Krank sein aushalten

©PaulaRabe

Von uns selbst und anderen Menschen mit DIS kennen wir dieses “Stehauf“-Phänomen: (Alltägliche) Körperliche Erkrankungen, wie z.B. grippale Infekte, werden erstaunlich schnell kompensiert. Man liegt nicht lange krank im Bett und lässt sich Zeit bei der Genesung, sondern ist nach kurzer Zeit (vermeintlich) fit wieder auf den Beinen – und funktioniert im Alltag.

Sicherlich spielen dabei verschiedene Aspekte eine Rolle – und wenn man tatsächlich Glück hat, einfach zügig zu genesen, ist das ja wunderbar.

Wir kennen aber auch Zusammenhänge mit früheren Gewalterfahrungen: Der Körper MUSSTE lernen, unter allen Umständen schnell wieder auf die Beine zu kommen.

Im Bereich der langjährigen organisierten, sexualisierten Gewalttraumatisierungen verinnerlicht ein Körper genau dieses geforderte Stehauf-Phänomen.

Es gab damals einfach keine Zeit, keinen Raum, keine Erlaubnis, langsam zu sein.

Und heute ist “krank sein“ für Betroffene häufig sehr stressbelastet, gerade wenn es sich um Alltagskrankheiten handelt: Schwäche kann kaum ausgehalten werden. Der Körper gerät in Hochspannung. Es “muss“ so schnell wie möglich alles wieder “normal“ (=funktional) sein.

Manche kennen es andererseits auch, quasi jede kursierende Infektion mitzunehmen und ausgeknockt zu sein – auch das kann die körperliche Folge langjähriger Gewalterfahrungen sein.

Und wie kann es dann gehen, dem Körper Zeit zu lassen, sich zu erholen? So lange, wie er es vorgibt und nicht, wie “der Kopf“ es diktiert? Habt Ihr Ideen dazu?

Wir selbst bewegen uns gerade im Spannungsfeld zwischen “krank sein akzeptieren (müssen)“ und “Funktion wieder herstellen (wollen)“:

Nächste Woche lesen und sprechen wir in Lüchow-Dannenberg. Seit heute früh sind wir Covid-positiv. Sollten Tests am Wochenende noch positiv sein, muss die Veranstaltung ausfallen.

Wir wissen, dass sich unser Körper üblicherweise sehr schnell berappelt, obwohl im Hier und Jetzt genau das Gegenteil heilsam wäre. Aber die Veranstaltung ist uns wichtig. Und unabhängig davon ist unsere eigene Anerkennung von (körperlicher) Schwäche ganz generell noch ausbaufähig.

Vielleicht kennt Ihr das auch?

Buchrezension: Worum es geht (Autismus, Trauma und Gewalt) von H.C.Rosenblatt

Worum es geht“ erfährt man in 32 Kapiteln, gut sortiert, klar, deutlich und ohne Schnickschnack: Hannah erzählen aus eigenem Er.Leben, vom Ringen um Verstehen und Verstandenwerden, nehmen den/die Leser*innen mit auf eine persönliche „Forschungsreise“- doch spätestens nach der Einleitung ist klar: Es geht gar nicht nur um Hannah. Es geht um uns alle.

Hannah C. Rosenblatt leben mit einer Dissoziativen Identitätsstruktur (DIS) und einer sogenannten „Autismus-Spektrum-Störung“ (ASS). Nach ihrem ersten Buch „aufgeschrieben“ haben sie nun „Worum es geht“ im Verlag „edition assemblage“ veröffentlicht und bloggen zudem auf Ein Blog von Vielen.

Autismus, Trauma und Gewalt- sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen, bedeutet, die Bereitschaft aufbringen zu müssen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten festzustellen und anzuerkennen. Vor allem dort, wo Verbindungen geschaffen werden sollen. Und die braucht man, wenn Menschen zusammen eine Gesellschaft bilden- und wenn es darum gehen soll, strukturelle Gewalt zu verändern oder ganz zu beenden.

