Kontaktpunkte

Über die Nase direkt zur Basis

Was passiert bei mir, wenn ich die Worte “Zimt“, “warmer Apfel“ und “frische Luft“ lese? Ich muss diese Düfte nicht mal im Hier und Jetzt erneut riechen, sondern kann die Wahrnehmung dessen quasi reaktivieren und mich erinnern – inklusive des Kontextes: Das letzte Picknick mit der Freundin draußen mit diesem leckeren Kuchen…

Der Geruchssinn hat eine Direktleitung zur Basis. Die Eindrücke müssen nicht erst in der Großhirnrinde verarbeitet werden (so wie beim Sehen, Hören, Fühlen), sondern landen unmittelbar im Limbischen System; dort, wo Emotionen verarbeitet, Hormone gesteuert und das vegetative Nervensystem beeinflusst werden.

Der Geruchssinn ist im biologisch ältesten Teil des Gehirns angesiedelt. Er warnt vor Gefahren (Feuer, Gase, u.a.) und hilft bei der Suche nach Wasser und Nahrung (genießbar/ungenießbar?). Das Geruchsgedächtnis wird vor allem in den ersten drei Lebensjahren gebildet. In dieser Zeit sammelt man den Großteil seiner olfaktorischen Eindrücke, die alle eine Spur im Gehirn hinterlassen.

Düfte gleiten also an der Kognition vorbei und können so unkontrolliert innere Türen öffnen.

Sie funktionieren hervorragend als Trigger. Auch verschüttete, vergessene, sehr alte Erinnerungen können plötzlich wieder hochkommen – was sich sehr schön oder auch sehr schlimm anfühlen kann.

Traumatisierte Menschen kennen häufig die besondere Gemeinheit von Geruchstriggern, vor denen man sich nicht schützen kann. Noch bevor man sie identifiziert hat, sind sie bereits “oben gelandet“ und wirken schon. Im besten Fall gelingt es, dem etwas entgegenzusetzen und sich wieder zu orientieren und zu beruhigen. Im schwierigsten Fall ist die Amygdala schon so außer Rand und Band, dass es erst mal nur ums “Weiterleben“ (Atmen) geht.

Häufig wird der Geruchssinn auch von helfenden Personen genutzt, um den/die Betroffene*n aus einem Flashback, einer Dissoziation, o.a. “herauszuholen“. Notfallsanitäter*innen, Pflegepersonal in Kliniken, u.a. setzen meiner Erfahrung nach oft Düfte ein, die den schmerzempfindlichen Geruchsnerv Trigeminus reizen, z.B. Ammoniak. Vermutlich funktioniert dies als “Stopp“ besonders zügig und zuverlässig – der Effekt gleicht aber dem Schock einer Ohrfeige und ich würde mir wünschen, es würden häufiger andere Möglichkeiten überlegt und genutzt.

Düfte können positive Bindungen verankern. Das geliehene Shirt der verreisten Freundin kann über das Vermissen in der Urlaubszeit hinwegtrösten – und den inneren Kontakt halten. Bindungstraumatisierten Menschen fällt es schwer, die Verbindung zum Gegenüber weiter zu fühlen, wenn eine äußere Distanz entsteht. Es kann unterstützen, Fotos anzuschauen, zwischendurch zu telefonieren/schreiben – besonders gut wirkt unserer Erfahrung nach aber vor allem eine Verankerung über die Nase.

