Viele sein bedeutet…

“Viele sein“ bedeutet, konfrontiert zu werden mit Verhaltensweisen, die “jemand aus dem Innern Deiner Psyche mit Eurem gemeinsamen Körper tut“, die Dir selbst aber fern liegen.

Gesagte Worte, die nicht Deine waren. Handlungen, die Du weder könntest, noch wolltest.

Manches ist beängstigend. Manches ist katastrophal. Manches ist grenzüberschreitend. Manches tut weh. Manches zerstört. Manches fällt tief. Manches beschämt.

“Dissoziative Identitätsstruktur“ als Traumafolgestörung.

Täter*innen-Introjekte im Innern. Kopien des damaligen Horrors. Unvereinbare Gegensätze. Gelernte Zerstörungskraft, die auf ein Heute trifft.

Verzweiflung fühlen. Das Puzzle zusammensetzen müssen, um weiterleben zu können. Aber nicht alles passt, nicht alles findet einen guten Ort. Wohin damit?

Manches ist unkompliziert. Manches ist erfreulich-überraschend. Manches erleichtert. Manches beeindruckt. Manches hilft. Manches ist notwendig. Manches verwirrt. Manches ist großartig liebevoll.

“Dissoziative Identitätsstruktur“ als Überlebensstrategie während langjähriger Gewalttraumatisierungen.

Die Helfer*innen im Innern. Die Mitträger*innen. Die Lebensretter*innen. Ein Weg, weiter “da“ sein zu können, obwohl der Körper Teilzeittode stirbt.

Dankbarkeit fühlen. Die Aufgaben im Heute: Erkennen, verstehen, verbinden. Was hilft?

“Viele sein“ bedeutet, konfrontiert zu sein mit dem „Sowohl…, als auch…“.

In Dir drin.

Jeden Tag.

Immer.

Zeit brauchen und nehmen

„Unsere“ Täter*innen hatten 22 Jahre lang Zeit, physische und psychische Gewalt gegen uns auszuüben. Sie beeinflussten jede Entwicklungsphase in unserer Kindheit und Jugend. Sie initiierten und prägten unser dissoziatives Persönlichkeitssystem, hatten wortwörtlich immer irgendwo die Finger im Spiel- und sehr lange war mir/uns das nicht mal bewusst.

22 Jahre aktive Gewalt. Das sind so viele Jahre, wie es braucht, vom Liegen ins Krabbeln, ins Stehen, ins Laufen, ins Abitur-machen und Studieren, ins Verlieben und Verlassen und auch ins „selbst-ein Kind-gebären“ zu kommen. 22 Jahre sind möglicherweise ein Drittel eines ganzen Lebens. Oder auch nur die Hälfte, für manche.

Krankenkassenfinanzierte Psychotherapie bei Traumafolgestörungen ist eine Frage der Stundenzahl. Sie ist oftmals eben nicht „bedarfsgerecht“, sie orientiert sich nicht am Tempo der Betroffenen. Mir ist es ein Rätsel, wie Gutachter*innen zu der Ansicht gelangen, dass Menschen, die 10, 20, 30 Jahre massiven Gewalttraumatisierungen ausgesetzt waren, nach 100, 200 oder meinetwegen auch 300 Psychotherapiestunden „fertig versorgt“ sein könnten.

Wenn die Gewalteinwirkungen auf Körper und Seele beendet wurden (oder die Entscheidung getroffen wurde, das erreichen zu wollen) und überhaupt erst mal Raum und Zeit entsteht, sich mit den Folgen, Beschädigungen, Zerstörungen intensiver auseinander zu setzen- dann stehen Betroffene eben nicht vor einem reich gedeckten Tisch, an dem sie sich bedienen können: „Was möchtest du haben, was brauchst du? Im Buffet befinden sich stationäre und ambulante Psychotherapie, alternative und auch körperbezogene Therapieformen, betreutes Wohnen, Pflegedienst, Tagesstätte, Selbsthilfegruppe, Sozialdienst, Krisendienst, Notfallhotline, Familienhilfe, usw., usf.“

Es muss probiert werden, was helfen könnte auf dem Weg der/des Betroffenen, orientiert an seinen/ihren Zielen und Vorstellungen von einem „guten Leben“. Er/Sie hat das Recht, selbst zu bestimmen. Theoretisch. Praktisch stehen viele erst mal alleine da und müssen Informationen, Wissen, Kontakte mühsamst selbst zusammenkratzen- während sie dabei sind, sich am/im Leben zu halten.

