Kontaktpunkte

Blick(e) hinter Pupillen

Sie betrachtet ihre Hände. Bis eben waren sie noch in irgendwelchen Hosentaschen versteckt. Jetzt liegen sie locker auf den Oberschenkeln, mit den Handflächen nach unten. Die Fingerspitzen sind bläulich verfärbt. Das bedeutet wohl, dass es zu kalt ist. Sie weiß nicht, ob sie friert. Aber ihre Hände sagen: „Oh ja, das tun wir. Kalt ist es, wie verrückt!“ Sie krallt die Finger in die Oberschenkel und spannt gleichzeitig die Unterarme an. „Ich mache mich lebendig“, denkt sie. „Es wäre doch gelacht, wenn ich euch nicht erwärmt bekäme!“ Dann hustet sie und lächelt entschuldigend in Richtung Ausgang. Dort müsste die Frau sich gerade befinden, die sie leider nicht sehen kann. Nur sich selbst erkennt sie, aber andere Menschen lässt sie unter einem zauberhaften Tarnumhang verschwinden.

Sag mal, wie wäre es, wenn wir zusammen eine Runde laufen würden? Vielleicht ein bisschen frische Luft schnappen? Die Sonne scheint, siehst du?

Sie hört die freundliche Stimme sprechen, die zu der Frau gehört, die sie noch nie angesehen hat. Ängstlich kneift sie die Augen zusammen. An so etwas kann sie sich einfach nicht gewöhnen. Als sie kurz unter ihren Augenlidern blinzelt, finden die Pupillen keine Ruhe mehr und zucken wie Flipperkugeln hin und her. Schnell und heftig stößt sie die Fingerspitzen in die Oberschenkelmuskulatur. Der Schmerzreiz hilft. Die Pupillen erstarren und vor ihr bewegen sich die vertrauten Lichtflecken. Keine Frau in Sicht. Glück gehabt. Sie dachte für einen Moment, sie sei möglicherweise doch verrückt geworden.

Also, was meinst du? Wollen wir ein bisschen zusammen gehen?

Sie atmet tief ein. Die Stimme wird keine Ruhe geben. Deshalb formuliert sie eine neutrale Antwort: „Von mir aus. Mir egal. Wenn du willst.“ Dann spannt sie alle wichtigen Muskelgruppen an und hebt ihre Hüfte auf die bereitstehenden Beine. Sich aufrecht halten kann sie schon mal. Laufen wird wie immer auch funktionieren. Aber diese Kälte, diese Kälte. „Ich möchte am liebsten doch nur schon gestorben sein“, flüstert sie innerlich. Die Frau darf sie nicht hören, wenn sie so etwas sagt.

Die Frau schweigt.

Eine Zeit vergeht. Geht sie schon, oder steht sie noch? Ist noch Heute? Alles nur geträumt? Geschlafen? Erinnert? Wahrheit oder Märchen? Oder eine Lüge? Wo ist sie? Wer ist sie?

Die Frau legt eine Hand auf ihre Schulter. Sie ist warm. Die Schulter ist steinhart. Die Frau murmelt Unverständliches.

Wer ist sie? Wohin will sie?

Sie schaut in hellbraune Augen. Nicht weggucken jetzt. Aber wohin denn sonst, mit den tanzenden Pupillen, wohin denn, wenn sie nach außen kugeln? Dann muss sie doch weg-schauen, oder nicht? Muss sie doch!

Wer sie sieht, kann nicht unsichtbar sein. Am liebsten doch schon gestorben sein? Gestorben worden sein?

Jetzt lebt sie sie. Oder wird sie gelebt?

Wer sind sie?

Sind sie?

Geworden sind sie. Hinter flackernden Pupillen. Auf die Welt gehoben mit eiskalten Fingerspitzen.

Die Frau seufzt und blickt in die Sonne. Immer gehen sie gemeinsam los, und dann bleibt doch nur sie selbst übrig, wenn die Wärme durch die Lider scheint, ins Innere.

Trotzdem wird sie es wieder probieren. Sie mitzunehmen ins Leben. Die Andere.

Ein Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Entdecke mehr von Kontaktpunkte

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen