Das (gezeigte) Bild der DIS

Eine dissoziative Identitätsstruktur sieht von Mensch zu Mensch unterschiedlich aus. Manchmal sind Persönlichkeitswechsel mit deutlich erkennbaren Veränderungen in Verhalten, Ausdruck, Ausstrahlung, Stimmlage, Mimik, Gestik, usw. verbunden. Wir erleben bei uns und anderen Betroffenen im analogen Leben meistens eher „unauffälligere Wechsel“: Die DIS ist für Außenstehende eben nicht auf den ersten Blick erkennbar. „Laute“ und „leise“ Symptome können phasenweise vorhanden sein. Die Stabilität von Alltagsfunktionalität und das Ausmaß an Kontrollverlust und Unterstützungsbedarf können schwanken. Nicht unbedingt dringt irgendwas von dem nach außen, was im Innen los ist.

Schwierig wird es, wenn medial (oder auch unter Therapeut*innen, u.a.) ein Bild einer „typischen DIS“ kreiert wird, das nicht der Lebensrealität vieler, vieler Betroffener entspricht: Wenn die (Un-)Glaubhaftigkeit einer Schilderung daran festgemacht wird, wie (un-)deutlich eine dissoziative Symptomatik außen sichtbar ist, haben alle, die nicht ins jeweilige Raster passen, ein Problem: Entweder du erscheinst zu „normal“ (=unauffällig), um wirklich Viele zu sein (und mit einem Hilfebedarf anerkannt zu werden)- oder zu „verrückt“, um ernst genommen zu werden. Ganz grundsätzlich richtet die nicht enden wollende, unwissenschaftliche Glaubhaftigkeitsdiskussion einen großen Schaden für alle (!) Betroffene an.

Mediengestaltende tragen Verantwortung für das, was sie vermitteln; welches Bild sie schaffen. Sich selbst als (nicht betroffenes) „Sprachrohr“ für Betroffene zu verstehen, kann eigentlich niemals gut gehen.

Wir nehmen eine zunehmende Exotisierung der DIS im öffentlichen Diskurs wahr: Sowohl in diversen (Selbst-) Darstellungen auf Social Media, als auch in Dokus und verschiedenen Artikeln. Immer wieder richtet sich der Fokus schließlich darauf, ob das, was gezeigt wird, glaubhaft ist oder nicht – und was wie gezeigt werden muss, damit die Zuschauenden sich das Ganze als „wahr“ vorstellen können. Im Hintergrund reibt sich der Backlash grinsend die Hände, weil es ihm damit leicht gemacht wird.

Menschen sind unterschiedlich, DIS hat viele Gesichter – und wir erleben, dass Betroffene mit weniger „schillernder“ Symptomatik immer weiter in den Hintergrund rücken. Wir meinen, dass da viele Aspekte deutlich unterrepräsentiert sind- was dem öffentlichen, auch zum Teil fachlich/professionell leider mitgestalteten Bild einer DIS unserer Ansicht nach überhaupt nicht zuträglich ist.

Je „krasser“ Persönlichkeitswechsel aussehen, desto vorstellbarer (und gleichzeitig wunderbar weit weg von der eigenen Lebensrealität, dem eigenen Weltbild) für Nichtbetroffene? Oder desto nützlicher, um Klicks und Quoten zu halten oder zu erhöhen?

Je dramatischer, schrecklicher, komplexer, „behinderter“ das „Beschwerdebild“, desto goldener glänzt der Expert*innenstatus von jenen, die sich da fachlich „rantrauen“? Irgendwie haben wir den Eindruck, dass sich an verschiedenen Stellen etwas immer weiter hochschraubt, was Betroffenen eben nicht dient. Was für eine seltsame Dynamik, oder?

Es gibt so viel mehr, was das Leben mit (dissoziativen) Traumafolgen prägt und ausmacht, als der „crazy Wechsel“ von Persönlichkeitsanteilen.

Wir wünschen uns, dass man mehr sieht als das, was man gezeigt bekommt.

8 Kommentare zu „Das (gezeigte) Bild der DIS

  1. Wir merken auch zunehmend mehr, dass wir wütend, enttäuscht, hilflos, traurig etc sind über die Darstellungen der DIS im Internet und auf „Profilen“… Das offensichtliche Wechseln ist das Eine, das Innenwelten und „Programme“ konkret schildern können, Anzahlen an Persönlichkeiten und „Ebenen“ benennen oder Erinnerungen sehr klar haben, das Andere…
    Wir fühlen uns oft nicht gesehen oder nicht „repräsentiert“… Wir wünschen uns den Fokus mehr auf die Unterstützung, die es braucht, auch wenn nach Außen so vieles so „normal“ und unauffällig aussieht… Auf Körperzustände, die vielleicht zu verbergen sind und doch Ausdruck von Erinnerungen ohne Worte mit so großem Leiden… Und all die Kraft und Motivation, die es braucht, jeden Morgen wieder Ja zu sagen.. Ja zu einem Leben mit flashbacks, Spannungen und Kontaktabbrüchen und in all dem oft sehr sehr großer Einsamkeit… Die Auswirkungen der Dissoziationen, der Alltag, die Einschränkungen… DAS hätten wir gerne mehr im Fokus…
    … Klar und andererseits auch wie wunderbar und „normal“ Viele-Menschen eben auch sein können, mit Bedürfnissen nach Nähe und Kontakt, nach angenommen sein und dem Wunsch, vielfältig da sein zu dürfen… Und was es für ein zufriedenes Leben braucht, von Betroffenen und deren Gegenüber…

  2. Wir danken euch sehr für diesen Artikel!
    Es ist so gut zusammen gefasst, was uns in dieser Zeit in Bezug auf die Medien bewegt.
    Vielen Dank!

  3. Wir haben in letzter Zeit gewagt, anderen (nur sehr vereinzelt!) von unsere Diagnose zu erzählen. Wir haben bis her nur die Erfahrung gemacht, dass Menschen gar nicht wussten, was das ist. Dabei ist uns einmal mehr bewusst geworden, wie komplex eine DIS ist. Wenn das Gegenueber es wirklich verstehen möchte, setzt das ein gewisses Engagement voraus. Da muss man ja erstmal Trauma und Traumafolgeschäden grundsätzlich verstehen und dann kommt die fragmentierte Persönlichkeit noch „oben drauf“. Eigentlich sind ja die einzelnen Persönöichkeiten nur die Spitze des Eisbergs, von daher sehen wir es genauso problematisch, wenn genau diese so ins Zentrum gestellt werden, wenn ueber DIS berichtet wird. Mal ganz davon abgesehen, ob man die Wechsel sieht oder nicht.
    Fuer uns ist das innere Erleben, das entscheidende. Und das kann man selten von aussen sehen. Man kann ja Persönlichkeiten haben, die nach aussen identisch wirken, aber das Gefuehl/ die Wahrnehmung innen ist halt, dass das „nicht ich“ bin. Und vor allem auch, dass man sich an unteschiedliche Sachen erinnert oder eben nicht… Das ist nur wahrscheinlich schwerer darzustellen.
    Wobei wir finden, dass es auch Dokus ueber DIS gab, wo das mehr realistisch dargestellt wurde. Es ist also möglich. Aber vielleicht zu „langweilig“? Wir wissen es nicht…

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