiv körperlich und psychisch Gewalt zu erleben. Ein Kind, das in seiner direkten Umgebung so gefoltert wird, hat keine Chance auf eine gesunde Identitätsentwicklung und eine innere Abspaltung findet zwangsläufig statt- und das tut sie auch, wenn „mind control“ keine Rolle spielt. Frühe, massive Gewalt- eine Grundvoraussetzung zur Ausbildung einer strukturellen Dissoziation im kindlichen System und Teil ganz logischer, posttraumatischer Symptomatik.

Wir denken, dass es bei der Behandlung und Begleitung komplextraumatisierter Menschen darauf ankommt, dass Helfer*innen Fachwissen und menschliche Eignung mitbringen. Zu Fachwissen gehört für uns maßgeblich auch das Wissen um/über verschiedene Formen von Gewalt. Wozu Menschen fähig sind, im Innern und im Außen- sich damit zu befassen erfordert eine Fähigkeit, sich Dinge vorstellen und für möglich halten zu können. Die Bereitschaft, das eigene Weltbild zu hinterfragen und sich zu reflektieren. Wenn ich nicht weiß oder wissen will, welche Ursachen einer DIS zugrunde liegen können, kann ich nicht (professionell) unterstützen.

Auch das Wissen über „mind control“-Methoden gehört für uns zur fachlichen Qualifizierung dazu. Ich muss mir nicht bildlich ausmalen, welche Qualen konkret ausgeführt werden- aber ich muss verstanden haben, welchen Effekt diese Gewalt auf das Kind/den Menschen hatte und heute noch hat. Was ist von Täter*innen getan worden um was zu erreichen (Reiz-Reaktion)- und was bedeutet das heute für den/die Überlebende*n? Diese Frage wirklich in die therapeutische Arbeit mit einzubeziehen, empfinden wir als wesentlich wichtig, wenn es nicht nur um „Dauerstabilisierung an der Oberfläche“ gehen soll, sondern um gesamtsystemische, traumaintegrative Prozesse mit langfristigen, lebensverbessernden/-erleichternden Veränderungen.

Zurück zum Ausgangsthema: Mit all diesen Gedanken und Erfahrungen fühlen wir uns allein, obwohl es eine große „Betroffenencommunity“ im Internet gibt, die nur einen Klick entfernt ist. Eine Community, die sich für uns so fremd geworden anfühlt- und einer „Helfer*innenszene“, bei der wir auch als Peer- und Angehörigenberater*innen außen vor bleiben. Bei den Einen kommen wir uns zu wenig oder zu anders betroffen vor, um Teil von ihnen zu sein, bei den Anderen zu viel. Das macht uns auch traurig- gleichzeitig sind wir aber auch wütend: Wir wollen gar nicht dazugehören, wenn das Bild einer DIS auf social media „so“ aussieht, oder wenn Fachleute „solche“ Ideen dazu haben, oder wenn Medienberichte „so“ formuliert werden, usw.

Die Frage ist, wo „wir“ hinwollen.

Öffentlichkeitsarbeit 2025

Neues Jahr, neue Projekte!

Wann sehen wir uns?

Wir freuen uns, wenn Beratungsstellen, Vereine, Institutionen und andere Akteur*innen des „Hilfesystems“ (auch Selbsthilfe!) uns einladen, um zum Themenbereich Dissoziative Identitätsstruktur und organisierte, sexualisierte Gewalt zu sprechen.

Was beschäftigt Euch? Worüber möchtet Ihr mehr wissen? Welchen Input braucht Ihr und welche Perspektiven wollt Ihr mit uns erarbeiten?

Wir gehen auf Euren Bedarf ein und gestalten kreativen, lebendigen Austausch auf Augenhöhe.

Gerne kommen wir zum Beispiel mit Euch in Kontakt zu speziellen Fragestellungen aus Eurem Arbeitsalltag, berichten aus unserer Peerberatung, beleuchten Herausforderungen und Möglichkeiten in der Unterstützung von Menschen mit DIS und tragen zu positiven, stärkenden Vernetzungen bei.

Wir sind gespannt auf Euch und freuen uns, von Euch zu lesen.

