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Trauma, Erinnern und Verstehen

Manchmal ist es ein Geruch, der etwas Altes innen aufbrechen lässt. Manchmal wird durch irgendetwas ein Flashback ausgelöst und man ist wieder mittendrin im Trauma und nicht mehr orientiert im Hier und Jetzt. Manchmal sind es die Emotionen, die die Vergangenheit widerspiegeln und manchmal ist es der Körper, der sich erinnert.

Trauma zeigt sich nicht immer mit einem lauten Knall, dramatisch sichtbaren Phänomenen, vielen Tränen und Zusammenbrüchen. Gewalt wird nicht immer in albtraumhaften Details erinnert.

Manchmal schleichen Gewalttraumatisierungen und deren Folgen eher lange Zeit durch´s Leben, statt zu trampeln.

Nicht immer hat man sofort ein Bewusstsein dafür, woran man sich konkret erinnert. Zum Teil mag es erkennbare Bilder(fetzen) geben, zum Teil auch nur innerlich herumwabernde „Aspekte von etwas“.

Vielleicht klärt sich im Laufe der Zeit etwas auf, wird einsortierbarer. Vielleicht muss man auch mit manchen Fragezeichen leben, die sich immer wieder zeigen, aber nicht (niemals?) genau beantwortet werden können.

Genau jene Trauma-Elemente, die lange (immer?) unklar herumwabern, können den Alltag, die Gesundheit, die Zukunftsperspektive, die Stabilität u.a. sehr beeinträchtigen. Sie können auf verschiedenen Ebenen Symptome verursachen und immer wieder auftauchen. Es lohnt sich unserer Erfahrung nach sehr, (therapeutisch) an der Sortierung und Zusammensetzung zu arbeiten. Es kann trotzdem sein, dass für manche Puzzlestücke einfach kein Verbindungsteil gefunden wird.

Und dann?

Uns hilft es, dem „wabernden Zeugs“ eine Form und einen Ausdruck zu geben. Oftmals fehlen Worte, um „es“ beschreiben zu können. Dann könnte etwas Kreatives versucht werden: Malen, basteln, bauen, gestalten, kneten, kleben, o.a.

Vielleicht wird es vor allem körperlich wahrgenommen, dann könnte der Körper etwas damit tun: Welchen Impuls gibt es dazu? Bewegung, Ruhe, Sport, schaukeln, schlafen, hüpfen, schwingen, schwimmen, sitzen, liegen, Wärme, Kälte, berührt werden, gehalten werden? Wodurch wird es „besser“?

Wabert es in Form von bestimmten Überzeugungen und Gedanken? Zum Beispiel: Ich bin schlecht/wertlos, alle sind gegen mich, ich bin Schuld, ich kann nichts, o.a.?

Kommen die Gedanken wie aus dem Nichts, oder sind sie unterschwellig immer da, expandieren aber in manchen Momenten besonders, ohne zuordnen zu können, weshalb?

Für uns ist es hilfreich, das Gegenteil von dem zu tun, was diese Gedanken/Überzeugungen „wollen“: Bei selbstabwertenden, selbstbeschimpfenden Gedanken eben NICHT in die Selbstverletzung oder in Isolation zu bleiben, sondern bewusst etwas für das Wohlbefinden zu tun und auch in Kontakt mit liebevollen, vertrauenswürdigen Menschen zu gehen.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich dann auch mehr zeigen kann, was hinter diesen Überzeugungen steckt: Nämlich meistens sehr viel Schmerz, Trauer und Verletzung. Darum können wir uns dann kümmern. Und dort hört es dann auch oftmals auf zu wabern und es entsteht Klarheit.

Ist es gewollt, traumatischen Inhalten mehr Kontur zu geben, das heißt, mehr Überblick (Was ist passiert? Woran erinnert es uns gerade?), kann es unterstützend sein, immer wieder aufzuschreiben, was wann wahrgenommen wird, OHNE den Anspruch an Vollständigkeit und Richtigkeit zu haben. Das, was da ist- das, was sich zeigt- ist wichtig. Punkt. Es darf erst mal alles gesammelt werden, auch wenn (zunächst) nichts so richtig zu passen scheint. Sortiert wird später.

Bedeutsam kann es auch sein, sich immer wieder zu erlauben, „Fehler“ zu machen. Vielleicht stellen sich manche erinnerte Aspekte oder Schlussfolgerungen im Laufe der Zeit als unstimmig heraus und man erlebt eine innere Korrektur. Das ist unserer Ansicht nach ein normaler Prozess und kein Zeichen für „Lüge“, Künstlichkeit oder Suggestion.

Vielleicht bleibt ein triggernder Duft auch dann noch triggernd, wenn man herausgefunden hat, welche Erinnerungen er aktiviert. Für uns ist der Umgang damit dann aber leichter, weil wir etwas darin verstanden haben.

Verstehen scheint der Schlüssel für Vieles zu sein.

7 Kommentare

  1. „Vielleicht bleibt ein triggernder Duft auch dann noch triggernd, wenn man herausgefunden hat, welche Erinnerungen er aktiviert. Für uns ist der Umgang damit dann aber leichter, weil wir etwas darin verstanden haben.“
    This.
    Genau so ist es bei uns tatsächlich auch. Wir arbeiten sehr sehr viel mit Pastellkreide und Kohle, um schwierig greifbare Dinge auszudrücken, und betrachten das dann oft mit unserer Therapeutin, oder allein, um eventuell einen Anhaltspunkt darin zu finden. Etwas verstehen verleiht uns eine gewisse, hm, „Macht“ über den Trigger.

    1. Ja, das kann ich auch so fühlen: “Macht“ über (bzw. Einfluss auf) den Trigger durch Verstehen.
      Und Kreide/Kohle eignet sich vermutlich richtig gut für “schwammige/nebulöse Dinge“.

  2. Uns hilft verstehen auch sehr. Obwohl es leider scheinbar jeder von uns verstehen müsste, damit sich etwas ändern kann. Oft ist aber genau das nicht der Fall. Und manches verstandene geht auch verloren, immer wieder. Taucht dann aber auch immer wieder auf.
    So manche Bilder, die welche gemalt haben, haben so viele krasse und aber auch völlig unterschiedliche Gedanken und Gefühle ausgelöst. Es führte uns wie an einer Kette entlang und wir konnten auf mal das ganze Ausmaß begreifen. Das brauchte allerdings mehrere Tage und jedes Mal, wenn wir es betrachtet haben, kam wieder was neues dazu. Wo man zuerst tiefes Glück empfand, weinte man am Ende bitterlich. Dabei war dieses Bild für mich ein Zufall Produkt. Im Grunde malte nicht ich, sondern andere und am Anfang verstand ich gar nichts.

  3. „Für uns ist es hilfreich, das Gegenteil von dem zu tun, was diese Gedanken/Überzeugungen „wollen“:“
    Das trifft es, wenn ich in die Isolation und in absoluten Rückzug abtauchen möchte, mir eine Umarmung abzuholen oder auch mal ein längeres Halten, ist eine der schwersten und gleichzeitig hilfreichsten „Neuentdeckungen“ für mich.
    Alle diese Zusammenhänge muss ich mir von der Verstandesseite aus erschließen, ich weiß, daß es hilft, also überzeuge ich solange, bis es endlich ausprobiert wird. Oft genug ist der Rückzug noch schneller/effektiver/bekannter/einfacher.
    Aber ich merke, wie er an Boden verliert 🙂

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