Wie wichtig ist Sprache bei der Verarbeitung von Traumata? Was ist, wenn die Worte fehlen? Oder wenn das Gegenüber meinen Ausdruck nicht versteht?
Wie bedeutend ist Sprache bei menschengemachten Gewalttraumatisierungen?
Das ganze menschliche System ist in der Gewaltsituation beschäftigt mit Überleben und im Gehirn ist der „Sprachbereich“ durch den Alarmzustand blockiert- und trotzdem können da Worte sein, vielleicht einzelne, vielleicht von dem/der/den Täter*innen gesprochen, vielleicht auch ein paar isolierte Gedankenfetzen- die innerlich verteilt abgespeichert werden.
Wenn bei der inneren Auseinandersetzung mit den traumatischen Erlebnissen, evtl. innerhalb einer Psychotherapie, versprengte Erinnerungsfetzen wahrnehmbar werden und es darum gehen soll, sie zu einem „Ganzen“ zusammenzufügen, dann braucht es dafür eine oder mehrere Sprache(n)- vor allem für den/die Betroffene*n selbst.
„Fetzen“, bzw. Erinnerungsbilder sortieren und ordnen zu können, für sich selbst verstehbar zu machen, ist ein wesentlicher Teil von Traumatherapie, bzw. Traumaverarbeitung. In diesem Prozess kompetent und vertrauenswürdig im Außen begleitet zu werden, ist wichtig, wertvoll und nicht selbstverständlich- leider. Passende Therapieplätze sind rar und das Stundenkontingent ist durch die Krankenkassen nicht bedarfsgerecht reglementiert. Freund*innen, Partner*innen, privat Unterstützende können nicht alles auffangen.
Und was, wenn man einfach nicht die Worte dafür hat, begreifbar zu machen, was innen passiert, was man fühlt/denkt/erlebt? Was, wenn man immer wieder ein Isolationsgefühl, Alleinesein, Verlassenheit, Einsamkeit erlebt, weil die Auswirkungen der Traumatisierung(en) ein Versprachlichen unmöglich machen? Nicht selten beschreiben Betroffene ein „Aliengefühl“, ein Abgeschnittensein von der Welt- und gleichzeitig beschreiben Unterstützende immer wieder auch das Hilflosigkeitsgefühl, wenn es schwer ist, den Kontakt zu halten, sich einzufühlen, zu verstehen, was vorgeht. Trauma schlägt tiefe Kerben.
Worte in der Therapie: Manchmal gerät man dabei an Grenzen und dann geht’s einfach nicht mehr mit dem Sprechen weiter. Wir kennen es, an einen Punkt zu kommen, an dem das Quatschen aufhören muss und will. An dem es über Körperausdruck oder mit kreativen Mitteln weitergehen soll. Es scheint, als erreiche man tieferliegende Schichten innerhalb des Viele-Systems weitaus besser nonverbal, als verbal. Wie gut, wenn es eine*n Therapeut*in gibt, die/der da flexibel ist und mitgehen kann.
Schweigen. Stundenlang. Manchmal gut, mit einer tröstenden Hand auf der Schulter. Manchmal quälend, weil dumpf und brütend und ohnmächtig. Manchmal ein Zeichen von „zu viel“, manchmal eins von „zu wenig“. In jedem Fall auch ein Ausdruck. Und ein Signal, das verstanden werden will: Warum hört das Sprechen an einem bestimmten Punkt in der Therapie auf? Geht es nicht oder will man nicht? Was wird damit gezeigt? Wo befindet man sich gerade in der inneren Puzzlearbeit? Das Schweigen „brechen“ als gewaltvoller, im Außen initiierter Akt ist jedenfalls keine Option! Das Schweigen verstehen- darum geht’s.
Wenn es im Therapieprozess hakt, kann es mit dem Verstehen zu tun haben. Zwei oder mehr Menschen sprechen aneinander vorbei, erreichen und berühren sich nicht. Mag sein, dass es um eine Beziehungskrise geht- oder auch um die Problematik von Worten: Meinen wir das gleiche? Was bedeutet dieses oder jenes Wort für Dich und was verstehe ich darunter? Assoziierst Du etwas? Was schwingt zwischen den Zeilen mit? Sachebene, Emotionsebene, Appellebene, Selbstmitteilung- was hörst Du wo? Schweigst Du wütend oder traurig oder anders?
Neben all dem kann Sprache auch „versiegelt“ worden sein: Besonders wenn mind control angewandt wurde, kann Betroffenen jeglicher verbaler Ausdruck (besonders zu Erinnerungsfragmenten) versperrt sein. Manchmal können einzelne Worte auch vollkommen tabuisiert werden, von Täter*innen sanktioniert. Uns zum Beispiel ist es jahrzehntelang fast unmöglich gewesen, manche Körperbereiche (besonders Geschlechtsorgane) zu benennen, bzw. auszusprechen. Es war nicht nur ein Aspekt von Scham oder Hemmung, sondern vor allem ein Aspekt von tätergemachter Sprechblockade. Als wir 2003 Strafanzeige erstatteten, wurden wir sehr deutlich mit der darin liegenden Problematik konfrontiert: Eine Aussage bei der Polizei braucht konkrete Angaben, als „da unten“ und „das da“.
Heute können wir wahrnehmen, wie erleichternd es sein kann, sich die eigene Sprache und eigene Worte zurückzuerobern, bzw. neu zu entwickeln und die Erfahrung zu machen, damit in Kontakt mit einem Gegenüber zu sein, der sich verständnisvoll, empathisch, gleichberechtigt anfühlt.
Ich ärgere mich immer wieder sehr darüber, dass nonverbale Therapiemethoden meistens nicht von Krankenversicherungen finanziert werden. Tiergestützte Therapie, Musiktherapie, körpertherapeutische Methoden, Kunsttherapie, Reittherapie, Tanztherapie, usw.- es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten, wie traumatisierten Menschen geholfen werden kann, besonders auch dann, wenn eine Sprache fehlt (aus welchen Gründen auch immer) oder eben (verbale) Worte nicht das bevorzugte Ausdrucksmittel sind. Nichts davon bekommen Betroffene „einfach so“: Es ist immer mit viel Beantragungskampf und Ablehnung verbunden. Und dann steht man wieder da und weiß nicht, was man sagen soll…