„Es ist zu laut, zu voll, zu viel, zu schnell, überfordernd, beängstigend, nervig, anstrengend, dissoziationsfördernd…“ – diese Wahrnehmungen können im Alltag signalisieren: „Ich brauche eine Auszeit.“
Man spürt, wie wichtig es ist, Erholung und Stärkung zu erleben, wieder mehr mit sich in Kontakt zu kommen. Da ist (plötzlich) dieser Break, dieser Knack-, Riss-, Springpunkt, an dem nichts mehr geht: Nicht mehr sprechen wollen, keine Bewegung, kein Geräusch, keine Aufgabe, kein Kontakt. Einfach nur Ruhe haben wollen und müssen.
Manchmal merkt man an verschiedenen Symptomen, dass man sich selbst schon längere Zeit vergessen oder verloren hat. Gerade die Dissoziationsskala zeigt ja verschiedene Möglichkeiten: Von der sich einschleichenden Depersonalisation oder Derealisation, über häufiger werdende Persönlichkeitswechsel, bis hin zu dissoziativen Krampfanfällen oder Fugue-Episoden. Aber auch andere Signale wie Schlafstörungen, Depressionen, Schmerzzustände, psychosomatische Beschwerden, emotionale Instabilität, Taubheitsempfinden oder Essprobleme können darauf hindeuten, dass man dringend Zeit mit sich allein bräuchte.
Aber: Nur weil man bereits verstanden hat, was helfen könnte, wieder mehr Stabilität zu erleben, heißt das noch lange nicht, dass man es auch immer umsetzen kann.
Mit sich sein. Keine Ablenkung durch außen. Äußere Ruhe aushalten, um nach innen hören/sehen zu können. Gefühle wahrnehmen, die spürbar werden. Realisieren, wie wenig Innenkommunikation/ Innenkontakt in der letzten Zeit stattgefunden hat und wie wichtig es wäre, das zu verändern. Sich auf sich selbst zurückgeworfen fühlen. Einsamkeit?
Gerade nach Bindungs- und/oder Gewalttraumatisierungen in der Kindheit ist „Alleinsein“ etwas, das sich auch im Erwachsenenalter noch sehr bedrohlich anfühlen kann. Das Gefühl, sich aufzulösen, wenn da niemand oder nichts zum Andocken im Außen ist: Manchmal kann es sich schon unerträglich anfühlen, einfach das Telefon eine Weile auszustöpseln oder das Handy wegzulegen, die Musik auszuschalten oder eine Verabredung abzusagen.
Die Angst davor, kontaktlos zu sein oder zu bleiben, oder Beziehungen für immer zu verlieren, kann ziemlich tief verankert sein und sich immer wieder regen, wenn man vor hat, sich mal kurz- oder langfristig ausschließlich auf sich selbst zu fokussieren.
Da zeigt sich eine Ambivalenz: Einerseits überfordert und überreizt (z.B. getriggert) von/durch Menschen zu sein und Abstand zu brauchen, andererseits aber „nicht ohne sie zu können“, weil es sich anfühlt wie ewiges Fallen oder Zerbrechen.
An einem ungestörten, sicheren Platz zu sein, ohne Zeitdruck, ohne Anforderungen von außen; sich Raum zu nehmen, genauer hinzuhören, hinzufühlen, hinzusehen, was eigentlich im Innern los ist, was sich zeigen möchte, welche Bedürfnisse es gibt, usw.; innere Begegnungen und Erkenntnisse zuzulassen– selbst wenn man absolut kapiert hat, wie wichtig das für das eigene Wohlbefinden, die Traumaverarbeitung, die Stabilität im Leben ist: Diese „Allein-Momente“ sind oftmals gefühlsmäßig eben keine paradiesischen Situationen mit Cocktail, Keks und Sonnenschein, sondern Konfrontationen mit hartem Tobak, der zugunsten eines funktionierenden Alltags immer wieder innerlich „weggepackt“ wird.
Genau deshalb schiebt man solche Innenfokus-Zeiten ja auch gerne auf- weil man weiß oder ahnt, dass da Zeugs hochkommen wird. Zeugs. Ihr wisst schon.
Selbstverständlich gibt es auch gefeierte „mit sich sein“-Situationen, die einfach nur toll sind, weil man endlich Dinge tun kann, die allein besonders schön sind und weil man spürt, wie sehr man dabei auftankt. Und auch Innenkontakte können dabei entstehen, die Freude machen, trösten, ermutigen, miteinander verbinden. „Alleinsein“ gestalten, ohne sich einsam zu fühlen und ohne alte Traumagefühle wieder zu reaktivieren- sowas geht natürlich auch!
Wenn wir als Viele-System uns in unser Zimmer zurückziehen und die Tür schließen, können daraus verschiedene Konstellationen entstehen: Zum Beispiel sind dann Einzelne da, die es sehr genießen, ihre Ruhe zu haben und die sich auch vom Innenleben abschirmen können. Oder es sind Mehrere gleichzeitig da und „tun“ etwas zusammen: Einfach nur dasitzen und sich wahrnehmen, oder malen, oder lesen, oder irgendwie denken… Oder der Körper legt sich hin und es entsteht ein innerer „Prozess“ und es ist niemand so richtig „draußen“. Oder irgendjemand findet eine unheimlich bequeme Körperposition und plötzlich schlafen wir und werden irgendwann wach und fühlen uns ausgeruht, o.a.…
Manchmal kann es Hilfsmittel geben, die dabei unterstützen, sich nicht „traumatisch allein“ sondern „sicher und möglichst entspannt allein“ zu fühlen: Die besten Hilfsmittel sind für uns meistens unsere Katzen, wenn eine (oder beide) einfach mit im Zimmer liegt und döst; für manche sind es auch einzelne Kuscheltiere, das geöffnete Fenster (frische Luft), ein angenehmer Duft, ein leckerer Tee, eine leichte Bewegung (wippender Fuß, Fell streichelnde Hand, Schaukeln/Wippen, o.a.), eine nur angelehnte Zimmertür, o.a. Das gestaltet sich immer wieder unterschiedlich.
Es geht vor allem darum, Sicherheit wortwörtlich zu ver-innerlichen:
Wir sind mit uns okay.
Uns geschieht mit uns selbst nichts Schlimmes.
Wir können Verbundenheit mit uns selbst fühlen.
Wir erfahren (auch) Hilfe in schwierigen Situationen, wenn wir uns auf uns beziehen.
Wir können uns auf uns verlassen.
Wir sind uns wichtig.