Aktivist*innen-Pläne

Ich schaue auf den Wandkalender und wundere mich, wie schnell dieses Jahr verläuft. Noch drei Monate und unsere Arbeit in der Peer- und Angehörigenberatung ist beendet. Fünf Jahre haben wir dieses Projekt gehegt und gepflegt und nun steht der Abschied vor der Tür. Das wird für uns eine Lücke hinterlassen, die sich ein bisschen traurig, unsicher und ernüchtert, aber insgesamt doch okay und stimmig anfühlt. Abschied ist nicht so unser Ding, denke ich. Wir brauchen Perspektiven, um ihn aushalten zu können.

Seit 2013 machen wir Öffentlichkeitsarbeit. Begonnen haben wir mit dem Sichtbarmachen unserer Kreativität: Wir stellten einen kleinen Teil unserer gemalten Bilder in einem „Frauennotruf“ aus, bündelten einige unserer Kurzgeschichten und Gedichte in einem kleinen, selbst kopierten Heftchen, drückten uns mit Fotografien aus. Das hat uns Freude gemacht, erfüllte uns, fühlte sich „sinnhaftig“ an- und rückte im Laufe der folgenden Jahre immer weiter in den Hintergrund. Aus unserem Blog verschwanden nach und nach die Geschichten und Gedichte, es wurde „aktivistischer“, politischer, „aufklärerischer“, kritischer. Wir entwickelten immer mehr einen inneren Druck/Anspruch, dass das, was wir in die Öffentlichkeit bringen, einen Wert, eine Qualität haben muss: Es wurde uns zunehmend wichtiger, darüber zu schreiben, was „Leben mit Traumafolgen“ für Viele bedeutet- nicht nur für uns; wo es hakt, was gebraucht wird, welche gesellschaftlichen und politischen Hürden existieren, usw. Wir wurden kämpferischer, wütender, lauter, unbequemer in dem, wie wir Öffentlichkeitsarbeit praktizierten.

Und jetzt? Jetzt schaue ich auf den Kalender und bin mal wieder müde. Die letzte Lesung vor einer Woche war (zum ersten Mal) eine für uns frustrierende, bei der wir uns anschließend fragten, welchen Sinn dieser Abend eigentlich gemacht hat: „Hat das jetzt irgendwem irgendwas gebracht, dass wir hier waren?“… Die Frage war nicht: „Hat es uns erfüllt?“

Wir merken: Unsere „Aktivist*innen-Energie“ hat nachgelassen. Wir sehen verschiedene andere Aktivist*innen in diversen Themenbereichen (Inklusion, Feminismus, Queerness, Klimaschutz, Gewaltprävention, u.a.), die arbeiten und arbeiten und arbeiten; die immer lauter rufen, demonstrieren, aufmerksam machen und dabei immer wieder gegen Wände prallen- und wir möchten die Flügel hängen lassen. Uns ist in all der zunehmenden „Kämpferei“ der letzten 12 Jahre das kreative, freie, freudvolle Schreiben und Gestalten abhanden gekommen- und das fehlt uns!

Sichtbarwerden, Ausdruck, Kommunikation ohne Leistungsdruck, ohne innere Ab-/Bewertung- einfach, weil unsere „Werke“ so reichen, wie sie sind- das ist ein innerer Wunsch. Auch dann okay mit uns und im Außen zu sein, wenn wir keine „aktuellen, heißen Themen“ aufgreifen, nicht „weiterhelfen“ oder ermutigen, nicht im „Social Media-Rummel“ mitmachen, nicht mitdiskutieren, nicht „enttabuisieren“, „aufklären“, Dinge auf den Tisch packen, etc. Wenn wir wollen, halten wir Vorträge, geben Workshops, veranstalten Lesungen, schreiben einen Brandbrief- wir müssen damit weder aufhören noch weitermachen. Öffentlichkeitsarbeit ist ja vielfältig, oder?

Unser Blog wird inzwischen weitaus weniger gelesen und kommentiert als vor ein paar Jahren. Längere Texte, die beleuchten, abwägen, Punkte herausarbeiten oder auch Lyrik, usw. sind anstrengender zu lesen, als kurze, knappe, plakative Statements. Instagram ist kurzweiliger, konsumorientierter, dynamischer, interaktiver- und erfordert ständige Aktualität und Aufmerksamkeit. Für uns ist das häufig reizüberflutend. Zu uns passt das Tempo darin eigentlich gar nicht. Ein Blog ist langsamer, oft gehaltvoller- sozusagen näher dran an einem Buch, wohingegen „Social Media“ eher einem Werbeprospekt gleicht.