Die Crux an der Sache ist zudem: Woher soll ich wissen, dass ich Unterstützung brauche, wenn ich gar nicht fühlen kann, dass es mir schlecht geht UND dass ich Hilfe haben darf? Nach einem, zwei, drei Jahrzehnten Gewaltnormalität?

Es gibt Aus-Wege und es gibt Menschen, die unterstützen wollen und können. Sei es als Freund*in, Partner*in, Bekannte*r, Nachbar*in, sonstwie Verbündete*r- oder als beruflich tätige*r Helfer*in. Es gibt Menschen, die da sind und bleiben, weil sie es wollen.

Für (menschen-)gewalttraumatisierte Personen ist es jedoch nicht selbstverständlich, dort beherzt zuzugreifen, wo man ihnen freundliche Hände hinhält. Wie lassen sich solche vertrauenswürdigen Hände überhaupt identifizieren; wie kann man sich darauf verlassen, dass eine Beziehung konstant bleibt; wie fühlt es sich an, in einem Kontakt präsent zu bleiben, wenn man sich doch sonst routiniert auflöst? Und so weiter, und so fort.

Zeit zu brauchen ist kein Fehler. Es ist auch kein „Extrawurstgedöns“, VIEL Zeit zu brauchen. Zu spüren, dass eine Stunde Psychotherapie in der Woche nicht ausreicht, um mit dem Prozess und der Beziehung verbunden zu bleiben, ist keine Jammerei und erst recht keine Anmaßung.

Sich mit dem zu arrangieren, was man bekommen kann -auch wenn es sich nicht (ganz) passend oder „zu wenig“ anfühlt-, weil man keine Kraft oder Möglichkeit hat, das einzufordern, was man tatsächlich braucht- das ist kein „selbst Schuld!“-Ding!

Täter*innen nehmen sich sehr, sehr viel Zeit-Raum aus dem Leben ihrer Opfer und füllen ihn mit dem, was ihnen wichtig ist.

Hier und jetzt und in Zukunft müssen Betroffene selbst bestimmen dürfen und können, wie viel und welche Zeit-Räume sie wofür brauchen und nutzen wollen.

Reden, schweigen, zeigen, verstehen: Trauma und Sprache

Wie wichtig ist Sprache bei der Verarbeitung von Traumata? Was ist, wenn die Worte fehlen? Oder wenn das Gegenüber meinen Ausdruck nicht versteht?

Wie bedeutend ist Sprache bei menschengemachten Gewalttraumatisierungen?

Das ganze menschliche System ist in der Gewaltsituation beschäftigt mit Überleben und im Gehirn ist der „Sprachbereich“ durch den Alarmzustand blockiert- und trotzdem können da Worte sein, vielleicht einzelne, vielleicht von dem/der/den Täter*innen gesprochen, vielleicht auch ein paar isolierte Gedankenfetzen- die innerlich verteilt abgespeichert werden.

Wenn bei der inneren Auseinandersetzung mit den traumatischen Erlebnissen, evtl. innerhalb einer Psychotherapie, versprengte Erinnerungsfetzen wahrnehmbar werden und es darum gehen soll, sie zu einem „Ganzen“ zusammenzufügen, dann braucht es dafür eine oder mehrere Sprache(n)- vor allem für den/die Betroffene*n selbst.

„Fetzen“, bzw. Erinnerungsbilder sortieren und ordnen zu können, für sich selbst verstehbar zu machen, ist ein wesentlicher Teil von Traumatherapie, bzw. Traumaverarbeitung. In diesem Prozess kompetent und vertrauenswürdig im Außen begleitet zu werden, ist wichtig, wertvoll und nicht selbstverständlich- leider. Passende Therapieplätze sind rar und das Stundenkontingent ist durch die Krankenkassen nicht bedarfsgerecht reglementiert. Freund*innen, Partner*innen, privat Unterstützende können nicht alles auffangen.

Und was, wenn man einfach nicht die Worte dafür hat, begreifbar zu machen, was innen passiert, was man fühlt/denkt/erlebt? Was, wenn man immer wieder ein Isolationsgefühl, Alleinesein, Verlassenheit, Einsamkeit erlebt, weil die Auswirkungen der Traumatisierung(en) ein Versprachlichen unmöglich machen? Nicht selten beschreiben Betroffene ein „Aliengefühl“, ein Abgeschnittensein von der Welt- und gleichzeitig beschreiben Unterstützende immer wieder auch das Hilflosigkeitsgefühl, wenn es schwer ist, den Kontakt zu halten, sich einzufühlen, zu verstehen, was vorgeht. Trauma schlägt tiefe Kerben.