Unterstützende, nahe Bezugspersonen von traumatisierten Menschen sollten sich also nicht scheuen, auch über Düfte zu kommunizieren und Kontakt zu halten. Gemeinsame, schöne Erlebnisse duften nach irgendwas, ganz sicher. Bei einer tröstlichen, schützenden, liebevollen Umarmung speichert man unbewusst den ureigenen Körpergeruch des Gegenübers ab – und kann ihn z.B. über ein geliehenes Kleidungsstück bewusst einsetzen, um das Gefühl zu reaktivieren: “Dieses Halstuch duftet nach Geborgenheit, Wärme, Liebe, Sicherheit. Hier und jetzt fühle ich das wieder, auch wenn Person XY gerade gar nicht da ist.“

Es lohnt sich auch, den Geruchssinn zu trainieren. Vielleicht ist er durch verschiedene Faktoren etwas “eingeschlafen“ und kann nicht (mehr) so gut differenzieren. Dann kann es Sinn, Freude und innere Veränderung machen, ihm neue Herausforderungen zu bieten und ihn wichtiger zu nehmen als bisher.

Wann habt Ihr Euch zuletzt ganz bewusst und aufmerksam mit Eurer Nase und ihren Fähigkeiten beschäftigt?

11 Kommentare

    1. Hallo schattenläufer147 !
      Eure Geruchs“erinnerung“ lässt uns an die Möglichkeit denken, dass eure Erinnerung vielleicht gar nicht Zwiebeln betrifft, sondern Schweissgeruch.
      Wir arbeiten an der Kasse eines Lebensmittelmarktes, und ihr glaubt gar nicht, wie oft wir schon gedacht haben, puh, da steht wieder mal einer von den Bauarbeitern voll verschwitzt an unserer Kasse und dann war es in der Mehrzahl der Fälle ein Bauarbeiter, der sich ein Mettbrötchen mit Zwiebeln geholt hatte, unser Hirn meldet dann grundsätzlich Schweißgeruch, vielleicht wär das ja auch eine Möglichkeit, eure Zwiebelgerucherinnerung zu erklären ?

  1. Hi, wir haben unseren Geruchssinn komplett verloren, als wir vor vielen Jahren überfahren wurden und ein Schädelhirntrauma II. Grades hatten. Das Ganze ist auch schulmedizinisch überprüft und abgeklärt worden und der damit befasste Prof. hat das als in dem Kontext nicht unbekannte Zerstörung von Nervenverbindungen (Fädchen) diagnostiziert mit der Prognose, dass das nicht mehr wieder herstellbar sein wird. Was ist daraus geworden? Wir haben es akzeptieren gelernt, weil wir das überlebt haben und relativ autonom sind und, was uns in Bezug auf Riechen so sehr wichtig ist: Wir haben vielleicht wahrscheinlich unseren Geruchsinn verloren, aber wir haben Gerüche gespeichert. Das kann uns niemand nehmen, Wir wissen immer noch, wie im Frühjahr die Straße duftet, an der eine Lindenbaumallee wächst. Wir wissen immer noch, wie unsere Babys auf dem Kopf und an ihrer Haut geduftet haben. Wir wissen, wie Patchouli riecht, mit dem wir uns als Teenie eingedieselt haben. Wir wissen, wie unsere Lieblingsgerüche riechen, sie sind in uns. Das ist unser Trost. Wir können nicht riechen, wenn irgendein Nahrungsmittel nicht in Ordnung ist. Wir riechen nicht, wenn der Hund irgendwohin gemacht hat. Wir riechen nichts Aktuelles, also Brände, Chemikalien usw., aber es scheint so etwas wie einen Grundstoff in Deos oder so zu geben, denn wenn Menschen an uns vorbei gehen, die sich mit was eingedieselt haben, dann riechen die alle gleich nach einem absolut gruseligen ekligen Deogrundstoff. Das war´s aber auch und wir fragen uns immer, ob wir trotzdem mit Duftstoffen arbeiten können, ob das Sinn macht? Wir haben nach wie vor Lavendelöl. Wir haben Salbeiduftstäbchen. Wir haben auch Patchouli )) , aber wir können nicht mehr experimentieren und wir werden keine neuen Gerüche mehr kennenlernen, also z.B. wie unser Enkelkind riecht. Das ist so. Wenn Du dazu noch eine Idee/Infos hast, – immer gerne!
    Liebe Grüße!