Hannah beleuchten in ihrem Buch einerseits sachlich und fachlich, andererseits auch persönlich und berührend verschiedene Aspekte autistischen und dissoziativen Er.Lebens. Sie lassen uns teilhaben, obwohl da so viel Angst vor Sichtbarkeit ist: Wer bin ich und warum? Wer sind „die anderen“? Was war, was ist? Was war dieses „das da“? Was brauche ich (nicht)? Und was haben „alle“ damit zu tun?

Hilfe braucht, wer hilflos ist…“ schreiben Hannah- und zeigen auf, wo und wie „Hilfe“ traumatisieren kann; inwiefern Menschen etwas davon haben, andere in ihrer Hilfosigkeit zu halten, statt sie zu ermächtigen; warum sich in unserer Gesellschaft Gewalt als „Normalität“ so hartnäckig hält und was es brauchen würde, um wirklich etwas zu verändern.

Das Buch wirkt wie ein Spiegel, wenn man sich darauf einlässt. Wenn man es sich nicht bequem macht, oder eine berührende kleine Biographie einer „exotischen Einzelperson“ erwartet. Wenn man es in sich arbeiten und wirken lässt und sein Ego dabei etwas zur Seite stellen kann. Wenn man neugierig ist auf Neurodiversität, Differenzen und Gleichheit, auch und gerade dort, wo es weh tut.

Worum es geht“ ist ein wichtiges, wertvolles, schlaues und schonungslos inklusives Buch, geschrieben von mutigen Autor*innen, die Hände reichen, statt anzuklagen.

Jede*r, der/die bereit ist, über den eigenen Tellerrand und vor allem die eigene Komfortzone hinauszugehen, sollte es lesen. Am besten mehrfach.

Ich teile das alles, weil ich glaube, dass in Kontakt miteinander zu gehen, Ver.Bindung anzubahnen und darüber Empathie, Mut, Kraft zu entwickeln, wichtig ist, um das gute Leben für alle zu gestalten. Das gute Leben, das wir alle verdient haben.

(H.C. Rosenblatt, „Worum es geht“, Seite 20)

Dieser Text enthält unbezahlte Werbung. Ich habe ein kostenloses Rezensionsexemplar von H.C. Rosenblatt erhalten.

In Erinnerung behalten

Wir denken an jene Menschen, die in organisierten Gewaltzusammenhängen getötet worden sind.

Wir denken an jene Menschen, die wir kannten und an jene, die offiziell nie existierten. Oder die der Welt außerhalb der Täter*innengruppe so egal waren, dass niemand nach ihnen fragte.

Wir denken an Kinder, Jugendliche und Erwachsene; an Schock und Ohnmacht und Fragmentierung; an Sprachlosigkeit und Verzweiflung und an Etagenbetten, französische Lieder und Blau.

Wir denken an Vornamen und Gesichter, an Wartezeiten, Kälte und dünne Haut; an Autobahnrattern, Nylonstrumpfhosen, Amsterdam und Lüttich. Wir denken nicht nur- wir hören, sehen, riechen, schmecken, fühlen. Wir erinnern.

Wir sind nicht die Einzigen, denen es gerade so geht.

Wo und wann haben Überlebende Möglichkeiten, über das zu sprechen, was sie (mit)erlebt haben?

Wo und wann können Details benannt und offengelegt werden, außer vor Strafverfolgungsbehörden oder in der einen oder anderen Psychotherapie?

Wer hört sich all das an, kann es ertragen und bleibt?

Wer ist bereit, den Weg -oder einen Teil davon- so mitzugehen, dass der/die Betroffene sich gesehen, gehört, verstanden und vielleicht auch getröstet fühlt?

Wo ist dieser Moment von “nicht alleine damit sein“?

Wir denken an die Osterferien 1994. Wir denken an E. Wir erinnern. Und wir haben Vertrauten von ihr erzählt. Sie kann nicht mehr vergessen werden, weil wir es nicht zulassen. Dafür braucht es auch Menschen, die bereit sind, mit uns auf die Realität zu schauen und sie als solche anzuerkennen.

An diesen Tagen und an den anderen.