Worte in der Therapie: Manchmal gerät man dabei an Grenzen und dann geht’s einfach nicht mehr mit dem Sprechen weiter. Wir kennen es, an einen Punkt zu kommen, an dem das Quatschen aufhören muss und will. An dem es über Körperausdruck oder mit kreativen Mitteln weitergehen soll. Es scheint, als erreiche man tieferliegende Schichten innerhalb des Viele-Systems weitaus besser nonverbal, als verbal. Wie gut, wenn es eine*n Therapeut*in gibt, die/der da flexibel ist und mitgehen kann.

Schweigen. Stundenlang. Manchmal gut, mit einer tröstenden Hand auf der Schulter. Manchmal quälend, weil dumpf und brütend und ohnmächtig. Manchmal ein Zeichen von „zu viel“, manchmal eins von „zu wenig“. In jedem Fall auch ein Ausdruck. Und ein Signal, das verstanden werden will: Warum hört das Sprechen an einem bestimmten Punkt in der Therapie auf? Geht es nicht oder will man nicht? Was wird damit gezeigt? Wo befindet man sich gerade in der inneren Puzzlearbeit? Das Schweigen „brechen“ als gewaltvoller, im Außen initiierter Akt ist jedenfalls keine Option! Das Schweigen verstehen- darum geht’s.

Wenn es im Therapieprozess hakt, kann es mit dem Verstehen zu tun haben. Zwei oder mehr Menschen sprechen aneinander vorbei, erreichen und berühren sich nicht. Mag sein, dass es um eine Beziehungskrise geht- oder auch um die Problematik von Worten: Meinen wir das gleiche? Was bedeutet dieses oder jenes Wort für Dich und was verstehe ich darunter? Assoziierst Du etwas? Was schwingt zwischen den Zeilen mit? Sachebene, Emotionsebene, Appellebene, Selbstmitteilung- was hörst Du wo? Schweigst Du wütend oder traurig oder anders?

Neben all dem kann Sprache auch „versiegelt“ worden sein: Besonders wenn mind control angewandt wurde, kann Betroffenen jeglicher verbaler Ausdruck (besonders zu Erinnerungsfragmenten) versperrt sein. Manchmal können einzelne Worte auch vollkommen tabuisiert werden, von Täter*innen sanktioniert. Uns zum Beispiel ist es jahrzehntelang fast unmöglich gewesen, manche Körperbereiche (besonders Geschlechtsorgane) zu benennen, bzw. auszusprechen. Es war nicht nur ein Aspekt von Scham oder Hemmung, sondern vor allem ein Aspekt von tätergemachter Sprechblockade. Als wir 2003 Strafanzeige erstatteten, wurden wir sehr deutlich mit der darin liegenden Problematik konfrontiert: Eine Aussage bei der Polizei braucht konkrete Angaben, als „da unten“ und „das da“.

Heute können wir wahrnehmen, wie erleichternd es sein kann, sich die eigene Sprache und eigene Worte zurückzuerobern, bzw. neu zu entwickeln und die Erfahrung zu machen, damit in Kontakt mit einem Gegenüber zu sein, der sich verständnisvoll, empathisch, gleichberechtigt anfühlt.

Ich ärgere mich immer wieder sehr darüber, dass nonverbale Therapiemethoden meistens nicht von Krankenversicherungen finanziert werden. Tiergestützte Therapie, Musiktherapie, körpertherapeutische Methoden, Kunsttherapie, Reittherapie, Tanztherapie, usw.- es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten, wie traumatisierten Menschen geholfen werden kann, besonders auch dann, wenn eine Sprache fehlt (aus welchen Gründen auch immer) oder eben (verbale) Worte nicht das bevorzugte Ausdrucksmittel sind. Nichts davon bekommen Betroffene „einfach so“: Es ist immer mit viel Beantragungskampf und Ablehnung verbunden. Und dann steht man wieder da und weiß nicht, was man sagen soll…

Wir (und) Skeptiker*innen

Skepsis:

eine altgriechische Bezeichnung für Sehen, Betrachten, Untersuchung, Überlegung

Gestern:

Ich lese in einem unserer Texte aus dem Jahr 2017, der sich mit der „False Memory Syndrom Foundation“ beschäftigt:

Wenn Ihr als Psychotherapeuten*innen oder anderweitig Unterstützende von FMSF-Anhänger*innen kontaktiert und/oder verbal angegriffen werdet, geratet nicht in Panik oder wilden, undurchdachten Aktionismus. Achtet auf eine gute, professionelle, sachliche Sprache in der Öffentlichkeitsarbeit (Medien, Interviews, u.a.). Sammelt wissenschaftlich fundierte Gegenargumente und erinnert Euch an eigene Erfahrungen während Eurer Arbeit.

