Kontaktpunkte

Mit traumatischen Erinnerungen arbeiten- ohne Therapie

Kurz stehenbleiben. Was ist gerade wahrnehmbar? Den Fokus auf den Körper richten: Herzschlag, Atmung, Sinneseindrücke, Temperatur, Schmerz oder andere Symptome? Sind wir noch beweglich oder erstarren wir langsam? Kann es weitergehen?

Wieder in Bewegung kommen. Die Walkingstöcke schwingen rechts und links, die Beine laufen zügig und sicher. Über die Kopfhörer klingt eine Lieblingsplaylist. Das Maisfeld ist in Sicht und es ist noch höher als beim letzten Mal.

Dann standen wir vor den Pflanzen, die uns wie eine Wand erschienen. Im Körper kam der altbekannte Impuls auf, sich hinzuhocken, klein zu machen, die Arme über den Kopf zu schlingen, möglichst kein Geräusch von sich zu geben, den Atem anzuhalten- genau wie damals als Kind, als wir nachts in einem Maisfeld „zu Trainingszwecken“ ausgesetzt und alleingelassen wurden.

Stattdessen hoben wir die Arme mit den Walkingstöcken über den Kopf und machten uns groß. Wir atmeten geräuschvoll durch den Mund aus, schüttelten die Beine aus, stampften mit den Füßen auf, gingen ein paar Schritte, machten ein Foto vom Feld, suchten ein neues Lied aus der Playlist aus…

Im Innern wurde spürbar, wen die Situation wie berührte.

Weiteratmen. Noch mal den Impuls merken, sich hinzuhocken- und ihm kurz nachgehen. Wie ist das in dieser Haltung- nicht IM Feld, sondern daneben, auf einem Weg? Tränen kommen. Verlassenheitsschmerz. Große Angst. Überforderung. So war das damals, als Kind. Zumindest für manche von uns. Andere haben das gar nicht gefühlt, sondern schon emotional abgeschaltet reagiert. Traumatypisch, traumalogisch.

„Es“ wegwischen, wegmachen wollen. Tapfer sein. Sich nicht anstellen. Ist doch alles schon lange vorbei. Ja. Nein. Im Innern ist es aktuell.

Es begrenzen. Eine große Kunst ist das, so hin und her zu pendeln zwischen damals und heute. Sich nicht im Gestern verlieren, aber auch nicht im Heute. Es da sein lassen, es anerkennen als Teil des eigenen Lebens- aber nicht völlig den Boden unter den Füßen verlieren. Oder wenn doch, zumindest von irgendwem irgendwo gehalten sein. Im Idealfall.

Es reicht. Bitte jetzt kein Maisfeld mehr. Weiterlaufen, weglaufen, es zurücklassen, aber uns mitnehmen.

Diese Konfrontation wird nachwirken. Kann sein, dass wir noch verschiedene Traumafolgesymptome spüren werden. Wir müssen das gar nicht alles vorbildlich „können“, nur weil wir gefühlt 100 Jahre Therapieerfahrungen haben.

Wir üben diesen Umgang mit Triggern nicht erst seit gestern. Auch das Maisfeld ist keine neue Arbeit. Es wird besser, aber es ist immer noch schwer und wir wünschten, es wäre einfach alles anders.

Vermeidung ist keine Option in Sachen Maisfeld. An anderen Stellen, auf andere Reize bezogen schon.

Wir konfrontieren uns mit den Maisfeld-verbundenen Traumatisierungen, weil wir diese Walkingstrecke eigentlich sehr lieben. Nur nicht im Sommer, wenn der Mais so hoch steht. Aber: Wir wollen uns von diesem Trigger schlicht und einfach nicht den Weg versauen diktieren lassen.

Seit über 2 Jahren machen wir keine Psychotherapie mehr (weil wir nach dem Ende der langjährigen Therapie keinen neuen Platz gefunden haben). Das bedeutet, dass wir bei unserer Innenarbeit mit traumatischem Erinnerungsmaterial nicht begleitet werden. Und das ist milde gesagt ziemlich herausfordernd, bzw. an manchen Punkten auch tatsächlich nicht vollständig möglich.

Und/Aber: Wir gehen trotzdem weiter. Innerlich und äußerlich. Wir probieren aus, was wie helfen könnte- und scheitern dabei und erleben Fortschritte. Manches geht alleine, manches bleibt (leider) auf der Strecke.

Traumabearbeitung durch Auseinandersetzung mit Traumainhalten ist etwas, was ein vertrauenswürdiges, kompetentes, zugewandtes Gegenüber braucht. Ohne Spiegelung im Außen; ohne jemanden, der die Übersicht behält und Fragen stellt; der eben eine Position AUSSERHALB des ganzen Schreckens hat, klappt eine konsequente, vollumfängliche Bearbeitung traumatischer Situationen nicht. Nicht, wenn jemand strukturell dissoziativ ist. Nicht, wenn es um gezielte Konditionierungen, Fragmentierungen, o.a. geht. So sind zumindest unsere Erfahrungen.

Bedeutet das also, dass man keine Chance hat, wenn man alleine mit Traumamaterial arbeiten will/muss- und dass man es dann gleich lassen sollte?

Unsere Wahrheit ist: Nein. Zum Einen geht es manchmal wirklich ums Ganze, also um die Frage „Was hält mich/uns eigentlich hier im Leben?“- und da kommt man möglicherweise an den Punkt, dass man alleine aktiv werden MUSS, wenn man überleben will. Da hat man dann nicht den Luxus, sich die „Mühe“ einfach nicht machen zu wollen und eben ein bisschen „Psychostress“ in Kauf zu nehmen, sondern es wird klar: SO kann/können und will/wollen ich/wir nicht weiterleben. Wir MÜSSEN jetzt hingucken und damit arbeiten, auch wenn wir niemanden haben, der/die uns dabei begleitet.

