Traumatisch belastete Daten – religiös, spirituell, geschichtlich oder sonstwie geprägte Feiertage oder auch individuell belastete, spezielle Tage wie Geburtstage o.a.- können immer wiederkehrende Krisen mit sich bringen. Jedes Jahr auf’s Neue zeigen sich ggf. Flashbacks, massive Schlafstörungen, Ess- und Trinkprobleme, psychosomatische Symptome, Suizidgedanken und -versuche, usw.
Es kann Zeiten geben, in denen bestimmte Daten besser ausgehalten und/oder kompensiert werden und der Eindruck entsteht, man habe die Grundproblematik überwunden und verarbeitet – und es kann Folgezeiten geben, in denen doch wieder alles zusammenbricht und nichts mehr geht.
Täter*innen der ritualisierten/rituellen Gewalt machen sich manche Daten zu eigen. Sie nutzen aus ideologischen und/oder schlicht selbsterklärenden Gründen Feiertage für besondere Gewaltformen und -zusammenhänge, oder auch nur als Basis für “special effects“, die sich zum Beispiel in Foltervideos besonders gewinnbringend auswirken. In jedem Fall okkupieren Täter*innen (Feier-)Tage, die von den Opfern anschließend nicht mehr einfach so “mit etwas gutem Willen und Entscheidungskraft“ zurückerobert werden können.
Was kann nun also konkret helfen, eben solche traumatisch belasteten Tage einigermaßen okay zu überstehen? Wie können Freund*innen, Partner*innen, u.a. die Betroffenen unterstützen?
Wir haben uns mit unserer Partnerin darüber vorhin beim Tee auf dem Sofa unterhalten und möchten Euch ein kleines Sammelsurium an Tipps aus unserem Erfahrungswissen hierlassen. Vielleicht ist ja was Nützliches für Euch dabei:
- Vor und während der kritischen Tage überlegen/fragen, was der/die Betroffene braucht: In Ruhe gelassen werden oder Gesellschaft? Begleitung? Hilfe bei der Tagesstruktur? Absprachen, Vereinbarungen oder totale Flexibilität?
- „Die Beziehung bleibt bestehen“: Alles, was hier und heute außerhalb der Täterstrukturen hält und verbindet, ist gut. Mit der/dem Freund*in/Partner*in besprechen, dass es regelmäßigen Kontakt geben wird, z.B.: „Ich melde mich dann und dann per Text- oder Sprachnachricht oder Anruf bei Dir /komme dann und dann vorbei.“, oder: „Wenn ich so und so lange nichts mehr von Dir höre, komme ich vorbei, auch wenn Du jetzt sagst, dass Du nicht besucht werden willst.“, o.a. Nicht darauf warten oder davon ausgehen, dass der/die Betroffene sich schon melden wird, „wenn was ist“.
- Nicht erwarten, dass die freundschaftliche/romantische o.a. Beziehung selbstverständlich innerlich präsent bleiben wird. Es kann sein, dass der Bezug/die Bindung innerlich verlorengeht/auf Eis gelegt wird, weil zu viel anderes „los ist“ oder bestimmte, unverbundene Innenpersonen weiter vorne sind. Für den/die Angehörige*n wichtig: Bitte nicht persönlich nehmen und nicht ausgerechnet an diesen Tagen ein Fass in Sachen Beziehungsklärung aufmachen. Das kann/soll bis zu einem stabileren, ruhigeren Zeitpunkt warten.
- Übergangsobjekte etablieren: Der schöne Geruch nach…, ein bestimmtes Foto vom gemeinsamen Erlebnis, ein lustiges Zweier-Selfie, eine Audiodatei von einer von der/dem Freund*in vorgelesenen Geschichte, ein Kuscheltier, ein Freundschaftsbändchen, eine liebevoll geschriebene Postkarte, ein „Best off- irgendwas“-Freund*innen-Mixtape, selbstgebackene Lieblingskekse, das von der Freundin ausgeliehene Shirt, usw.- siehe oben: Halt und Verbindung helfen. Hier und heute muss Bindung ganz neu und konsequent etabliert werden, als Gegenpol zu den ganzen „alten Bindungen“, die sich so hartnäckig festgewachsen haben.