Bildet ein Netzwerk, schließt Euch zusammen, benennt die täterfreundlichen Argumente als das, was sie sind und bitte, bitte lasst Euch nicht von Eurer Unterstützung abhalten!“

Heute:

Wir zweifeln.

Wir zweifeln daran, dass Wahrheit immer Wissenschaft braucht.

Beweise, Belege, Erkenntnisse sind manchmal uneindeutig; manchmal fehlen sie ganz; manchmal lassen sie sich einfach nicht finden oder werden bewusst versteckt. Die Wahrheit ist manchmal trotzdem da, genau wie eine Lüge, die man auch ohne Detektor mit allen Sinnen, Kopf und Bauch erkennt. Vor Gericht ist das problematisch. Anderswo nicht unbedingt.

Wir zweifeln genauso daran, dass „Wissen“ immer Recht hat.

Pro und contra abwägen, sich ein Bild machen, vielseitig recherchieren, hinterfragen, sich mit anderen austauschen- all das ist unverzichtbar, wenn man eine Meinung, eine Haltung zu etwas entwickeln möchte. Wenn etwas Hand und Fuß haben soll, dann muss man sich auch mit unbequemen, komplizierten Aspekten einer Sache auseinandersetzen, die herausfordernd für den eigenen Horizont ist. Und es braucht Beweglichkeit und Offenheit im Denken, Reflektieren, Verstehen.

Nicht alles, was immer schon so war, bleibt auch ewig so; nicht alles, was heute logisch erscheint, hat morgen noch Bestand; und nicht alles, was man gestern begriffen hat, muss übermorgen noch valide und evidenzbasiert sein. Dinge ändern sich.

Gestern:

Ich schaue mir aus Recherchegründen Youtube- und Instagram-Videos und verschiedene Profile und Diskussionen auf Social Media an, von denen wir uns sonst fernhalten. „Dissoziative Identitätsstörung“ begegnet mir als scheinbar „fancy Thema“ immer wieder (und zwar international)- wie oft haben wir schon nach wenigen Sekunden Videos gestoppt, weil uns der Eindruck „reine Selbstdarstellung“ oder „reißerische Berichterstattung“ den Ekel in den Hals trieb.

Es gibt Menschen, die eine DIS bewusst faken und es gibt Menschen, die dieses Thema nutzen, weil es „spannend“, exotisch oder passender Inhalt für „true crime-Formate“, oder „besondere Dokumentationen“ ist. Die DIS als „Pushing-Mittel“ um einen Kanal, Account, Profil bekannter, sichtbarer zu machen.

Menschen, die sich mit gespielten Selbstinszenierungen als „Viele“ im Internet präsentieren, nur um Aufmerksamkeit, Likes, Klicks, etc. zu bekommen, schlagen so mit Anlauf und Karacho jeder/jedem einzelnen „echten“ Betroffenen ins Gesicht- und bieten selbsternannten „Skeptiker*innen“ jeglicher Couleur exzellentes Futter.

Medienmacher*innen und sonstige Content veröffentlichende Personen, die die DIS und/oder die Gewaltzusammenhänge dahinter gnadenlos ausschlachten, um zu provozieren, zu spalten, zu schockieren, „Einschaltquoten zu erhöhen“ oder anderswie ihr Ego zu befriedigen, dienen den passiven und aktiven Täter*innen und werden so Teil ihrer Lobby.

Ich frage mich: Wo lohnt es sich, etwas zu kommentieren, zu ergänzen, zu kritisieren, zu teilen? Wie viel Energie fließt mit welchem Nutzen wo hin?

Mit wem möchten wir warum worüber kommunizieren?

Heute:

Wir zweifeln.

Wir zweifeln daran, dass jene, die am lautesten, schillerndsten, professionellsten, machtvollsten brüllen, immer auch wirklich Bedeutsames zu sagen haben.

Manche verfügen über eine große Lobby oder „Fangemeinde“, treffen den Zeitgeist, wählen angesagte Medien und Formate, sind sprachlich versiert oder clever genug zu delegieren; manche haben einfach Glück, sind ausreichend egozentrisch oder narzisstisch strukturiert, oder langweilen sich zu viel im Leben. „Es ist nicht alles Gold, was glänzt“- und es ist auch nicht alles öffentlich Sichtbare wichtig genug, um es sich zu merken, zu verinnerlichen, zu verbreiten oder stundenlang darüber zu diskutieren.

