Kontaktpunkte

Trigger sind nicht „typisch“.

Sie geht ihren gewohnten Weg nach Hause. Es ist bereits dämmerig. Auf Höhe der alten Kneipe steht ein großer, kräftiger Mann. Er ist breitschultrig, hat einen prallen Bauch und trägt eine Jeans und eine abgewetzte Lederjacke aus den 80er Jahren. Könnte das einer von diesen Biker-Typen sein? Sie senkt den Blick, als sie direkt an ihm vorbeigeht: Sich unsichtbar machen. Nichts riskieren. Gar nicht da sein, damit man auch nicht angegriffen werden kann. Unansprechbar wirken.

Er tut nichts. Er pfeift, ruft, pöbelt oder grapscht nicht.

Er steht nur da, imposant wie Bud Spencer. Er lacht leise und scheint mit jemandem zu telefonieren.

Die Gefahr ist wohl gebannt, denkt sie, als sie wahrnehmen kann, dass sie ihn einfach so passieren kann.

Und dann packt es sie doch:

Sie macht drei, vier Schritte weiter vorwärts- und der Geruch weht ihr in die Nase.

Das, was sie umhaut, sind nicht seine Fäuste, keine Worte oder Gesten.

Das, was sie zu Hause schließlich zum Kotzen bringt, ist der überraschende und penetrante Waschmittelgeruch, der den Mann umhüllt wie eine Giftwolke.

Diesen Angriff auf ihr traumatisiertes Gehirn konnte sie nicht ahnen, als sie ihn aus der Entfernung erblickt hatte.

Es ist nicht immer die mögliche Gefahrensituation (allein, in der Dunkelheit, potentieller Angreifer) als solche, die Erinnerungen an erlebte Gewalt aktivieren kann. Es gibt meiner Erfahrung nach keine „typischen Trigger“, die man auf einer Liste der „kritischen Dinge für Menschen mit organisierten, sexualisierten / rituellen Gewalterfahrungen“ zusammenfassen könnte- und die immer gleichermaßen „wirken“.

Ob ein Reiz als Auslösereiz für belastende Empfindungen und/oder Erinnerungen wirkt, hängt u.a. vom Kontext, von der Tagesform und der Wahrnehmungsfähigkeit ab. Mal löst ein bestimmter Gegenstand einen Flashback aus, mal kann er neutral betrachtet werden. Mal ist ein Spaziergang bei Nacht ohne emotionale Spannung möglich, mal ruft allein der Gedanke daran Panik hervor.

Alles (!) kann Erinnerungen an erlebte Gewalt und/oder den Kontext aktivieren: Geräusche, Gerüche, Gesten, Mimik, Erlebnisse, Worte, Beziehungsdynamiken, Bewegungen, usw. Nicht immer reagiert ein*e Betroffene*r so, dass sie/er desorientiert und völlig im damaligen Geschehen gefangen ist. Es gibt auch die „stillen“ Triggermomente, in denen z.B. Körpersymptome, alte/automatisierte Denk-, Fühl-, oder Verhaltensmuster ausgelöst werden, die nach außen und evtl. auch für den/die Betroffene*n selbst zunächst nicht sichtbar/identifizierbar sind.

In keinem Fall sagt die Wirksamkeit eines Triggers etwas über die „Glaubhaftigkeit“ der/des Betroffenen aus. Krisenhafte Reaktionen auf Hakenkreuze, Jesusbildchen, esoterische Symbole oder was-weiß-ich, lassen nicht automatisch auf einen „rituellen Background“ schließen- und eine eigene Vorliebe für schwarze Kapuzenpullis, Buddha-Figürchen, Erotikfilme oder wie-auch-immer schließt ihn nicht aus!

Menschen, die komplexe Gewalterfahrungen gemacht haben, sind völlig verschieden und leiden unter verschiedenen, individuellen Folgen- weil sie eben Menschen sind.

Vom Einen auf das Andere zu schließen, Schubladen zu bedienen und weder inhaltlich, noch begrifflich zu differenzieren, führt zu Falschinformationen und Diskriminierungen.

Und wer profitiert davon (an der never ending story der Glaubhaftigkeitsfrage)?

Sie sitzt erschöpft auf dem Sofa. Das Kotzen ist vorbei, ein paar Tränen konnten fließen und durch die geöffneten Fenster strömt frische Luft.

Heute hat „laute Musik und den Körper dazu ausschütteln“ geholfen.

Beim letzten Mal waren es die Hängematte und Rescuetropfen.

Beim nächsten Mal könnte es wieder etwas anderes sein.

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