Und irgendwann geht es dann nicht mehr ums existenzielle Überleben. Irgendwann muss nicht mehr nach Schutzwohnungen gesucht, die Notaufnahme gefunden und die Nacht überlebt werden. Irgendwann hat sich etwas beruhigt im Traumafolgeerleben und es gibt mehr Routine und weniger Chaos.
Irgendwann geht es nicht mehr darum, den Körper vor der nächsten Selbstzerstörungsaktion zu retten oder bestimmte Innenpersonen davon abzuhalten, ihn der Gewalt auszuliefern.
Irgendwann sind Feiertage nur noch Tage, vielleicht mit Krisenpotenzial, vielleicht auch ohne. Der Adrenalinspiegel zeigt weniger Spitzen. Und das darf so sein, ohne zu Tode zu ängstigen oder zu langweilen. Leben ist ausbalancierter geworden.
Und dann?
Hältst du das aus?
Fühlt es sich gut und richtig, oder schlecht und falsch an – oder beides/alles?
Gibt es manchmal den Impuls, genau diese Balance (zer-)stören zu wollen/müssen?
Wünschst du dich manchmal zurück in eine Zeit, in ein Leben, das sich vertrauter und somit sicherer angefühlt hat, als „das hier“?
Fragst du dich, wer du eigentlich bist, jetzt, wo es nicht mehr um Leben und Tod geht?
Kennst du dieses Gefühl von absoluter Haltlosigkeit, obwohl es im Innen und im Außen gute (neue), selbstgewählte, selbstgestaltete Verbindungen gibt?
Dann weißt du sicher auch, wie schnell jahrelang hart erarbeitete Stabilität bröckeln kann.
Nur ein kurzer Blick in eine Onlinepräsenz eines Menschen von damals, nur eine kleine Google-Anfrage, nur ein harmloser Spaziergang an einen Ort, der etwas „Undefinierbares“ innen macht, nur ein Mal eine alte Telefonnummer wählen und direkt wieder auflegen, bevor jemand abhebt, nur ein paar Minütchen durch ein altes Fotoalbum blättern…
Nur kurz noch mal Adrenalin. Andocken an Vertrautes. Sich irgendwie auskennen. Es geht ja nicht mehr um Leben und Tod.
Schon so lange raus aus der Gewalt, schon so viel Therapieerfahrung, was soll denn passieren…?
Kennst du das? Dann achte bitte gut auf Dich. Besonders in dieser Zeit, aber auch sonst.
Denn Balance ist etwas, was Achtsamkeit braucht.
Danke für diesen Beitrag, ich kenne das. Sehr gut. Und bin irgendwie erleichtert, das so zu lesen. Mehr kann ich gerade nicht hinzufügen…. Viel Kraft für die Feiertage!
Danke. Ich hoffe, Du kommst gerade gut durch diese Zeit. Viele Grüße!
Die Fragen lassen mich auf jeden Fall länger nachdenken. Ich kenne das Pendeln zwischen gefühltem Stillstand und Aktionismus sehr gut. Das Leben mit zu vielen und zu wenigen Eindrücken, zu viel Aufregung und zu wenig, um wirklich wach zu werden. Das Einschlafen zwischen zwei Lichtblicken, das Umherschweifen und Ausruhen.
Momente, die zu schnell vergehen, wie im Stroboskoplicht, und die innere Ruhe, in der die Zeit stillsteht. Manchmal verfluche ich die Hast, und dann sehne ich mich doch wieder nach der Eile. Manchmal genieße ich die Ruhe und möchte sie fast so belassen, dann klopft der Alltag an die Tür, und einen Herzschlag später ist es das Beste, was passieren konnte.
Ich denke mir, das ist im besten Fall das „Auf und Ab“, das jeder kennt. Nur sind die Wellen vielleicht größer und spülen manchmal auch Fundstücke an den Strand, denn die innere Dynamik ist komplex, wenn man gelernt hat, im Chaos zu gehen. Und gleichzeitig bewegt man sich so elegant mit der Zeit.
Das sind eindrücklich beschriebene Bilder, Gefühle, Zustände. Danke dafür!