Meinungsfreiheit ist eine Medaille mit zwei Seiten- sie wertzuschätzen und verantwortungsbewusst zu nutzen, statt sie als Legitimation für shitstorm, „fake news“, „hatespeech“, „cybermobbing“, u.a. einzusetzen, müsste eigentlich selbstverständlich sein. Sich gegen „zu viel Gebrülle“ zu wehren, indem man sich zum Beispiel innerlich und/oder äußerlich distanziert, den Fokus verändert oder einfach auf den „Aus-Knopf“ drückt, bedeutet nicht, dass man verbohrt oder beratungsresistent ist.

Wir zweifeln genauso daran, dass Ignoranz Probleme beseitigt.

Alles, was anders denkt, fühlt, schlussfolgert oder fragt als ich, als Feind zu deklarieren, ist eine zu leichte Vorgehensweise- und ändert nichts am Dilemma. Dort, wo Kommunikation gewaltfrei, respektvoll und lösungsorientiert stattfinden kann, möge sie etabliert und dort, wo sich (Schein-)Argumente gegenseitig totschlagen wollen, bitte beendet oder verändert werden.

Gestern:

Ich höre mir die „Viele Leben“-Podcast-Folge an, in der wir mit Hannah C. Rosenblatt über Öffentlichkeitsarbeit sprechen.

Irgendwann taucht darin die Frage auf: „Was ist eigentlich Öffentlichkeitsarbeit?“- und während ich uns beiden zuhöre, denke ich an den Betroffenen-Aktivismus, der auf verschiedene Arten im Internet Fahrt aufgenommen hat, auch als Reaktion auf den abgesagten Fachtag in München.

DIS-Betroffene mit Erfahrungen ritueller/ritualisierter Gewalt, die sich zusammenschließen, „laut und sichtbar werden wollen“, sich nicht umwerfen lassen wollen vom Gegenwind der Skeptiker*innen, Verschwörungserzählenden, u.a.

Ich seufze: Warum müssen eigentlich immer „wir“ diejenigen sein, die erklären, initiieren, dranbleiben, aufschreien, Lösungsvorschläge machen, arbeiten? Wenn wir´s nicht tun, macht´s keiner? Wenn wir´s nicht (aus-)halten, hält´s eben nicht?

Welchen „Content“ produzieren „wir“ denn jetzt, wie viele Kapazitäten haben „wir“ denn für Grundsatzdiskussionen über die Existenz ritualisierter, ritueller oder sonstwie organisierter Gewalt und deren Folgen? Woran arbeiten wir uns ab für welches Ziel?

Und wer macht da noch mit?

Heute:

Wir zweifeln.

Wir zweifeln am Absoluten. Wir brauchen „sowohl…, als auch…“.

Wir wägen ab, relativieren, suchen Schnittstellen und finden sogar welche.

Wir erkennen Logik in Argumentationen gegen die „satanische Weltverschwörung“ und wir sehen, dass es Fehlerinnerungen, Suggestionen, Fehldiagnosen, Falschbehandlungen, Grenzüberschreitungen, u.a. gibt.

Wir spüren die Gefahr der Konsequenzen, die das Narrativ vom „Märchen des rituellen Missbrauchs“, der „satanic panic“, für Betroffene haben kann.

Weil es „absolut“ werden und das „sowohl…, als auch…“ darin verschwinden kann.

Skepsis:

ein Fremdwort für Zweifel und Zurückhaltung des Urteils

Wenn Störer*innen triumphieren: Zur Absage des Fachtages zu organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt in München

Wir haben von der Absage des geplanten „2. Münchner Fachtages zu organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt“ gelesen und kauen an der nebulösen, unklaren Begründung des „TraumaHilfeZentrums München“ herum:

Auch in der aktuellen Berichterstattung verbreiten sich unterschiedliche Narrative (zu oben genannten Gewaltformen; vor allem leugnende Narrative, Anmerkung der Autorin) zunehmend. Diese Medienberichte haben keinen direkten Bezug zu unserer Veranstaltung, aber möglicherweise negative Auswirkungen auf Beteiligte, weil sie auch fachliche Verzerrungen enthalten und zum Teil falsche (ideologische) Zusammenhänge herstellen.

