Kontaktpunkte

Das Mitgefühl halten

Wie ist das, wenn Therapeut*innen, Freund*innen, Partner*innen, u.a. Menschen mit schweren Traumafolgestörungen über viele Jahre oder Jahrzehnte begleiten?

Ohne Ein- und Mitfühlungsvermögen wird wohl keine stabile Beziehung aufgebaut und gehalten werden können. Das Gegenüber muss bereit sein, sich auf die Erlebens- und Wahrnehmungsrealität(en) des Anderen einzulassen und dabei auch in gewisser Weise mitzuschwingen. Auch in Krisen und Notfallsituationen „da“ zu sein bedeutet, Schmerz, Angst und andere heftige und belastende Emotionen wahrzunehmen, mit auszuhalten und oftmals nichts „Auflösendes“ tun zu können.

Das Leben mit Traumafolgen ist eine Berg- und Talfahrt, häufig und über weite Strecken mit mehr und sehr tiefen Tälern als Bergen. Wenn jemand dieses Leben (ein Stück weit) mitgeht, sei es in professionell helfender Position (z.B. Sozialarbeiter*innen, Therapeut*innen, Ärzte*innen, Familienhelfer*innen, o.a.) oder in privat begleitender Position (Freund*innen, Partner*innen, Angehörige, o.a.), erlebt man die Berg- und Talfahrt mehr oder weniger hautnah mit. Selbst wenn sich der betroffene Mensch nach Kräften bemüht, nichts von seinem Leid, seinen Ängsten und Krisen nach außen sichtbar werden zu lassen, hat er/sie möglicherweise trotzdem Menschen in seinem Umfeld, die etwas mitfühlen können (und wollen!).

Ich bin unbeschreiblich dankbar für jene Menschen an unserer Seite, die schon seit Jahrzehnten „mit uns gehen“. Mal mehr, mal weniger nah, aber doch immer „da“. Und gleichzeitig mache ich mir immer wieder Sorgen um ihre eigene psychische und physische Gesundheit, um das Thema „Burnout“ und in dem Zusammenhang auch um den Aspekt der sogenannten „Mitgefühlsermüdung“. Ich habe diese Bezeichnung für einen bestimmten Prozess oder Zustand bisher gar nicht gekannt, sondern dazu nur ein Bild gehabt: Nach langjähriger, zum Teil sehr intensiver Begleitung oder „Helfer*innen-Rolle“ geht der Mensch irgendwie innerlich (und irgendwann auch äußerlich) weg vom Gegenüber. Es fühlt sich so an, als sei er/sie gelangweilt, verhärtet, schwingungsunfähig, müde, seltsam distanziert, abgekühlt. Und das in einer Beziehung, die zuvor Wärme, Nähe, Empathie und offene, vertrauensvolle Kommunikation beinhaltete.

Ich denke, dass es ziemlich logisch ist, dass sich eine Freundschaft oder auch eine langjährige therapeutische Beziehung mit der Zeit ent-kräftet. Vor allem dann, wenn es einen Part des schweren Leides gibt, der immer und immer wieder sicht- und fühlbar wird. Ob es nun die Folgen von Gewalt sind, die sich wie ein roter Faden durch das Leben ziehen, oder eine Suchtgeschichte oder eine schwere, körperliche Erkrankung, o.a. Leid ist anstrengend, macht mürbe- und lässt auf Dauer auch „abstumpfen“. Zum Glück, möchte ich auch sagen, denn wenn der Horror jeden Tag, jede Stunde präsent wäre, wäre man nicht mehr lebenswillig- oder?

Für uns selbst sind unsere Gewalterfahrungen nicht immer greifbar. Wir erleben völlig unbeschwerte, glückliche, friedvolle Situationen und Zeiten, in denen wir „vergessen“, was sich in unserem „Rucksack“ befindet, oder dass wir überhaupt einen tragen. Und wir sind für dieses Erleben sehr dankbar, sind erleichtert, so leben zu können.

