Schuldgefühle kennen wohl die meisten Gewaltbetroffenen.
Selbst zu den Taten beigetragen oder etwas verursacht zu haben, mitverantwortlich zu sein, weil man dies und jenes getan oder unterlassen hat- das sind Gedanken, die Betroffene auch Jahrzehnte nach den Gewalterlebnissen noch quälen können.
Schuldgefühle machen psychisch und physisch krank, wenn sie ignoriert oder weggeredet (“Du weißt doch, dass du keine Schuld hattest!“) werden.
Hinsehen, zulassen, ernst nehmen, anerkennen- erst dadurch kann ein Prozess des Loslassens und Mit-sich-selbst-Versöhnens möglich werden.
Besonders perfide und hartnäckig hält sich “die Schuldfrage“ bei Überlebenden ritueller/organisierter Gewalt, die selbst Gewalt gegen Andere ausgeübt haben.
Über Jahrzehnte dieser Prägung ausgesetzt zu sein, seit früher Kindheit, führt ganz automatisch dazu, Täter*innen-Introjekte zu entwickeln. Wenn die Gruppierung zusätzlich einen Menschen gezielt (!) spaltet, entstehen innere Anteile/Fragmente/Innenpersonen, die in ihrem Handeln, Denken, Fühlen, Wollen besonders “gruppendienlich“ strukturiert sind.
Dazu gehören auch Aspekte wie “Gewalt gut/normal/berechtigt finden“, “Schwäche verurteilen und sanktionieren“ und “lebenslange Zugehörigkeit/Verbindung zur Gruppe; Eine*r von ihnen sein“.
“Schuld“ ist ein Thema, das Täter*innen bewusst und konsequent nutzen, um Realitäten zu verdrehen, Opfer an sich zu binden, Schweigen zu gewährleisten und auch ohne direkten Kontakt Einfluss auf das Leben (die Lebensqualität!) der Betroffenen nehmen zu können.
Wer sich schuldig fühlt, sucht evtl. Erleichterung (und kehrt immer wieder zurück zum “Ursprung“), spricht nicht über die Geschehnisse (Scham), hält permanente Bestrafung für angemessen (und wehrt sich nicht), bleibt in Altem stecken. Eine gute Absicherung für Täter*innenkreise, “alle Schäfchen im Stall zu halten“!
Vermeintliche oder reale Schuld (jedenfalls “täterinduziert“) sich selbst in Dauerschleife immer wieder vorzuhalten, ohne die ganze Wahrheit anzuschauen (Hätte ich in einem anderen Kontext genauso gehandelt? Hatte ich eine Wahl? Was wäre passiert, wenn ich Nein gesagt hätte? Was hat dazu beigetragen, dass ich mich so und so entwickelt habe?)-
das ist Selbstzerstörung.
Aus dieser “never ending story“ können keine Heilung, kein innerer Frieden und kein Wachstum hervorgehen, sondern sich nur Lähmung und Angst weiter verankern.
Es geht hier und jetzt darum, sich zu entscheiden: Was mache ich mit meiner Schuld? Halte ich sie als Verbindungsglied zur Gruppierung weiter aktiv und füttere sie täglich, oder gestatte ich mir, sie gehen zu lassen und mich vom Täter*in-Sein in aller Konsequenz zu lösen?
In den Schuldgefühlen verankert zu bleiben und das Leid darin immer wieder neu aufzuwärmen, darin Stück für Stück weiter zu zerbrechen und letzten Endes auf Dauer zu verrecken, macht die Schuld nicht weg. Man erlöst weder sich noch Andere dadurch, man arbeitet die Schuld nicht ab und tut auch keine Buße durch Selbstgeißelung.
Wenn es aus der Schuld raus in die Eigenverantwortung gehen soll, braucht es freie Beweglichkeit, keinen Kreis-Lauf.