Leider haben diese Entwicklungen dazu geführt, dass wir uns als Organisationsteam derzeit nicht inr Lage sehen, einen sicheren Raum für einen offenen und fachlich produktiven Austausch zwischen allen Beteiligten zu gewährleisten. Wir haben uns daher entschieden, den 2. Münchner Fachtag zu organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt zu verschieben, bis wir einen sicheren und störungsfreien Rahmen für die Veranstaltung und für die Weiterführung des fachlich und politisch differenzierten Trialogs zwischen Betroffenen, Angehörigen und Fachleuten herstellen können.“

Wie wir inzwischen erfahren haben, beziehen sich die Befürchtungen der Veranstalter*innen, mancher Referent*innen und „Betroffenenvertreter*innen“ konkret auf Einflüsse und Störungen durch Anhänger*innen der sogenannten „False Memory Syndrom- Bewegung“ und „Satanic-Panic“-Vertreter*innen. Deren Präsenz in diversen Medien und in verschiedenen mehr oder weniger einflussreichen sozialen Positionen, ist nicht neu- wurde aber in letzter Zeit massiver und zerstörerischer (siehe auch Backlash in der Schweiz).

Wer sich mit den Argumentationen, Haltungen, öffentlichen Vertreter*innen und Konsequenzen dieser Bewegungen näher beschäftigen möchte, möge sich bitte eigenverantwortlich informieren. Wir bieten diesen Inhalten auf diesem Blog keine Plattform. Ein Wiederlegen der Theorien ist sowohl durch wissenschaftliche Erkenntnisse, als auch durch öffentlich berichtete Ereignisse unkompliziert möglich: Organisierte sexualisierte und rituelle Gewalt existiert; es gibt Gruppierungen und Netzwerke, die Darstellungen sexualisierter Kinderfolter verbreiten (und damit ja auch teilweise auffliegen!) und die Folgen dieser und anderer massiver, langjähriger Gewalttraumatisierungen (z.B. die Dissoziative Identitätsstruktur) sind inzwischen auch über bildgebende Verfahren im Gehirn erkennbar. Punkt.

Wir verstehen, dass Befürchtungen aufkommen, durch Störungen oder Einflussnahmen in der Durchführung eines Fachtages so sehr gestört zu werden, dass er inhaltlich, qualitativ, personell, ideell leidet. Wir verstehen auch, dass „sichere Räume“ wichtig sind. Wir verstehen, dass abgewogen werden muss, wie viel Gegenwind eine Institution oder Einzelpersonen tragen kann/können, ohne zu viel Schaden zu nehmen oder komplett diskreditiert zu werden.

Und wir verstehen uns und andere Betroffene: Wut, Enttäuschung, Erschütterung- Was für ein folgenreiches Signal wird durch die Absage zum jetzigen Zeitpunkt nach außen gesendet?! Es ist wie ein Einknicken, ein Zurückrudern oder auch „sich verstecken“- dort, wo Sichtbarkeit so wichtig wäre!

Die veröffentlichte Begründung des THZM ist unserer Ansicht nach viel zu vage und befeuert Spekulationen, die erst durch Nachfragen bestätigt oder korrigiert werden können. Warum wurde nicht konkret benannt, welche Narrative und welche Störungen gemeint sind? Warum ist es offenbar nicht möglich, diesen „Gegenwind“ aufzugreifen und mit gezielten, wissenschaftlich fundierten Argumentationen auszuhebeln- um dann wieder Raum und Energie für den eigenen Fokus zu haben? Warum gibt es anscheinend keine Optionen, einen Fachtag auch personell so zu sichern, dass Störungen entweder vermieden, oder aber schnell unterbrochen und beendet werden können? Warum werden Veranstalter*innen, Referent*innen, Workshopleiter*innen u.a. nicht viel lauter, sichtbarer, präsenter mit dem, was jetzt gerade ist und wie ihre Haltungen und Erfahrungen dazu aussehen?!

Betroffene organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt haben meistens ihr ganzes Leben lang mit Gegenwind zu kämpfen. Sie müssen flüchten, sich verstecken, sich anonymisieren; werden angezweifelt, ignoriert, im Weiterkommen behindert; sind oft therapeutisch und medizinisch unterversorgt; erleben den Einfluss organisierter Täter*innengruppen und deren Lobby tagtäglich in ihrem Innern und im Außen. Und wenn sie sich für ihr Leben entscheiden, statt sich zu suizidieren, haben sie keine andere Wahl, als sich mit all dem auseinanderzusetzen.

Wir haben in den letzten beiden Jahren in der Peer- und An-/Zugehörigenberatung so viele Menschen (mehr oder weniger) kennengelernt, die voller Mut, Wut, Hoffnung, Lebendigkeit, Kreativität, Resilienz usw. daran arbeiten, „trotz allem“ / „mit allem“ leben zu können. Es waren Menschen mit Dissoziativer Identitätsstruktur, Freund*innen, Partner*innen, Verbündete, professionelle Helfer*innen- und immer wieder haben wir gelesen, wie groß der Wunsch nach Vernetzung, Verbindung und Austausch mit anderen ist: Als Gegenpol zur Macht der Täter*innen. Als Erleben von Handlungsfähigkeit!