Das „Vergessen des Rucksacks“ kennen auch unsere nahestehendsten Bezugspersonen, z.B. unsere Lebensgefährtin. Sie ist mit uns dann zusammen in glücklichen Situationen; und daneben, davor oder dahinter ist „nichts“. Unser Background, die Probleme und Gefahren spielen dann keine Rolle. Und ich glaube, dass diese Momente, diese Zeiten absolut nötig und wichtig für die Gesundheit unserer Beziehung, ihrer und unserer individuellen Person(en) sind.

Ich bin froh, dass wir zwischendurch beide-alle „vergessen“ (oder ignorieren?), welche Schwierigkeiten wir „eigentlich“ haben: Dann ist es so, als würden wir im Eifer des Tuns fröhlich auf eine Leiter steigen und erst oben (oder nach dem Abstieg) kurz daran denken, dass wir doch eigentlich schreckliche Höhenangst haben.

Wenn es nun in solchen privaten Kontakten lange Zeit sehr schwer ist, mit vielen Krisen, Abstürzen, Sorgen; und der Rucksack ist unübersehbar prall gefüllt und belastet jeden Alltagsschritt- dann helfen zumindest uns und unserer Lebensgefährtin (und auch unseren engsten Freunden*innen) die Erinnerungen an „(fast) rucksackfreie Momente“. Wir können in diesen Beziehungen beide-alle andocken an das, was unsere gemeinsame Basis ist. Und wir spüren, dass unser gewaltvoller Lebenslauf zwar speziell ist und bestimmte Herausforderungen mit sich bringt- dass unsere privaten Kontakte sich aber nicht nur durch ein „Helfer*innen-Ding“ definieren. Da ist mehr Inhalt, mehr Sinn; es geht auch noch um anderes.

In professionellen Begleitungssettings geht es jedoch hauptsächlich um das, was die Begleitung nötig macht: Die Schwierigkeiten, Störungen, Verletzungen, Behinderungen, Bedürftigkeiten. Der „Rucksack“ wird untersucht, beleuchtet, reflektiert, ausgepackt, auf Aktualität überprüft, usw: Wie kann das Leben leichter gehen, was schleppe ich alles weshalb mit mir herum, wie kann ich Ballast loswerden- wo tut es weh, wie fühlt sich das an, womit hat es zu tun, wie sieht es aus? Aus unserer eigenen Erfahrung heraus habe ich den Eindruck, es wird gerade in Psychotherapien manchmal zu wenig Fokus auf das gelegt, was gut gelingt, was schön ist/war, welche Stärke(n) etabliert wurde. Klar- Psychotherapie hat ja auch einen gewissen „Heilungsauftrag bei psychischer Erkrankung“, es geht ja nicht um Kaffeekränzchenplauderei… Wobei- wenn´s hilft?!

Und jetzt mal Butter bei die Fische: Wenn ich fünf, acht, zehn Jahre als Sozialpädagogin oder Therapeutin einen Menschen durchschnittlich ein Mal pro Woche sehen würde, um mit ihm über Gewalttrauma, alten Schmerz, Ausstieg, innere Kämpfe und immer, immer, immer wieder diverse Rückfälle in destruktive Verhaltensmuster zu sprechen- dann fände ich gewisse Ermüdungserscheinungen auch ziemlich angemessen und normal.

Menschen machen bei Überreizung dicht, auf verschiedene Arten. Wenn ich einen Horrorfilm anschauen müsste, würde ich natürlich reflexhaft versuchen, Augen und Ohren zu verschließen, um meine Psyche vor Überforderung zu schützen. Wäre ich Horrorfilmen jeden Tag ausgesetzt, weil ich „Horrorfilmtesterin“ wäre (gibt es diesen Job?), würde ich irgendwann abstumpfen und den Schrecken darin nicht mehr spüren. So geht es Menschen ganz generell, wenn sie z.B. ständig mit Nachrichten von Attentaten, Kriegsgebieten, sinkenden Flüchtlingsbooten, o.a. konfrontiert werden: Sie finden es zwar immer noch schlimm, aber häufig eher auf kognitive Weise und weniger emotional fühlbar.

