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Mit Tieren leben

Viele komplextraumatisierte Menschen leben mit Haustieren. Viele empfinden diese Bindung und Beziehung als deutlich vertrauensvoller, näher, ehrlicher, ungefährlicher, als sie es je mit einem anderen Menschen sein könnte. Viele fühlen sich von ihrem tierischen Begleiter verstanden, gesehen, respektiert – kurzum: Bedingungslos geliebt und auch kompromisslos gebraucht. Manchmal zum ersten Mal überhaupt.

Mit einem Tier zu leben bedeutet, weniger einsam zu sein. Und es bedeutet auch, Verantwortung zu tragen: Man versorgt ein anderes, abhängiges Lebewesen mit Nahrung, Medizin, Bewegung, Auslastung, Pflege, Zuwendung – und zwar bestenfalls auch dann, wenn man selbst krank, erschöpft, belastet o.a. ist. Jahrelang – bis zum Lebensende des Tieres.

Sich darüber bewusst zu sein, welche (auch finanziellen) Anforderungen auf einen zukommen (können); abzuwägen, welche Möglichkeiten und Ressourcen einem dafür zur Verfügung stehen; zu reflektieren, warum man zu welchem Zeitpunkt ein Tier zu sich holen möchte und welche Erwartungen man ihm ggf. (unbewusst) entgegenbringt – all das sollte Teil der inneren Auseinandersetzung sein.

Bei menschengemachtem Komplextrauma ist es sehr verständlich, dass eine Bindung zu einem Tier leichter fallen kann, als zu einem anderen Menschen – dennoch kann es nicht Aufgabe oder gar Verantwortung eines Tieres sein, diese Wunden zu heilen oder das zu ersetzen, was auf der Menschenebene fehlt(e). Ein Tier ist ein eigenständiges Lebewesen, mit individuellen Bedürfnissen und Grenzen.

Im Zusammenhang mit unseren Gewalterfahrungen spielen auch Tiere eine Rolle. Da gibt es Triggerpotenzial und mehr oder weniger große Herausforderungen. Ein Lebewesen auch dann liebevoll, „erwachsen“ und konsequent zu versorgen, wenn es krank, ängstlich, kompliziert, „dysfunktional“ ist, ist nichts, was wir jemals erfahren oder gelernt hätten. Natürlich ist es leicht, ein gesundes, freundliches, zufriedenes Tier zu füttern, zu kuscheln und zu bespaßen- natürlich ist es unbeschreiblich „heilsam“, diese Herzverbindung zu spüren, gemeinsam zu lernen, zusammen Wege zu gehen, usw. Wenn alles gut ist, ist alles gut?!

Ich kann das nicht. Ich darf nicht. Es ist alles meine Schuld. Ich will meine Ruhe haben. Es soll alles (wieder) normal sein. Ich bin ein schlechter Mensch. Ich bringe Unglück.

Innere Härte. Tätergedankengut. Dissoziation. Traumaassoziationen. Flashback-Reaktionen. Reizüberflutung. Innerer Rückzug.

Traumafolgesymptomatik sieht verschieden aus im Alltag, ist mal mehr, mal weniger präsent, kann mal alleine, mal (nur) mit Unterstützung kompensiert werden. Dazwischen lebt vielleicht ein oder mehrere Tiere- und hilft möglicherweise nur durch die bloße Existenz dem Menschen dabei, überhaupt am Leben zu bleiben, am Leben teilzuhaben. Was für ein Schatz, was für eine Bedeutung! Was für ein Konfliktpotential?!

Kurz vor Weihnachten ist eine unserer beiden Katzen gestorben.

Sie war ca. 16 Jahre alt und sehr krank und wir mussten mit unserer Frau zusammen entscheiden, sie einschläfern zu lassen. Dass diese Entscheidung auf uns zukommen würde, war absehbar und wir waren „froh“, damit nicht alleine zu sein, sondern mit unserer Frau den Zeitpunkt und die Umstände besprechen und entscheiden zu können. Alleine hätten wir unsere Katze nicht so gut versorgen können, weder vorher in dem längeren Zeitraum der Krankheit, noch in der Sterbesituation.

Wenn ich „Ja“ zu einem Tier sage, muss ich auch „Ja“ zu einem Abschied sagen können. Gehe ich diese Bindung ein, kommt auch irgendwann der Verlustschmerz. Vielleicht reagiere ich automatisch dissoziativ, weil die Gefühle zu groß und zu unaushaltbar sind oder scheinen. Vielleicht ist es auch möglich, einen Trauerprozess bewusst zu durchlaufen. In jedem Fall ist der Tod des geliebten Tieres ein Zeitpunkt, der Altes (re-)aktivieren kann und deshalb nicht einfach „übergangen“ werden sollte zugunsten einer vermeintlichen Funktionalität oder „Gefasstheit“.

„Besser gar nicht erst lieben, damit es nicht weh tut“ ist eine sehr massive, haltbare und auswirkungsreiche Traumawahrheit- die dazu führt, dass man in sich eingeschlossen und verhärtet bleibt.

Mit einem Tier zu leben und es irgendwann bewusst zu betrauern, wirkt dem entgegen und ist eine mutige, bedeutsame Entscheidung. Die Liebe zuzulassen, sie auszudrücken, sich wirklich an ein Lebewesen zu binden, von dem man weiß, dass es irgendwann furchtbar fehlen wird – dieses „Ja“ zur Herzöffnung und dem unvermeidbaren, schlimmen Schmerz- das ist eines der größten Wagnisse, die man eingehen kann.

4 Kommentare

  1. Hallo Ihr,
    wir weinen. Euer Beitrag berührt. Wir waren vor kurzem in einer ähnlichen Situation.
    Es tut weh, es dauert.
    Unser Mitgefühl in dieser schweren Zeit.
    Grüsse

    1. hallo paula
      von herzen viel kraft ☆♡☆ vor 3 jahren musste ich meinen fellnasigen begleiter gehen lassen … inzwischen hat sich die traurigkeit in in so eine art dankbarkeit verwandelt, dass ich viel zeit mit einer so besonderen seele verbringen und auch viel von dieser verrückten fellnase lernen durfte … leider habe ich … und jetzt habe ich etwas angst weiterzuschreiben, da ich niemanden triggern möchte … realisieren müssen, dass meine fellnase dazu benutzt wurde um mich zum switchen zu bringen … mehr mag ich dazu hier gar nicht schreiben und überlasse es gerne dir, diesen post zu kürzen oder nicht zu veröffentlichen, da ich niemanden verunsichern möchte … von herzen noch ein danke für deine texte, die uns vor vielem die angst genommen und kraft gegeben haben … ich wünsche allen ein gutes & „lautes“ 2025 in dem sich der wind dreht

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