Wir brauchen Menschen, die bereit und fähig sind, Gegenwind auszuhalten und umzuleiten. Die sich nicht einschüchtern lassen und wissen, wie wichtig ihr Engagement ist. Die sich trauen, über Bullshit zu lachen und eine*n plumpe*n Angreifer*in mit zwei Griffen auf die Matte zu schicken. Die furchtlos, aber nicht naiv sind. Die es schaffen, ihren eigenen Fokus im Blick zu behalten. Und die Freude daran haben, ihr eigenes Wissen und den eigenen Horizont stetig zu erweitern.

Liebes TraumaHilfeZentrum München, liebe Mit-Gestalter*innen, wir hoffen, dass es bald einen neuen Termin für den geplanten Fachtag gibt.

Wir hätten uns gewünscht, Ihr wärt lauter und sichtbarer geworden, statt den befürchteten Störer*innen das Feld für ihren (medialen) Affenzirkus so sang- und klanglos zu überlassen.

langsam sein

©PaulaRabe

Zarte Berührungspunkte.

Schön, so etwas im Außen mitzuerleben, bei Menschen und Tieren. Und schön, auch im Innern Kontakt wahrnehmen zu können, der sich wohlwollend, freundlich oder sogar liebevoll anfühlt.

Einander innen zu begegnen, kann ganz unterschiedlich aussehen: Über sprachliche, schriftliche, wörtliche Kommunikation, malen, gestalten, Zettelchen, Tagebücher, wie und was auch immer.

Und/Oder über “Gedankenaustausch“, so ähnlich wie “Stille Post“, vielleicht auch ohne Wortsprache, über Gefühle, Impulse, Träume, Intuition…

Dissoziative Barrieren abzubauen und offener zu werden für die Wahrnehmung der “Anderen“ braucht viel Geduld, Behutsamkeit, Kreativität und Bereitschaft. Auch klare Entscheidungen dafür, ja.

Amnesien lösen sich nicht von jetzt auf gleich auf und “Co-Bewusstsein“ entsteht eher fließend, statt schlagartig. Zum Glück! Wie gut, dass es langsam gehen darf und kann und muss- damit auch alle im Innern mitkommen können.

Strukturelle Dissoziation, bzw. eine Dissoziative Identitätsstruktur, wurde durch massive Gewalt etabliert- und sollte somit auch nicht mit der Holzhammermethode bearbeitet werden.

Sanktionen -egal ob objektiv so gemeint oder subjektiv so empfunden- für dissoziatives Reagieren sind wiederholte Gewalt: Zum Beispiel in Hilfekontexten wie Kliniken, Betreutem Wohnen, Jugendhilfeeinrichtungen, u.a.

Traumatisierte Menschen, die aufgrund innerer dissoziativer Kontaktlosigkeit bestimmte Verhaltensweisen nicht oder nur sehr langsam verändern können, mit Ignoranz, Abwertung, Entlassung, Verlassen, o.a. zu “strafen“, ist gewaltvoll.

Die Logik, das Ganze sei im Sinne einer Verhaltensmodifikation pädagogisch/psychologisch wert- oder sinnvoll, erschließt sich uns nicht.

Punkt.

Für 2023

©PaulaRabe

Zum Jahresende gibt’s hier einen Ausblick auf 2023 in Form eines Bilderrätsels.

Menschen, die mit dem Thema “Trauma(folgen)“ beschäftigt sind, sind bei der Auflösung klar im Vorteil- sofern sie sich auch schon näher mit dem Gehirn und seinen Strukturen befasst haben. 🙂

Wir wünschen uns und der Welt, dass 2023 friedlicher wird als 2022. Dass immer mehr Menschen sich gegen Gewalt und für Liebe und Besonnenheit entscheiden.

Dass positive Veränderungen stattfinden dürfen statt Lähmung oder Erstarrung.

Dass neue, kreative, menschenfreundliche Gedankengänge, Ideen, Alternativen wachsen dürfen.

Dass nichts so bleiben muss, wie es schon immer war. Dass alte Trampelpfade durch neue ersetzt werden.

Damit diese Wünsche verwirklicht werden können, braucht’s unter anderem jede Menge Futter für alle Seepferdchen in den Köpfen der Menschen. Weniger Input und Aktivierung der Mandelkerne.