Meldet Euch gerne per Mail:

paula (minus) rabe (ät) posteo (punkt) de

Viele freundliche Grüße,

Paula Rabe

Ja zur Liebe

Was wir zum Jahresende sagen möchten?

„Es ist gut und richtig, Bindungen einzugehen und das Herz zu öffnen. Jemandem mit Liebe zu begegnen und Liebe aufzunehmen. Ja, das bedeutet eben, lebendig und Mensch zu sein.

Es ist ein Trugschluss, zu glauben, dass man in Sicherheit ist, wenn man innerlich hart wird und bleibt. Es führt nur dazu, dass man das Alleinesein, die Isolation etabliert. Wenn man nicht liebt, wenn man sich nicht verbindet, wird man auch nicht verletzt- es tut einfach nicht weh, weil es kein Verlassenwerden, keine Verletzung, keinen Abschied, keinen Konflikt, keinen Verlust gibt. Wenn man nichts hat, kann man auch nichts verlieren und erspart sich die Tränen.

Ja. Nein!

Der Schmerz ist trotzdem da. Ohne Liebe, Freundschaft, Beziehung, Menschen- und/oder Tierbezug ist und bleibt da dieses Loch, diese Leere, diese furchtbare Kälte – und das Leben geht dennoch weiter. An einem vorbei.

Wenn man nichts (mehr) fühlt, was für ein Leben ist das dann? Wer ist man dann, als Lebewesen, das Antennen, Sensoren, Zellen, Kanäle, Sinne usw. hat? Hart, stumpf, leer, taub – damit es bloß nicht weh tut? Welch hoher Preis!

Diese Medaille hat doch zwei Seiten. Manchmal fokussiert man sich nur auf die eine, weil man muss(te) und vor Angst erstarrt ist. Liebe bringt Schmerz mit sich – das ist die eine Seite. Und die andere? Ohne Liebe ist das Leben hohl – wie viel reichhaltiger, bunter, klarer, schöner ist es, wenn man sich und andere liebt und fühlt.

Wir haben schon Menschen und Tiere verloren, die wir geliebt haben. „Wir“ waren schon unglücklich und hoffnungslos verliebt, wurden verlassen, belogen, misshandelt, ignoriert, ausgenutzt… Wir kennen die guten und die schlimmen Aspekte von „Bindung“. Und immer noch und immer wieder taucht der Gedanke auf, dass es „dumm“, „falsch“, „gefährlich“ ist, sich auf jemanden emotional einzulassen. Wir wissen, woher der Gedanke kommt und welchen Sinn er hat(te). Wir haben Erfahrungen damit, ihm zu begegnen, ihn ernst zu nehmen und ihm mit Mitgefühl zu begegnen – so dass wir auch neue, andere Erlebnisse und Veränderungen schaffen können.

Im Leben zu sein und zu bleiben bedeutet für uns, Verbindungen zu fühlen und damit dieser tiefgreifenden Einsamkeit im Innern zu begegnen. Erst wenn wir uns diesem Schmerz zuwenden und spüren, dass Verhärtung nicht (mehr) schützt, sondern Altes aufrechterhält, kann sich auch etwas (auf-)lösen.

Gefühle wie Trauer, Wut und Angst wahrzunehmen, statt sie automatisch zu dissoziieren, ist für uns ein ständiger Lernprozess. Wir halten aus, dass es sich (erst mal) nicht gut anfühlt und dass wir nicht darin geübt sind, uns damit zu konfrontieren. Außerdem halten wir aus, dass „es“ dauert. Dass sich nichts forcieren lässt. Dass es mal leichter und mal schwerer geht. Dass es Situationen gibt, die ohne „sich wegzumachen“ (noch) nicht zu bewältigen wären.

Wir gehen damit weiter, weil wir unser Leben nicht an uns vorbeiziehen lassen wollen. Das ist eine Erkenntnis von Verlustschmerz, mit der wir arbeiten können: Das Leben ist endlich. Ein großer Teil davon war für uns furchtbar. Ein anderer großer Teil war so, so schön. Und die Zeit, die noch vor uns liegt, möchten wir so gut wir es können in unserem Sinne gestalten.