Unser „Aktivist*innen-Herz“ braucht in Zukunft weniger Druck und mehr Freiraum. Wir benötigen Farben, Papier und Leinwand, Fokus nach innen, Stifte und Zettel, Ruhe statt Getöse. Das, was wir nach außen zeigen wollen, darf so bunt sein, wie wir es auch sind- und dabei ist „Kunst“ nicht weniger wert als die Sachdiskussion.

Ein guter Plan.

28 Kommentare zu „Aktivist*innen-Pläne

  1. Wir schätzen Euren Blog sehr, haben viele Denkanstöße von hier, haben uns sehr viele Beiträge auch abgespeichert, haben andere auf Euren Blog aufmerksam gemacht. Kommentieren ist nicht unsere Stärke bzw. eher nicht-öffentlich, weil wir öffentlich nicht aushalten. Aber jetzt muss es mal sein 🙂
    Vielen Dank für alles, was Ihr tut und so vielen Menschen mitgebt, nicht nur Betroffenen, auch Helfenden. Der Blog würde fehlen.
    Wir wünschen Euch einen guten Weg durch die Müdigkeit zu Sichtbarkeit, Ausdruck, Kommunikation ohne Druck und mit Euch und all dem okay zu sein.

  2. Danke, liebe Paula, dass ihr eure Entscheidungen und Schritte immer so gut nachvollziehbar erklärt. Wir können eure Aktivist*innen Müdigkeit verstehen. Auch wenn ihr euch von der Peer-Beratung verabschiedet, lebt sie doch in uns allen weiter, mit denen ihr eure Einsichten geteilt und in so einem empathischen Kontakt wart.
    Wir sind froh, dass ihr eure Energie nun auf das lenken wollt, was euch Kraft und Freude gibt, dass euer freieres Gestalten wieder mehr Raum bekommen darf. Euer Blog ist sehr wichtig für uns. Auch wenn wir eure Einträge bisher nicht kommentiert haben, lesen wir sie genau, wertschätzen eben gerade euer sinnstiftendes Beleuchten, Vertiefen und Abwägen. Nun sind wir gespannt, wie sich euer Blog weiterentwickelt. Wir freuen uns auf jeden Ausdruck von euch.

    1. Wir sind von Eurer Rückmeldung berührt! Dankeschön! Das ist ein schönes Bild, dass da was Bestand hat. Und es ist toll, dass Ihr Lust habt, weiter hier zu lesen und zu schauen. Liebe Grüße von uns

  3. danke für euer so offene Erklärung, dass ihr euren Prozess der Entscheidung die Peerberatung und den damit zusammenhängenden Druck loszulassen mit uns allen teilt.
    wir lesen da ganz viel Achtsamkeit mit euch heraus und dennoch kann ich beim Lesen fühlen wie schwer dieser Prozess war und ist. Danke dafür.

  4. Wir können euch gut verstehen, auch wenn wir nie Öffentlichkeitsarbeit gemacht haben. Gerade was ihr ueber Instagram und co im Vergleich zu zBsp einem Blogg schreibt empfinden wir genauso. Wir nutzen soziale Medien sso gut wie gar nicht mehr. Inhaltlose Reizueberflutung und zu viel „Information“ auf einmal.
    Wir denken, dass man in der heutigen Zeit, in der man ständig Informationen ueber alles was so in der Welt passiert bekommt, sehr schnell das Gefuehl bekommen kann, machtlos zu sein und eh nichts bewirken zu können. Wir haben uns deshalb bewusst auf unsere „kleine Welt“, inder wir tatsächlich wirken können, fokusiert. Zu mehr reicht die Energie eh nicht. Wenn alle versuchen wuerden, ihre „kleine Welt“ positiv zu beinflussen, hätte das einen sehr grossen Einfluss auf die Menschheit. Nur leider wird das durch das Gefuehl „ich kann ja eh nichts bewirken“ bei vielen verhindert.
    Wir freuen uns sehr auf weitere Beiträge von euch egal mit welchem Inhalt und wuenschen euch, dass es euch Freude bringt.