Und das ist auch schon die simple Auflösung unseres Bilderrätsels:

Der Hippocampus (“Seepferdchen“) ist (nicht nur) in Sachen “Traumaheilung“ ein oberwichtiger Teil des menschlichen Gehirns: Hier werden neue, positive Erfahrungen gespeichert – z.B. heilsame Bindungen, schöne Erlebnisse, kreatives Lernen, usw.

Im Gegensatz dazu hält ein hochaktiver Mandelkern (Amygdala) Traumastrukturen aufrecht, feuert Alarm, verursacht Emotionschaos und Flashbacks.

Das Gute ist: Das Seepferdchen kann wachsen durch richtiges Futter und der Mandelkern kann wieder schrumpfen (Stichwort Neuroplastizität).

Und das wünschen wir der ganzen Welt:

Gut genährte, wertgeschätzte Seepferdchen für Klein und Groß und nicht noch mehr Wachstum für die Mandelkerne.

Dezemberfreude #24

©PaulaRabe

In der Küche wird gerade für uns gekocht. Wir müssen nichts tun, dürfen einfach nur so auf dem Sofa sitzen. Beide Katzen sind wohlauf und dösen in unserer Nähe. Draußen ist es ruhig und friedlich, im Haus ist es warm, aufgeräumt, sicher. Nachbar*innen haben schon gegrüßt und “Frohe Weihnachten“ gewünscht. Freundlichkeit… Durchatmen können…Halt erleben… Licht wahrnehmen…

24 Lieblingsmomente in den vergangenen Tagen. So große Dankbarkeit für das, was uns Gutes weiterfährt und für das, was wir uns selbst ermöglicht und erarbeitet haben.

Erinnerungen und Gedanken an jene, denen all das fehlt. Die keine Chance bekamen oder im Heute um jede einzelne unbeschreiblich hart kämpfen müssen.

Manche kommen nicht raus aus der Gewalt. Manche werden weder gesehen noch bedacht.

Dankbarkeit für’s Lebendürfen und Lebenkönnen, trotz allem. Und viel Liebe und Licht für Jene, denen es anders geht.

So fühlt sich das hier gerade an, in diesem Moment.

Dezemberfreude #23

©PaulaRabe

So, ich hab uns schon mal unser “feierliches“ Outfit für morgen zurechtgelegt. Was auf dem Foto noch fehlt: Die ausgebeulte Lieblingsjogginghose und die Regenbogen-Wollsocken.

Das Schöne an unserer Lebensform mit Wahlfamilie statt “Ursprungsfamilie“ ist: Wir können Weihnachten machen, was wir wollen. Shirt statt Bluse, Fritten statt Gans, “Klingel aus!“ statt braver Verfügbarkeit.

Wenn wir wollen, können wir morgen und übermorgen und überübermorgen den ganzen Tag fernsehen. Oder lesen. Oder aus dem Fenster schauen. Oder puzzlen. Oder was auch immer.

Wir dürfen schlecht gelaunt, traurig, müde oder auch glücklich und zufrieden sein. Wir müssen niemanden pflichtbewusst beschenken, anrufen oder besuchen. Wenn wir in eine Krise rutschen, können wir ihr unsere volle Aufmerksamkeit geben. Nichts muss, alles mögliche kann und darf.

Das ist unser größtes, bestes und wichtigstes Weihnachtsgeschenk: Persönliche Freiheit.

Und Euch wünschen wir dieses Erleben auch!

Dezemberfreude #22

©PaulaRabe

Da wird sie doch noch sichtbar an diesem grauen Tag: Die Sonne. Hinschauen, lächeln und sich getröstet fühlen.

Merken, wie sich etwas innen regen darf, das so lange tabu und verboten und unmöglich war: Hoffnung und Zuversicht.

Es ist okay, sich zu erlauben, auch auf etwas Großes und Wichtiges zu hoffen: Frieden, Gesundheit, Sicherheit, Versorgtsein, Mitmenschlichkeit, Besserung ganz allgemein.

Es ist nicht naiv, dumm oder vermessen, an etwas Gutes zu glauben. Und man riskiert auch nicht, dass sich automatisch alles zum Schlechten wendet, wenn man hofft, sehnt, wünscht.

Solche traumaassoziierten Überzeugungen können sich sehr hartnäckig innerlich halten – umso schöner, wenn mit der Zeit spürbar wird, dass sich da etwas bewegt und sogar auflöst.

In diesem Sinne: Hoffnungsstrahlen sehen und fühlen = Lieblingsmoment des Tages