Ein*e Psychotherapeut*in, die mit ihrem Mitgefühl sehr nah an der/dem Klienten*in dran ist, die quasi ungefiltert mit eintaucht in diese Erlebensrealität, kann meiner Meinung nach gar nicht ohne Sekundärtraumatisierung und Burnout aus dieser Geschichte herauskommen. Die z.B. sozialpädagogische Begleitung eines Ausstiegs aus organisierten Gewaltstrukturen, die konfrontiert ist mit Bedrohungen, Übergriffen, körperlichen und psychischen Verletzungen, Hilf- und Schutzlosigkeit, Suizidimpulsen und -handlungen, muss einen Umgang damit finden, permanent hochgradig besorgt (oder gar verängstigt) zu sein. Wenn einem der/die Klient*in am Herzen liegt, ist es doch klar, dass man emotional beteiligt ist.

Wie kann man diese Berg- und Talfahrt teils über Jahre begleiten, ohne auszubrennen und ohne sein Mitgefühl, sein offenes Herz, seine Geduld zu verlieren? Ist eine gewisse Sachlichkeit oder gar Verhärtung nötig, damit man „durchhalten“ und da bleiben kann? Wo setzt man Grenzen gegen Sekundärtraumatisierung und wo werden sie zur Mauer gegenüber der/dem Klienten*in?

Meine (ressourcenorientierten :-)) Stichworte dazu sind:

Ehrlichkeit: Sich Erschöpfung zugestehen und sie aussprechen. Was nicht geht, geht nicht. Was das Herz/der Bauch sagt, ist wichtig.

Fokus: Den Wert der Beziehung außerhalb des Rucksacks beleuchten. Die Überlebensstärke im Gegenüber wahrnehmen und aussprechen. Was ist dir wichtig, was ist mir wichtig?

Reflektion: Gehen wir eigentlich noch gemeinsam in eine Richtung? Was war bisher, was hat geholfen, was haben wir schon zusammen geschafft? Wie fühlst du dich mit mir, wie fühle ich mich mit dir und unserer Arbeit?

Pausen: „Nur mit sich sein“ kann helfen und stärken. Manches braucht Ruhe und Zeit, um sich „setzen“ zu können. Ablenkung mit Schönem ist erlaubt. Einfach mal „nicht daran denken“. Pause bedeutet nicht „Beziehungsende“.

Wertschätzung: Ich darf dich mögen und du mich. Unsere gemeinsame Arbeit / der gemeinsame Weg lohnt sich. Wir haben schon viel ausprobiert, geschafft, besprochen, verworfen. Das, was wir bisher gemeinsam getan haben, war und ist unverzichtbar.

Vernetzung: Nicht alleine bleiben, nicht alleine kämpfen. Schweres braucht mehrere zuverlässige Mitträger*innen.

7 Kommentare

    1. Zuerst dachte ich: Wo haben wir das denn geschrieben, dass wir über längere Zeit beschwerdefrei sind?!
      Dann las ich noch mal im Text nach😉 “Längere Zeit“ würde ich jedoch etwas relativieren wollen, das klingt nach Monaten völlig ohne irgendeine posttraumatische Symptomatik- und das ist eher unwahrscheinlich. Noch zumindest. 😊 Alles Gute für Euch.

      1. Danke, liebe Paula für die lieben Wünsche und für’s Klarstellen. Wobei ein bis zwei Wochen wären auch super ohne posttraumatische Symptome. Ist aber vielleicht auch zu lange? …… Wir wünschen euch, dass sich die „längere Zeit“ bald einstellt.
        Alles Liebe und Gute
        „Benita“

  1. Danke für diesen Beitrag, der bei uns so etwas wie Hoffnung anklingen lässt, das es auch gute Zeiten geben kann und auch sicher schon gegeben hat, nur vergessen wir sie oft! Danke fürs erinnern

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