      1. Absolut! Ich denke, dass unsere „kleine Welt“ eigentlich gar nicht so klein ist. Es kommt einem nur so vor, weil man ständig Zugang zu Informationen ueber die „grosse Welt“ hat.
        Gerne, danke fuer euren Blogg!

  5. Wir haben euch auch immer sehr sehr gerne gelesen… Hier und vorher auf eurem persönlicheren Blog. Mögen beides von euch lesen, das klare kämpferische… Und eben auch das ganz alltägliche…zb den Weihnachtswichtel oder eure Erinnerungen, mit denen ihr euch auseinander und dazu geschrieben habt… Hoffen, dass ihr bleibt!! Sichtbar, und doch ganz bei euch!!! Und wir finden es auch schade dass sich so viel zu Instagram hin gezogen hat, uns ist es dort auch zu schnell und zu abhängig machend… Mögen lieber in Ruhe Texte lesen, kommentieren, austauschen, Kontakt… Ganz liebe Grüße

      1. Ach ja und von eurem Gesangsunterricht und dem Tanzen und Walken lesen wir euch total gerne… Immer wieder Inspirationen, was so möglich ist im Leben… Was eben gut tut und doch oft auch (erstmal) mit Herausforderungen verbunden ist… Wir mögen da beides lesen, das wunderschöne und das, was schwierig ist… So geht es uns ja auch😀

  6. Guten Morgen,
    dieser Blog ist der Einzige, den ich als DIS Betroffene regelmäßig lesen, seit Jahren. Ich habe weder Instagram noch all die anderen Kanäle, manchmal bleibe ich doch (leider) bei Youtube hängen und ärgere mich am Ende, weil es irgendwas antickt aber nicht wirklich hilft oder berührt oder die Zeit anders hätte verbracht werden können. Ich versuche mich immer von Medien so fernzuhalten, dass das Leben eher im direkten stattfindet. Euer Blog war und ist aber immer eine Insel gewesen, dafür danke ich. Ich habe mich hier selten gezeigt, aber war immer dabei 😉 Ich konnte eure Gedanken oft gut nachvollziehen, manchmal hätte ich gerne mehr geschrieben dazu, aber es fehlten auch zeitliche Kapazitäten und irgendwie war es auch gut so.
    Alles Gute und ich bin gespannt wie es weiter geht, ggf werde ich es nicht mitbekommen, ich würde trotzdem Verbindung spüren. Weil ihr so schreibt, dass das möglich ist. Dafür danke ich.

    1. Hallo 🙂 danke für Deinen Kommentar! Ich kann dieses ärgerliche „Hängenbleiben“ bei YouTube (und Co) gut verstehen- und die Suche nach Hilfe, Verbindung, Verständnis, etc., die oft dahintersteckt. Im direkten, analogen Leben ist es häufig ja schwer, das so zu finden – aber digital eben leider auch, obwohl „soziale Medien“ ach so viel Gemeinschaft suggerieren… Und man steht irgendwie außen vor, fühlt sich seltsam, nicht dazugehörig, „alleiner“ als ohnehin… Seufz.
      Wir freuen uns total, dass Du so viel Gutes aus unserem Blog mitnimmst und hier so treu dabei bist. Schön, Dich mal mit Deinem Kommentar zu sehen und zu merken. 😉
      Alles Liebe!

  7. Liebe Paula,
    auch für mich ist Dein Blog und die Sprache, die Du hast, findest und suchst total wichtig und haben mir viel dabei geholfen mich und das, was mir passiert ist zu verstehen. Dafür vielen Dank!
    Es stimmt, dass die Beiträge auf Insta und Co kürzer und prägnanter sind, aber auch oft verstörender, aggressiver und teilweise unterkomplex oder pseudokomplex. Die Beiträge von Dir haben mich in ihrer Tiefe nie verstört oder irritiert zurückgelassen, auch wenn ich Deine Meinung mal nicht geteilt habe. Für mich ist Dein Schreiben sehr wertvoll!
    Schade, dass die Lesung frustrierend war. Woran lag das denn? Wegen diesem Gespräch zu dem Du gebloggt hattest?
    Alles Liebe!