Das geht nicht mit verschlossenem Herzen.

Mit Tieren leben

Viele komplextraumatisierte Menschen leben mit Haustieren. Viele empfinden diese Bindung und Beziehung als deutlich vertrauensvoller, näher, ehrlicher, ungefährlicher, als sie es je mit einem anderen Menschen sein könnte. Viele fühlen sich von ihrem tierischen Begleiter verstanden, gesehen, respektiert – kurzum: Bedingungslos geliebt und auch kompromisslos gebraucht. Manchmal zum ersten Mal überhaupt.

Mit einem Tier zu leben bedeutet, weniger einsam zu sein. Und es bedeutet auch, Verantwortung zu tragen: Man versorgt ein anderes, abhängiges Lebewesen mit Nahrung, Medizin, Bewegung, Auslastung, Pflege, Zuwendung – und zwar bestenfalls auch dann, wenn man selbst krank, erschöpft, belastet o.a. ist. Jahrelang – bis zum Lebensende des Tieres.

Sich darüber bewusst zu sein, welche (auch finanziellen) Anforderungen auf einen zukommen (können); abzuwägen, welche Möglichkeiten und Ressourcen einem dafür zur Verfügung stehen; zu reflektieren, warum man zu welchem Zeitpunkt ein Tier zu sich holen möchte und welche Erwartungen man ihm ggf. (unbewusst) entgegenbringt – all das sollte Teil der inneren Auseinandersetzung sein.

Bei menschengemachtem Komplextrauma ist es sehr verständlich, dass eine Bindung zu einem Tier leichter fallen kann, als zu einem anderen Menschen – dennoch kann es nicht Aufgabe oder gar Verantwortung eines Tieres sein, diese Wunden zu heilen oder das zu ersetzen, was auf der Menschenebene fehlt(e). Ein Tier ist ein eigenständiges Lebewesen, mit individuellen Bedürfnissen und Grenzen.

Im Zusammenhang mit unseren Gewalterfahrungen spielen auch Tiere eine Rolle. Da gibt es Triggerpotenzial und mehr oder weniger große Herausforderungen. Ein Lebewesen auch dann liebevoll, „erwachsen“ und konsequent zu versorgen, wenn es krank, ängstlich, kompliziert, „dysfunktional“ ist, ist nichts, was wir jemals erfahren oder gelernt hätten. Natürlich ist es leicht, ein gesundes, freundliches, zufriedenes Tier zu füttern, zu kuscheln und zu bespaßen- natürlich ist es unbeschreiblich „heilsam“, diese Herzverbindung zu spüren, gemeinsam zu lernen, zusammen Wege zu gehen, usw. Wenn alles gut ist, ist alles gut?!

Ich kann das nicht. Ich darf nicht. Es ist alles meine Schuld. Ich will meine Ruhe haben. Es soll alles (wieder) normal sein. Ich bin ein schlechter Mensch. Ich bringe Unglück.

Innere Härte. Tätergedankengut. Dissoziation. Traumaassoziationen. Flashback-Reaktionen. Reizüberflutung. Innerer Rückzug.

Traumafolgesymptomatik sieht verschieden aus im Alltag, ist mal mehr, mal weniger präsent, kann mal alleine, mal (nur) mit Unterstützung kompensiert werden. Dazwischen lebt vielleicht ein oder mehrere Tiere- und hilft möglicherweise nur durch die bloße Existenz dem Menschen dabei, überhaupt am Leben zu bleiben, am Leben teilzuhaben. Was für ein Schatz, was für eine Bedeutung! Was für ein Konfliktpotential?!

Kurz vor Weihnachten ist eine unserer beiden Katzen gestorben.

Sie war ca. 16 Jahre alt und sehr krank und wir mussten mit unserer Frau zusammen entscheiden, sie einschläfern zu lassen. Dass diese Entscheidung auf uns zukommen würde, war absehbar und wir waren „froh“, damit nicht alleine zu sein, sondern mit unserer Frau den Zeitpunkt und die Umstände besprechen und entscheiden zu können. Alleine hätten wir unsere Katze nicht so gut versorgen können, weder vorher in dem längeren Zeitraum der Krankheit, noch in der Sterbesituation.

