Kontaktpunkte

Wenn „Anteile“ nicht (mehr) in Schubladen passen…

Ein für mich wesentlicher Unterschied zwischen „Anteilen“ (Innenpersonen) bei einer DIS und „Anteilen“ von anders strukturierten Menschen („Unos“ und zum Teil auch bei DSNNS/Ego State Disorder), ist die Mehrdimensionalität.

Diesen Unterschied habe ich im Kontakt mit anderen Menschen festgestellt und selbstverständlich nicht wissenschaftlich untersucht.

Mir ist aufgefallen, dass es leichter oder schwerer sein kann, innere Anteile zu identifizieren, zu benennen und zu „kategorisieren“.

Manchmal scheint es Menschen darum zu gehen, ihre Anteile an Emotionen oder Verhaltensweisen festzumachen: Der/die Wütende, Traurige, Ruhige; Scherzkeks, Partylöwe, Zerstörer*in…

Oder es läuft darauf hinaus, Aufgaben/Verantwortlichkeiten herauszustellen: Der/Die Berufstätige, Versorger*in, Diplomat*in, Beschützer*in…

Manchmal unterscheiden Menschen ihre Anteile nur anhand des Alters (Kind, Jugendliche*r, Erwachsene) oder des Geschlechts.

Ich empfinde es im Kontakt mit anderen Menschen auch als interessant und verbindend, über „innere Anteile“ zu sprechen, die jede*r hat, auch ohne dissoziative Störung. Gerade dann, wenn ich über unsere DIS (noch) nicht in voller Klarheit reden mag, sondern erst in einer vertiefenden Annäherung mit dem Gegenüber bin, kann es hilfreich sein, auf diese Weise einen gemeinsamen Nenner zu finden: Es gibt Aspekte des Selbst, die relativ eigenständig agieren können; die Einfluss nehmen auf die Wahrnehmung und Emotionalität; die man benennen kann als „das innere Kind“, oder „der/die innere Kritiker*in“, oder wie auch immer.

Es kann Selbstanteile geben, die man „irgendwie nur schwer erreicht“, die sich fremd anfühlen oder (beinahe) unkontrollierbar; die immer wieder auf die gleichen Reize anspringen, für die man sich schämt, die man gerne loswerden würde, u.a.

All das könnte ein gemeinsamer Nenner (der noch nicht mal pathologisch definiert wird!) im Kontakt mit einem Gegenüber sein und eine Art „Gesprächsbasis“ darstellen- und schließlich einen Punkt berühren, an dem der Unterschied ganz deutlich wird: Die „Anteile“ sind bei einer Dissoziativen Identitätsstruktur mehrdimensionaler!

Ich glaube, gerade deshalb fühlen sich die Schubladen, in die manche Außenmenschen „DIS-Anteile“ einsortieren wollen, unpassend/falsch und oftmals auch verletzend/diskriminierend an. Von uns selbst und von anderen Leuten mit DIS weiß ich, dass es selten passt, eindimensionale Kategorieren wie oben genannt zu wählen. Der/Die „Wütende“ ist meist nicht „nur so“, es gibt noch viel mehr Aspekte, die sie/ihn beschreiben können; ebenso kann es bei den Aufgaben und Verantwortlichkeiten sein. Ein*e Beobachter*in kann möglicherweise unter anderem diese wichtige Sache tun, zu einem anderen Zeitpunkt, oder bei einer anderen inneren „Gegebenheit“, kann er/sie aber eine andere/neue Position haben. DIS-Systeme sind dynamisch, nicht starr- auch dann nicht, wenn sie über mind control von Täter*innen „gebaut“ wurden. So habe ich das bisher zumindest wahrgenommen.

Und genau diese Dynamik, die ständigen Bewegungen- genau dies trägt dazu bei, dass bei einer DIS im Laufe der Zeit personelle Veränderungen stattfinden können. Ich behaupte: Da ist nichts einzementiert, so gern Täter*innen das auch hätten.

Ich finde es wichtig, dass in der therapeutischen Arbeit bei DIS immer wieder darauf geachtet wird, wie Innenpersonen aktuell „sind“. Das gehört für mich auch zum „Erstellen einer inneren Landkarte“: Wen gibt es (wo) innen, wer hat mit wem (welche) Verbindung, u.a.- und ganz besonders: Gab/gibt es personelle Veränderungen? Ist Person XY immer noch so „gestrickt“ wie vor ein, zwei Monaten/Jahren? Wie erlebt er/sie sich selbst und wie nehmen andere ihn/sie wahr? Darf Veränderung geschehen?

Innenpersonen, die seit gefühlt 20 Jahren in der „Zerstörer*in“, oder „Trauer“, oder „Alltagsmanager*in“-Schublade stecken, können inzwischen schon längst darüber hinausgewachsen sein und/oder etwas ganz anderes brauchen/wollen, als bisher (wenn man sie denn lässt!).

Davon abgesehen behaupte ich sowieso: Jede Innenperson ist mehr als ihre primären Identitätsmerkmale!

Einen gemeinsamen Nenner zu finden; Ähnlichkeiten herauszustellen; eine Sortierung zu schaffen: Ja, das tut gut, wenn man sich mit Menschen verbindet.

Dennoch gibt es eine Grenze!

Denn: Nein, wir sind nicht alle ein bisschen Viele!

Ja, es ist wichtig, an dieser Grenze zu unterscheiden.

(Und an alle beruflich Unterstützenden: Ja, es ist ebenso wichtig, korrekt und verantwortungsbewusst zu diagnostizieren!)

Eine Dissoziative Identitätsstruktur in aller Konsequenz als Realität durch Gewalttraumatisierungen anzuerkennen, bedeutet eben auch, sie weder zu verallgemeinern, noch zu exotisieren.

4 Kommentare

  1. Das find ich echt gut was du geschrieben hast. Ich hab mich verändert. durch das Leben. Nich durch Therapie. Von einer um sich schlagenden zu einer, oh , Menschen haben Gefühle, die kann man damit seelisch verletzen bis jetzt zu einer die sich um andere Leute in meinem System sorgt. Aber noch nich bei den anderen Systemen bei uns. Die kenn ich nich.

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