Manche Gewalten kommen plötzlich und unerwartet. Manche werden angekündigt und sind absehbar. Ein Bruch, ein Riss, eine Wunde- meistens kann man sich davor nur bedingt schützen.
Es ist okay, sich abzuwenden, wenn einen das, was man sieht, zu hart trifft. Es ist okay, sich etwas nicht anzuhören, das überfordert, belastet, beängstigt.
Es ist okay, etwas nicht tapfer oder stumpf auszuhalten, sondern zu fühlen, wie schlimm es ist und das auch auszusprechen.
Sekundäre Traumatisierung ist nichts, was man riskieren oder erdulden muss -aus Solidarität oder Mit-Leid mit jenen, die direkt betroffen sind. Es ist okay, sich zu schützen, so gut es eben möglich ist- und das bedeutet nicht, dass man egoistisch, ignorant oder naiv wäre.
Hinsehen, wahrnehmen, realisieren, ernst nehmen- ja! Aber nicht in einer schonungslosen, überflutenden Dauerschleife.
Mitgefühl mit anderen und sich selbst haben, Grenzen erkennen und respektieren, nicht alleine bleiben mit Angst, Schrecken, Ohnmacht- all das ist wichtig, um nicht am Rande der Gewalt (oder sogar mittendrin) völlig zu zerbrechen.
Wenn ich mich bei diesem komplexen Thema so nach links und rechts umschaue, dann fällt mir leider immer häufiger auf, dass viele *NICHT* traumatisierte Menschen „gesunden Selbstschutz“ und „gelebte Selbstfürsorge“ sehr schnell in „ein Recht auf Ignoranz“ umdeuten. 🤔
Das trifft auf keinen hier zu, siehe: *NICHT* traumatisiert… Und dass sich niemand über alle eigenen Grenzen hinweg unendlich mit Leid zuballern muss (= besonders, wenn nicht einmal Kapazitäten für die Alltagsbewältigung vorhanden sind), sollte – hoffentlich?! – ohnehin klar sein. 😟
Diese allgemeine Tendenz jedoch, bei jeder auch nur annähernd traurigen, mit Gewalt oder Verlust in Verbindung stehenden Sache: „Stop, also *DAS* tut mir jetzt aber nicht gut. Bitte sofort umschalten, und über etwas völlig Anderes reden! Ich muss mich ja auch schützen.“ zu rufen… Bei der möchte ich mich häufig übergeben.
Weil ich exakt darin für alle bereits traumatisierten Menschen *ebenfalls* ein riesiges Potential für sekundäre Traumatisierung sehe. Dieses egoistische, bequeme Wegschauen aus einer sicheren und privilegierten Position heraus gehört für mich jedenfalls zu den schlimmsten Dingen überhaupt! 😒
Insofern würde ich mir da gesellschaftlich mehr Sensibilität wünschen. Jemand, der wegschaltet, weil das Gesehene droht, unfassbar viel bereits erlebtes Leid aufzuwühlen, hat einen absolut validen und legitimen Grund dafür. Jemand, dem das Gesehene schlichtweg zu unbequem und *unschön* ist, und der DANN mit Selbstfürsorge um die Ecke kommt, der ist für mich Teil des Problems.
Passt auf euch auf! VVN
Danke für Deine Gedanken hier dazu. Ich verstehe, was Du schreibst und teile Deine Wut über die “Ignoranz und Bequemlichkeit der Privilegierten“.
Wenn jemand “wegschaltet“, weil ihm/ihr sonst der goldene Löffel mit dem teuren Kaviar aus dem Mund fallen könnte, ist das für mich auch etwas anderes, als wenn jemand (durchaus auch jemand mit goldenem Löffel!) “ausblenden muss“, weil er/sie tiefgehend schockiert ist und das (zunächst) nicht händeln kann.