    1. Hallo Ihr, danke, dass Ihr von Euch erzählt habt. Wir sind berührt und fasziniert davon, wie das bei Euch mit den “gespeicherten Gerüchen“ funktioniert. Ist Euer Geschmackssinn denn “aktiv“? Oder gibt es dort auch Einschränkungen durch den fehlenden Geruch? Vielleicht kann der Geschmackssinn ja auch irgendwie kompensieren und Ihr könnt darüber quasi ein bisschen “schmeckriechen“? Das Gehirn kann ja wirklich viel über Umwege kompensieren, wenn irgendwo was “ausfällt“ – aber ob das bei Euch auch der Fall sein könnte, wissen wir natürlich nicht.
      Ihr könnt keine neuen Gerüche kennenlernen, schreibt Ihr. Da fehlt ein wichtiger Sinneskanal, das tut uns leid für Euch!
      Unsere Idee dazu ist spontan, dass zum Beispiel das Enkelkind mit einem “erinnerten Geruch“ verknüpft werden könnte; dass Ihr Euch Euren eigenen Enkelkindgeruch innerlich “schaffen“ könntet – um eine vollumfängliche Wahrnehmung und so auch Verbindung zu stärken? Das ersetzt natürlich nicht den “realen Kindgeruch“, so wie er/sie eben tatsächlich riecht, aber es könnte für Euch evtl. was Tröstliches und auch positiv Autonomes haben.
      Versteht Ihr, was wir meinen?
      Liebe Grüße!

      1. Hallo! Danke für die Antwort! Nein, Schmeckriechen wäre eine tolle Sache, aber das Schmecken ist hier auch massiv eingeschränkt. Wir können eigentlich nur so etwas wie Grundgeschmäcker feststellen, also etwas ist süß, salzig, sauer. Bitter gar nicht und es gibt keine Unterschiede. Also, was süß ist, ist süß und es ist völlig egal, was das ist. Erdbeere, Apfel, Weintraube, Bonbons- egal. Das Gleiche bei süß und sauer. Also fokussieren wir uns auf die Konsistenz und z.B. die Farbe und wir haben ja schon beschrieben, dass wir Gerüche irgendwo gespeichert haben und so ist das bei Geschmäckern auch. Vorteile dabei sind, dass wir z.B. scharfe Sachen essen können ohne Probleme, oder dass wir inzwischen den kostengünstigeren Supermarkt-Gummi-Käse essen können, weil wir eh nix schmecken. Die Idee mit dem Verknüpfen eines positiven Geruchserlebnisses und dem Enkelkind ist schön. Irgendwie fokussieren wir uns aber inzwischen auf Sehen, Hören, Spüren und gehen damit so um, als wenn wir den Duft irgendwo gespeichert hätten und niemand kann uns das nehmen und auch nicht unsere positiven Gefühle dazu. Ja, es ist manchmal traurig, aber wir haben seit dem Unfall gelernt, dass wir uns davon nicht runterziehen zu lassen. So eine Art „Ok, es ist vorbei, aber es konnte nicht alles zerstört werden und wir haben noch andere Möglichkeiten.“ Wenn wir etwas, was grundsätzlich positiv besetzt ist, gar nicht wahrnehmen können, machen wir es trotzdem, weil es ja da ist, auch wenn wir es nicht riechen können. Also, z.B. Salbeirauch, wenn wir den Eindruck haben, dass etwas in den Räumen, in denen wir uns aufhalten, nicht „stimmt“. Oder Lavendelöl, wenn wir Ruhe und Entspannung wollen. Und eben der ganze Kanon an bekannten alten Gerüchen (Patchouli, Moschus…), wobei wir dann darauf achten, gute, echte Bio-Öle zu nehmen und keine Billig-Importe.
        Vielen Dank für deine Fragen und Tipps. Die habe mir nochmal verdeutlicht, dass wir schon einen guten Umgang damit haben.
        VlG

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