Wenn ich „Ja“ zu einem Tier sage, muss ich auch „Ja“ zu einem Abschied sagen können. Gehe ich diese Bindung ein, kommt auch irgendwann der Verlustschmerz. Vielleicht reagiere ich automatisch dissoziativ, weil die Gefühle zu groß und zu unaushaltbar sind oder scheinen. Vielleicht ist es auch möglich, einen Trauerprozess bewusst zu durchlaufen. In jedem Fall ist der Tod des geliebten Tieres ein Zeitpunkt, der Altes (re-)aktivieren kann und deshalb nicht einfach „übergangen“ werden sollte zugunsten einer vermeintlichen Funktionalität oder „Gefasstheit“.

„Besser gar nicht erst lieben, damit es nicht weh tut“ ist eine sehr massive, haltbare und auswirkungsreiche Traumawahrheit- die dazu führt, dass man in sich eingeschlossen und verhärtet bleibt.

Mit einem Tier zu leben und es irgendwann bewusst zu betrauern, wirkt dem entgegen und ist eine mutige, bedeutsame Entscheidung. Die Liebe zuzulassen, sie auszudrücken, sich wirklich an ein Lebewesen zu binden, von dem man weiß, dass es irgendwann furchtbar fehlen wird – dieses „Ja“ zur Herzöffnung und dem unvermeidbaren, schlimmen Schmerz- das ist eines der größten Wagnisse, die man eingehen kann.

Balance braucht Achtsamkeit

Und irgendwann geht es dann nicht mehr ums existenzielle Überleben. Irgendwann muss nicht mehr nach Schutzwohnungen gesucht, die Notaufnahme gefunden und die Nacht überlebt werden. Irgendwann hat sich etwas beruhigt im Traumafolgeerleben und es gibt mehr Routine und weniger Chaos.

Irgendwann geht es nicht mehr darum, den Körper vor der nächsten Selbstzerstörungsaktion zu retten oder bestimmte Innenpersonen davon abzuhalten, ihn der Gewalt auszuliefern.

Irgendwann sind Feiertage nur noch Tage, vielleicht mit Krisenpotenzial, vielleicht auch ohne. Der Adrenalinspiegel zeigt weniger Spitzen. Und das darf so sein, ohne zu Tode zu ängstigen oder zu langweilen. Leben ist ausbalancierter geworden.

Und dann?

Hältst du das aus?

Fühlt es sich gut und richtig, oder schlecht und falsch an – oder beides/alles?

Gibt es manchmal den Impuls, genau diese Balance (zer-)stören zu wollen/müssen?

Wünschst du dich manchmal zurück in eine Zeit, in ein Leben, das sich vertrauter und somit sicherer angefühlt hat, als „das hier“?

Fragst du dich, wer du eigentlich bist, jetzt, wo es nicht mehr um Leben und Tod geht?

Kennst du dieses Gefühl von absoluter Haltlosigkeit, obwohl es im Innen und im Außen gute (neue), selbstgewählte, selbstgestaltete Verbindungen gibt?

Dann weißt du sicher auch, wie schnell jahrelang hart erarbeitete Stabilität bröckeln kann.

Nur ein kurzer Blick in eine Onlinepräsenz eines Menschen von damals, nur eine kleine Google-Anfrage, nur ein harmloser Spaziergang an einen Ort, der etwas „Undefinierbares“ innen macht, nur ein Mal eine alte Telefonnummer wählen und direkt wieder auflegen, bevor jemand abhebt, nur ein paar Minütchen durch ein altes Fotoalbum blättern…

Nur kurz noch mal Adrenalin. Andocken an Vertrautes. Sich irgendwie auskennen. Es geht ja nicht mehr um Leben und Tod.

Schon so lange raus aus der Gewalt, schon so viel Therapieerfahrung, was soll denn passieren…?

Kennst du das? Dann achte bitte gut auf Dich. Besonders in dieser Zeit, aber auch sonst.

Denn Balance ist etwas, was Achtsamkeit braucht.