Es geht um alle(s)

©PaulaRabe

“Es darf gut sein.

Es darf sich sicher anfühlen.

Es darf Freude und Liebe und Freiheit bedeuten.

Es darf sich beruhigen und genügend Atem haben.

Es darf Pläne, Träume, Sehnsüchte beinhalten.

Es darf erlaubt sein.

Es darf Dein Leben sein.“

Jeder einzelne Mensch, der sich für ein Ende der Gewalt entscheidet, der fühlt und weiß, dass eine Grenze lebensnotwendig ist, sollte dabei so viel Unterstützung bekommen, wie er/sie braucht und will.

Da geht es nicht um Einzelschicksale.

Es geht um unsere Welt als Ganzes.

Betroffenen zuhören und mit ihnen sprechen

Weil es nicht oft genug wiederholt werden kann

– gegen das Gebrüll der sogenannten Skeptiker*innen und False Memory-Anhänger*innen

– für eine betroffenenfreundliche, sensible Berichterstattung:

Radiofeature zu organisierter und ritueller Kinderfolter aus dem Jahr 2021:

https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-dok5-das-feature/audio-kinderfolter—sexuelle-gewalt-in-organisierten-und-rituellen-gruppen-102.amp

Gastbeitrag: Wenn die Freundin parteiisch mitwütet

H. ist seit 24 Jahren unsere Freundin. Sie hat uns schon mit einem Baseballschläger beschützt, sich ein Hotelbett mit uns geteilt, obwohl wir uns erst seit ein paar Monaten kannten, uns in Notfällen begleitet, uns bei der Flucht vor Täter*innen unterstützt, usw.

Jetzt hat sie den ersten Leserinnenbrief ihres Lebens geschrieben und uns erlaubt, ihn hier zu teilen. Er ist für uns ein berührendes, stärkendes, wunderbar wütendes Beispiel ausdrücklicher Parteilichkeit, das sehr gerne auch andere Menschen inspirieren und ermutigen möge.

Danke, H.!

“Leserbrief an den Spiegel, zur Ausgabe Nr. 11, 11.03.23, zum Artikel: Psychische Gewalt, Seite 36

Ein äußerst reißerischer Artikel – Mit dem Verbreiten von Halbwahrheiten und kollektivem Wegsehen wird hier u.a. ganz klar Täter:innen-Schutz betrieben!
Das ist fatal für alle Betroffenen von organisierter, ritueller, sexualisierter Gewalt!

Alleine die Aufmachung des Artikels, der Titel und dazu die extremen Bilder – ohne Triggerwarnung! – ist verantwortungslos!

Dass es einzelne Therapeut:innen gibt, die seit Jahren mit Opfern von organisierter, ritueller, sexueller Gewalt arbeiten und mittlerweile davon ausgehen, dass Menschen mit einer dissoziativen Identitätsstruktur (DIS) immer organisierte, rituelle Gewalt erlebt haben, mag sicherlich stimmen. Die Maßgabe, sich an alles erinnern zu müssen, ist fatal für die Betroffenen und provoziert Retraumatisierungen- Ja, fehlgeleitete
Hilfeleistungen verursachen zusätzliches Leid! Bei allen.

Aber öffentlich zu leugnen, dass es daneben reale Erinnerungen an organisierte, rituelle, sexuelle Gewalt gibt und damit in Kauf zu nehmen, dass den Betroffenen der o.g. Gewalt evtl. noch
weniger Hilfeleistungen zukommen, geschweige denn ihnen geglaubt wird, ist schlichtweg ein Skandal! Das schützt die Täter:innen! Und diffamiert pauschal alle Therapeut:innen.

Nur weil dieses Ausmaß an menschengemachter, grausamer Gewalt so unglaublich scheint, heißt
das nicht, dass es sie nicht gibt!!!

Viele Betroffene haben diese Erinnerungen schon vor einem Therapiebeginn!
Wie ist es möglich, dass sich so viele Menschen, unabhängig voneinander, an Szenen organisierter, ritueller,
sexualisierter Gewalt erinnern?
Wer sollte und will sich solche Erinnerungen ausdenken?