Hinter all den Berichten über fehlende Psychotherapieplätze stehen lebendige Menschen, keine Karteileichen! Und diese Menschen sind damit beschäftigt, sich am/im Leben zu halten, einen Umgang mit ihren Symptomen zu finden, auszuprobieren, was sie tun können, um sich selbst zu retten, usw. Und selbstverständlich ackern sich komplextraumatisierte Menschen ganz für sich alleine den Arsch ab (sorry for not sorry!), um „klarzukommen“ mit ihrem „Paket“.

Also: Selbst wenn klar ist, dass die Chancen auf eine umfassende, gesamtsystemische Bearbeitung einzelner Traumata ziemlich mies aussehen, wenn man alleine daran rumdoktorn muss, so tun diverse Betroffene genau das eben TROTZDEM, weil es (erst mal?) keine Alternativen gibt. Und wir wagen zu behaupten, dass erstaunlich viel unter diesen schwierigen Umständen dennoch funktioniert.

Dieses eine furchterregende Maisfeld haben wir für heute erledigt. Nicht das Feld hat uns geschafft, sondern wir das Feld. Das, was wir damit tun, ist so simpel wie komplex gleichermaßen: Wir gestatten uns Innenwahrnehmung und wir versuchen anschließend, darüber zu reden oder zu schreiben. Nicht immer klappt das so „kontrolliert“ und „sauber“ wie heute.

Der Schmerz, das Entsetzen, der Schrecken, die Angst von damals brauchen heute Aufmerksamkeit und Anerkennung und manchmal brauchen sie auch eine Abreaktion- und die sieht dann weniger „sortiert“ aus, logischerweise. Nichts daran ist falsch! Trauma löst sich nicht einfach auf, nur weil man mal ein paar zarte Tränchen vergossen oder mit dem Fuß aufgestampft hat. Trauma muss manchmal ausgekotzt, ausgespuckt, hingerotzt, rausgeschrien, durchgezittert, weggeschmettert oder gegen die Wand geklatscht werden. Und manchmal muss das genau so immer und immer wieder wiederholt werden, bis sich etwas lösen kann. Selbst dann bedeutet das aber noch lange keine „Auf-Lösung“, weil sich manches vielleicht gar nicht „auflösen“ lässt.

Für uns ist das Ziel dieser Konfrontation mit dem Schrecklichen ein Gefühl von Integration. Und zwar im Sinne von „so gut und selbstbestimmt wie möglich damit leben können“. Dazu gehört, dass wir Verluste intensiv betrauern. Dass wir Schmerz wahrnehmen und ausdrücken. Dass wir Mitgefühl mit uns selbst entwickeln. Dass wir verstehen, was damals passiert ist und welche Spuren es hinterlassen hat. Dass wir Schäden an Körper und Psyche nicht ignorieren oder schönreden, sondern benennen und annehmen. Dass wir die Gewalt, die wir erlebt haben, erinnern dürfen (!) und auch so der Welt mitteilen können, wie wir das gerne möchten- auch wenn Viele nichts davon hören wollen.

Für all das lohnt sich diese ganze Arbeit.

Genau das ist die Chance, die dahinter liegt und die wir nicht aufgeben.

Und das können wir auch nur deshalb genau so empfinden, denken und umsetzen, weil wir diese gefühlt 100 Jahre Therapieerfahrungen mit all ihren inneren Prozessen und Entwicklungen zur Verfügung haben.

2 Kommentare

  1. Danke liebe Paula, dass ihr dieses schmerzliche Thema aufgreift und beschreibt, wie ihr das erlebt und wie ihr damit für euch umgeht und wie sich das anfühlt.
    Wir fühlen uns jetzt grad weniger allein und „strange“ mit unseren eigenen Gedanken, Gefühlen und unserem Erleben in der Auseinandersetzung damit.

  2. Danke fuer den Beitrag. Haben gerade gestern ueber ein ähnliches Thema nachgedacht. Es stört uns schon lange, dass immer gesagt wird, dass man einen Ausstieg aus organisierten Strukturen NUR mit professioneller Hilfe schaffen kann. Wir stimmen absolut zu, dass man Hilfe braucht. Aber auch gute/echte Freunde können eine Hilfe sein. Und heutzutage gibt es sehr viel hilfreiche Information fuer Systeme, die Aussteigen wollen. Natuerlich wissen wir selber, dass es fuer einen dauerhaften (inneren) Ausstieg professioneller Hilfe bedarf. Aber wir finden es nicht vorteilhaft, wenn es so dargestellt wird, als ob man gar nicht erst versuchen braucht auszusteigen, bevor man nicht professionelle Hilfe hat. Es diskreditiert auch die Systeme, die einen Ausstieg alleine geschafft haben. Wir haben immer das Gefuehl, dass es die offiziell nicht gibt. Sind uns aber recht sicher, dass es sie gibt, sie sich aber verstecken (aus unterschiedlichen Gruenden).
    Es ist eigentlich genau wie in eurem Beitrag, natuerlich ist es fuer Traumabearbeitung ideal ein Gegenueber zu haben, der/die einem hilft. Das beutet im Umkehrschluss aber nicht, dass man gar nichts machen kann, wenn dieses Gegenueber fehlt… Man kann auch alleine sehr viel erreichen. Aber es dauert vielleicht länger oder man muss Umwege nehmen. Und natuerlich gibt es Grenzen dafuer, was alleine möglich ist…

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