- Möglichst nicht Einzelkämpfer*innen bleiben: Zu zweit allein ist ähnlich schwierig und riskant wie „allein allein“. Die Last auf mehrere Schultern zu verteilen ist ja quasi ein Prinzip der DIS, was aber nicht zwangsläufig bedeuten muss, dass alle irgendwie gleichermaßen Leid tragen. Es gibt immer auch besonders schwer Belastete innen, die besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung brauchen. Und es gibt manchmal Zweierbeziehungen im Außen, die zum Teil symbiotisch gemeinsam am Leid ersticken. Es wäre gut, wenn es mehrere gäbe, die mittragen…
- Bei bestehendem Täter*innenkontakt und fortgesetzter Gewalt: Wird ein Ende der Gewalt gewollt? Wer hat welche Grenzen? Welche Schutzmaßnahmen dürfen sein? Kann ein gemeinsames Wohnen sinnvoll sein? Welche Stellen im Außen können mit unterstützen? In welchen Fällen kann/darf/soll die Polizei oder der Rettungsdienst alarmiert werden? Wer hat Schlüssel wofür? Sollen Abwesenheiten schriftlich notiert werden? Gibt es den Wunsch nach anonymer Spurensicherung? Wo gibt es Halt für die Angehörigen? Wo ist die Grenze des Aushaltbaren für alle Beteiligten?
- selbst neue Gewohnheiten oder „Rituale“ entwickeln: Etwas zu bestimmten Zeiten zu tun und/oder zu feiern kann schön sein, wenn es selbst entschieden und entwickelt wurde. Vielleicht „neue Gewohnheiten“ gemeinsam mit der/dem Angehörigen „üben“: „Sonntags gibt´s bei uns immer Pfannkuchen!“ kann für den Anfang leichter und angenehmer zu erleben sein als „Am ersten Weihnachtstag fahren wir immer zu den Schwiegereltern.“
- Alle Gefühle sind okay. Schwäche ist okay. Sich krank fühlen ist okay. Etwas nicht können/schaffen (was sonst aber vielleicht geht) ist okay. Gestern noch topfit gewesen sein und heute aber platt wie Pizza im Bett liegen ist okay. Traumafolgen sind Verletzungsfolgen und die köcheln nicht immer auf gleicher Flamme. Es hat absolut gar nichts mit (Un-)Glaubhaftigkeit zu tun, wenn die Stimmung/Verfassung insgesamt heftig schwankt oder Krisen und Zusammenbrüche wie aus dem Nichts zu kommen scheinen. Und es bringt nichts, gerade an bestimmten Tagen auf Spurensuche gehen zu wollen („Wo kommt das denn jetzt her?“), wenn Reflektion rein neuropsychologisch überhaupt nicht möglich ist. Da geht´s erst mal „nur“ um Krisenmanagement, und das ist schon anspruchsvoll genug.
- Ressourcenorientierung, Skillsaktivierung und Co fühlen sich für Angehörige wahrscheinlich oft wie das Nonplusultra an („Hauptsache, man kann was tun und das Leid hört endlich auf!“)- sind aber für Betroffene ebenso oft überfordernd oder stresspotenzierend. „Komm, wir gehen spazieren, die Sonne scheint so schön, Du kannst ja nicht die ganze Zeit in der Wohnung sitzen und Trübsal blasen“ hilft Menschen mit Depressionen genauso wenig wie Traumatisierten in Feiertagskrise. Es darf sich zeigen, was sich schrecklich anfühlt! Das braucht Anerkennung und nicht „Wegreden“, nur weil das Gegenüber es nicht aushalten kann. Ja, es war schlimm, ja, es ist immer noch und immer wieder schlimm- und nein, man kann tatsächlich nichts/nicht immer was dagegen tun. Es ist so viel Ohnmacht damit verbunden- und manchmal geht es „nur“ darum, das gemeinsam auszuhalten und stehenzulassen, ohne Veränderungsanspruch.