DER SPIEGEL beschreibt selbst, wie veränderbar und beeinflussbar unsere Psyche ist. Wenn es möglich ist,
im Laufe einer Traumatherapie Erinnerungen zu suggerieren, kann man sich auch gut vorstellen, wie die
Psyche eines jungen Menschen funktioniert, der unter Folter und Todesangst manipuliert wird!
Es gibt „Mind-Control“, sog. Gehirnwäsche.
Warum sollten sich Täter:innen aus organisierten Gruppierungen dieses Wissen nicht zu nutze
machen? Es ist ein mächtiges Instrument!

Schon wegen ihrer Diagnose “DIS“ wird Betroffenen oft nicht geglaubt. Während ritueller Gewaltprozesse
werden den Opfern u.a. häufig Drogen verabreicht, zusammen mit Methoden der „Mind-Control“ wird die
Wahrnehmung der Opfer massiv beeinflusst, so dass Erinnerungen nur sehr mühevoll, in kleinsten
Puzzleteilen, zu Tage treten.
Ein Strafverfahren gut zu überstehen, was jahrelang dauern kann und bei dem Betroffene wiederholt
(struktureller) Gewalt ausgesetzt sind, ist leider immer noch unmöglich.
Die Aussicht auf Erfolg ist gleich Null (gut für alle Täter:innen!).
Obwohl es Fakten und Beweise gibt.

Ich bin eine langjährige Freundin von Menschen mit DIS. Ich hege absolut keinen Zweifel daran, dass
Kinder/Jugendliche organisierter, ritueller, sexueller Gewalt/Folter ausgesetzt sind!

Alle von Gewalt Betroffenen benötigen bedarfsgerechte Unterstützung und Schutz! Sie verdienen es, mit Respekt und Würde behandelt zu werden!

An den SPIEGEL: Ich werde mein langjähriges Abo kündigen! Es reicht.“

“PLURV im Spiegelmagazin“ von H.C.Rosenblatt

Es gibt so ein wichtiges Statement im “Blog von Vielen“ zu lesen, das wir hier gerne teilen möchten:

https://einblogvonvielen.org/plurv-im-spiegel/

Zitat:

“Wäre die Thematik eine andere, würde der Spiegelartikel als desinformierend überdeutlich sichtbar.
Es ist alles da: Pseudoexperten, Logikfehler, unerfüllbare Erwartungen, Rosinenpickerei, Verschwörungsmythen. „Im Wahn der Therapeuten“/„Im Teufelskreis“ ist ein PLURV -Text.
Und so sollte auch die Reaktion darauf sein.

Damit möchte ich jetzt alle ansprechen, die sich von dem ganzen Geschehen verunsichert fühlen.
Lest euch das Handbuch „Widerlegen, aber richtig“ (dt. Übersetzung des australischen „debunking handbook“ 2020) durch, bevor ihr aufklärende Texte schreibt oder in Gespräche mit Menschen geht, die Desinformationen verbreiten oder glauben.
Prüft euch und eure Argumentation darauf, ob ihr selbst in die „PLURV-Falle“ tappt, weil euch das Thema so wichtig ist oder es euch sogar selbst betrifft. In dieser Grafik von klimafakten.de könnt ihr euch anschauen, wie die „Desinformationsmaschine“ arbeitet. Auf der Webseite „sceptical science“ findet ihr noch mehr Taktiken, auf die ihr achten könnt.

Wir leben im Jahr 2023. Es gibt Fakten, es gibt Daten, es gibt eine Öffentlichkeit, die weiß, dass Kinder schwer ausgebeutet und misshandelt werden – und von der man erwarten kann, dass sie versteht, dass aus Kindern irgendwann Erwachsene werden. Gewalt ist kein gruseliges Schauertabu mehr und doch ist es offenbar noch sehr nötig, aktiv daran zu arbeiten, damit das so bleibt.
Der Spiegelartikel soll verunsichern. Er soll verwirren. Er soll ablenken.

Aber es gibt Wichtigeres zu tun.

(H.C.Rosenblatt, Ein Blog von Vielen)