Kontaktpunkte

Gewalt erkennen (wollen)

…Und manche wirken gut gelaunt, obwohl sie zuvor wochenlang gelitten haben. Dissoziation macht’s möglich.

Kinder und Jugendliche, die sexualisierter, organisierter und/oder ritueller/ritualisierter Gewalt ausgesetzt sind, erleben Schul- oder Kitaferienzeiten meistens vollkommen ungeschützt und isoliert in ihrem gewaltausübenden Umfeld. Kein*e Erzieher*in, Lehrer*in, Sozialarbeiter*in o.a. hat evtl. ein Auge auf das, was mit/im Kind passiert – und nach den Ferien muss auch nicht zwingend etwas auf den ersten Blick bemerkbar sein.

Gewalttraumatisierte Kinder und Jugendliche können häufig sehr vehement vermitteln, dass “alles gut war/ist“ (weil es gut sein soll). Es braucht die Bereitschaft erwachsener Personen, genauer hinzuschauen, Fassaden nicht widerspruchslos zu akzeptieren und “dranzubleiben“ – mit einem zuverlässigen, vertrauensvollen und ehrlichen Beziehungs-/Kontaktangebot: “Ich bin hier und bleibe. Ich höre und schaue offen und aufmerksam. Ich erwarte keine Feriensonnenscheingeschichten von dir.“

Wichtig ist, alles für möglich zu halten.

Kinder und Jugendliche können versteckte, verheilte, vernarbte innere und äußere Verletzungen haben- oder auch nicht. Sie können Schmerzen fühlen- oder auch nicht. Sie können sich daran erinnern, was ihnen angetan wurde – oder auch nicht. Sie können “ganz normal und wie immer“ erscheinen – oder auch nicht. Und so weiter. Gewalt hat viele Gesichter.

Aus eigener Erfahrung wissen wir, wie viel innerhalb von 6 Ferienwochen passieren kann- innerlich und äußerlich. In organisierten Gewaltkontexten ist es nicht unüblich, Kinder und Jugendliche z.B. gezielt in eigene “Sommercamps“ (wir kennen sie als sogenannte “education camps“) zu bringen, in denen es um besondere “Prägung“ (mind control) und spezielle Gewaltformen geht. Nach 6 Wochen kann ein bereits vorhandenes dissoziatives Persönlichkeitssystem innere und äußere Veränderungen aufweisen, die beträchtlich sein können. Dies kann neue und/oder massivere Traumafolgesymptome beinhalten- mit gleichzeitig verstärkter Amnesie und/oder hoher Funktionalität (z.B. Verstecken der Symptome).

Auch wenn diese inneren und äußeren Vorgänge unter Verschluss gehalten werden (vom betroffenen Kind/Jugendlichen selbst und natürlich von den Täter*innen und deren Unterstützenden), so ist es dennoch nicht unmöglich, sie zu erkennen.

Dafür brauchen z.B. Pädagogen und Pädagoginnen zum Einen Fachwissen im Bereich der komplexen Gewalterfahrungen und Traumafolgen.

Zum Anderen brauchen sie aber auch persönlichen Mut und ein offenes Herz.

Das Eine kann man lernen – für das Andere muss man sich vor allem entscheiden.

3 Kommentare

  1. Ihr sprecht uns so sehr aus der Seele!!!

    Einige Kinder, Situationen und Momente tauchen vor unserem inneren Auge auf…
    Und viele Fragen. Wo setzt man am besten an, was kann man tun? Wo muss sich am schnellsten was wie ändern? Können wir gegebenfalls dazu beitragen…usw.
    Wir haben etliche Fortbildungen besucht und ORG war nicht ein einziges Mal Thema…auch das geht uns durch den Kopf.

    Danke für den Beitrag!

  2. Die Frage nach Präventionsmöglichkeiten treibt mich auch immer wieder um.
    Wenn ich so nachdenke, was ich selber kommuniziert hab, war das sehr wenig.

    Ein Beispiel:
    Am ersten Schultag sollten alle Kinder ein Bild malen. Ich malte ein tiefschwarzes Rechteck und ein paar Striche drum rum, die ein größeres Rechteckt bildeten. Auf die Frage der Lehrerin, was das sein soll, sagte ich, das ist der Eingang in den Keller. Sie frage sogar, was da ist – im Keller – und ich sagte, das weiß ich nicht.
    Das wars in dieser Situation.
    Hatte das Gefühl, sie hielt mich an diesem ersten Schultag für ein bisschen plemplem. Aber ich war dann ein sehr guter Schüler.

    Wäre ich heute in der Rolle eines Lehrers, würden bei so einer Beobachtung natürlich bei mir alle Alarmglocken läuten.

    Aber sind Pädagogen heutzutage auch so sensibilisiert? Würde das Hilfetelefon Sexueller Missbrauch angerufen werden? Selbst dann, wer und wie würde man so einem Hinweis nachgehen?

    Ich glaub, es s gibt noch viel zu tun.

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