- Traumatisch verseuchte Feiertage werden nicht automatisch dadurch „gereinigt“, dass sie hier und heute besonders „schön“ gestaltet werden. Es ist sehr verständlich, dass Angehörige versuchen wollen, zum Beispiel einen Geburtstag besonders liebevoll für den/die Betroffene auszurichten, in der Hoffnung, dadurch etwas zu „heilen“ oder zu lindern. Ein Stück weit kann das auch auf diesem Wege klappen, aber gleichzeitig kann es auch Druck erzeugen, sich über so viel Zuwendung und Herzlichkeit besonders freuen zu müssen. Und wenn das dann (logischerweise, weil biographisch begründet) nicht auf Anhieb und „ganz natürlich“ klappt, setzt sich evtl. eine Schuldgefühlsspirale in Gang- und das ist Wasser auf die Mühlen vom Traumawiederholungskreislauf.
- Schuldgefühle sind da und Bestandteil der Traumageschichte. Es macht keinen Sinn, gegenzuargumentieren, wenn der/die Betroffene im Hochstress ist- das Gehirn ist in solchen Momenten/Zeiten nicht dazu in der Lage, auf diese kognitive Spur umzuschalten. Schuldgefühle brauchen Anerkennung, um irgendwann mal evtl. losgelassen werden zu können. Die Kunst des aufmerksamen Zuhörens und „Nicht-Wertens“ kann idealerweise von der/dem Angehörigen praktiziert werden- das Mitteilen der eigenen Sichtweise kann ja zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.
- Reizüberflutung vermeiden. Weniger ist mehr.
- Körperversorgung nicht vergessen: Manchmal ist es unterstützend, an Essen, Trinken, Schlafen, Bewegen, Wärme, frische Luft erinnert zu werden. Manchmal ist es auch hilfreich, bei körperlichen Verletzungen versorgt zu werden oder eine Massage, Umarmung, körperliche Nähe zu erleben.
- Bewegung erleben, auch wenn man innerlich erstarrt ist: Auch „diese Tage“ gehen zu Ende und es kommen neue/andere. Sonne kommt und geht, Mond auch. Das ist ein normaler, natürlicher Rhythmus. Atmen ist auch so ein Rhythmus.
- Grenzen sind wichtig: Wo sind die Grenzen des Aushaltbaren? Vorher besprechen, was dann ist/folgen soll. Nichts anbieten oder zusagen, was man nicht einhalten kann. Lieber tiefer stapeln als zu hoch, lieber kleine Etappenschrittchen und -ziele überlegen und angehen, als zu große. Lieber halbstündlich schauen, als stündlich oder ganztägig.
- Kontaktabbrüche sind manchmal unumgänglich und haben oft gute, logische Gründe. Der/die Betroffene muss eine harte Zeit für sich händeln, da ist manchmal einfach kein Raum mehr für Beziehungspflege im Hier und Jetzt. Sinnvoll ist es, wenn Angehörige das nicht persönlich nehmen oder sich beleidigt zurückziehen, sondern weiter „da“ bleiben (z.B. Nachricht schicken: „Ich habe gerade an Dich gedacht. Ich hab Dich gern!“), Kommunikationsbereitschaft signalisieren und nicht an der Basis der Beziehung zweifeln. Vielleicht gibt es ja auch einzelne Innenpersonen, die doch noch erreichbar sind.
- Krisennotfallnummern auf Zettel schreiben und an verschiedenen Orten deponieren.
- Schöne, bewusst ausgewählte, unbelastete Kinderfilme zusammen anschauen oder Hörspiele hören.
- Nicht klugscheißen. Niemand weiß es besser als der/die Betroffene selbst.