    1. Hallo, ich empfinde das als großes, tolles Kompliment, was Du da zu unseren Texten rückmeldest. Diese Tiefe ist uns auch wichtig, die wollen wir nicht verlieren, bzw. zum Teil eben wiederfinden.
      Die Lesung war für uns auch deshalb frustrierend, weil es offenbar „Versäumnisse“ bei der Organisation vorab gab (Verantwortung der Veranstalter*innen), aber auch wegen „Gesprächsinhalten“ wie dem aus dem Blogtext.
      Zum Glück haben wir das bei den anderen Lesungen sehr anders erleben dürfen.
      Alles Liebe auch für Dich!

  8. Hallo Paula Rabe,
    wir mögen euren Blog so gerne!
    Wir fühlen uns häufig ausgeschlossen aus der digitalen Welt, weil diese für uns, grad in schlechten Zeiten, oft eine zu große Reizüberflutung ist.
    Es gibt nur 2 Blogs die wir regelmäßig besuchen und abonniert haben, euer gehört dazu.
    Wir freuen uns jedes Mal wenn im Emailpostfach der nächste Blogeintrag angekündigt ist.
    Wir dürsten nach Informationen von anderen Viele-Menschen aber sind der Flut an Informationen bei Youtube oder Insta nicht gewachsen.
    Euer Blog ist für uns wie eine Oase in der Wüste.
    Hier finden wir Klarheit und Differenziertheit und Tiefgang und neuen Input für Selbstreflektionen.
    Oft berühren eure Texte unser Herz sehr.
    Sehr vieles hat uns schon geholfen, wichtige Denkanstöße gegeben und Türen geöffnet zu neuen Erkenntnisen.
    Ihr helft uns sehr.
    Zeit das mal zu sagen. 🙂
    Grüße von Herzen
    n

  9. Wir tun uns manchmal schwer mit Worten und haben oft Angst, was falsches zu schreiben.
    Aber wir wollten sagen, dass wir euren Blog als sehr bereichernd empfinden. Sowohl euren persönlicheren Blog als auch den hier.
    Wir lesen euch total gerne und wünschen euch erstmal alles Liebe und Gute.

  10. Wir kommentieren eigentlich nie, lesen aber schon lange mit.
    In „sozialen“ Medien waren wir noch nie unterwegs. Wir empfinden diese eher entfremdend und verstörend.
    Wenn jemand eine eigene Website oder einen Blog hat und diese/n inhaltlich sowie qualitativ fokussiert füllt, finden wir es viel ansprechender als wenn man Bild für Bild mit nem kurzen Statement durchklickt (durchklicken muss) oder das x-te Video anschaut (anschauen muss).
    Imho gibt nur wenige Seiten mit Wiedererkennungswert und Authentizität, hat man diese gefunden, werden sie in den Lesezeichen gespeichert.
    Wir haben schon in euren vorherigen Blogs mitgelesen. Aus euren Beiträgen können wir oft Hilfreiches und viel zum Nachdenken ziehen. Wir sind auch oft erleichtert (z.B. aktuell der Beitrag mit Essstörung), wenn wir mitbekommen, dass es jemand anderem ähnlich geht. Oder freuen uns (z.B. „Zum Namenstag“), weil uns dieser Tag auch viel mehr bedeutet.

    „Unser Blog wird inzwischen weitaus weniger gelesen und kommentiert als vor ein paar Jahren.“
    Dazu möchten wir anmerken, dass wir erst ca ein halbes Jahr nach dem Blogumzug von WordPress hierher aus Versehen auf eine Überschrift geklickt haben und dadurch gesehen haben, dass auch kommentiert werden kann (wir lesen auch gerne die Kommentare). Auf der Hauptseite ist es nicht zu erkennen, oder?

    1. Ich habe gerade erst Euren Kommentar entdeckt, den WordPress leider in den Spamordner gepackt hatte. Vielen Dank für Eure Rückmeldung! Wir freuen uns total, dass Ihr schon so lange „dabei“ seid und mitlest und überhaupt. Das ist toll für uns zu erfahren, wie viele „stille Leser*innen“ über die Jahre geblieben sind und dass unsere Texte immer wieder jemandem etwas geben können. Danke für den Hinweis zur Erkennung der Kommentarfunktion- wir schauen da mal nach, ob sich was ändern lässt. Viele freundliche Grüße an Euch!

      1. Vielen Dank für die Sichtbarmachung der Kommentare auf der Hauptseite. Auch die Links sind jetzt besser erkennbar (für uns zumindest 🙂 )

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