- Biorhythmus ist individuell. Es ist okay, nachts wach zu bleiben. Man muss nicht schlafen, wenn es nicht geht. Und man ist nicht verpflichtet, sich ein Bett mit der/dem Partner*in zu teilen, nur „weil man das halt so macht in einer Beziehung“. Nicht persönlich nehmen, wenn jemand seinen/ihren Freiraum braucht und bitte nicht in einen Kontrollwahn verfallen!
- Um über Suizidgedanken sprechen zu können, braucht es Vertrauen und Beziehungssicherheit. Man muss sich darauf verlassen können, dass der/die Angehörige nicht in Panik ausbricht und irgendwas über den Kopf der/des Betroffenen hinweg entscheidet, was mehr schadet als nutzt. Es geht um Offenheit miteinander und Partnerschaftlichkeit und um die Klarheit: Frei-Tod liegt im Selbstbestimmungsrecht eines jeden Menschen. Dass das eine riesengroße Herausforderung für eine Beziehung ist, ist unbestritten. Trotzdem.
- „Es gibt mehr als das.“ Mehr als Qual, Schmerz, Leid, Ohnmacht, Wut. Mehr als Betroffenheit und Angehörig-Sein. Mehr als Feiertagswahnsinn und Wiederholungsschleifen und Gewalt. Die Welt besteht auch noch aus anderen Dingen, zum Beispiel Liebe, Freiheit, Solidarität, Hilfsbereitschaft, Vogelgezwitscher, Katzenschnurren und Käsekuchen. Das ist alles wahr und echt.
Ja, egal was du/ihr geschrieben habt, och würde es unterschreiben.Manchmal verfolgen wir andere Interessen oder etc. Was wir immer wieder hinterlassen wollten:“Ihr als Te
Das von uns ist nur ein halber Kommentar, wo die andere Hälfte hin verschwunden ist, ist und bleibt mir ein Rätsel.
Wenn ich das jetzt so lese würde ich behaupten, der angefangene satz sollte ungefähr so lauten: „ihr als Team, die ihr hier schreibt, seid für uns von einem immensen Wert! Es ist immer noch etwas anderes, das was man selber fühlt oder weiß bei jemand anderem zu lesen!“
Sorry fpr die halbe Sache, wir waren wohl nicht so technisch versiert wie sonst…glg dragon von den dragonfightersz
Danke 🙂
„Alle Gefühle sind okay.“ und „Es gibt mehr als das“ musste hier sehr, sehr dringend gehört werden. Wir haben glücklicherweise zumindest Ablenkung durch eine Freundin, aber es ist.. so unglaublich schwer. Danke für die Erinnerung, dass da mehr ist. Und dass es nicht für immer ist.
Uns macht das irgendwie traurig, das zu lesen…weil wir auch gerne eine Freundin oder so hätten, die uns helfen könnte. Haben wir aber nicht. Wir sind alleine, auch an solchen Tagen (außer dass 2h eine Bewo-Betreuerin hier war, die aber nichts davon versteht)
Wir versuchen hier aber auch Dinge zu tun, die irgendwie gut tun könnten.
(Wir hoffen, das ist nicht blöd, das zu schreiben.) LG
Danke fürs Teilen des Sammelsuriums 🖤
Hier liegt oft ein schmaler Grat zwischen „Normalität/Alltagskrams sind gut zum Ablenken“ und „Nichts geht mehr.“ Den Bereich dazwischen wahrnehmen zu können und dementsprechend zu handeln, ist ja auch ein Lernprozess… (Und das dann auch gegenüber Freund:innen, Angehörigen etc. kommunizieren können, und damit ernst genommen werden… aiaiai)
Stück für Stück. (Und ab und an ein bisschen motzen, dass es kein linearer Verlauf ist und immer alles immer besser wird, höhö)
Auch wenn es keine nahestehenden Menschen gibt, die einen begleiten, so helfen zumindest eure Zeilen dabei, in dieser Zeit und mit dem, was ist, ein wenig verstanden zu werden.
Dafür trifft der letzte Punkt – Katzenschnurren, worüber man sehr, sehr freut, dass sie da ist.
Danke für eure Zeilen