Kontaktpunkte

(K)ein Teil davon: DIS in der Öffentlichkeit

Nachdem wir 1999 die Diagnose „Multiple Persönlichkeitsstörung“ (heute „Dissoziative Identitätsstörung“) erhielten, suchten wir nach Büchern, Dokumentationen, Reportagen o.a. zu diesem Thema. Im Internet bewegten wir uns zu dieser Zeit noch gar nicht. Wir fanden irgendwann die Bücher „Multiple Persönlichkeiten“ von Michaela Huber und „Schmetterlingsfrauen“ von Sabine Marya, entdeckten die Selbsthilfe-Zeitungen „Matrioschka“ und anschließend die „DIS-Tanz“, hörten ein Radio Feature, sahen die Reportage „Die Seele brennt“. Direkte Kontakte zu anderen Betroffenen hatten wir nicht, aber wir erlebten eine Art Austausch und Wiedererkennen über die Beiträge in den Selbsthilfe-Zeitungen.

Später entdeckten wir die Möglichkeiten des Internets, nutzten das „Lichtstrahlen-Forum“ und einen Chat. Social Media war damals noch kein Thema. Analoge Selbsthilfegruppen kamen für uns aus Angst und Überforderung nicht in Frage und uns waren auch keine in unserer Umgebung bekannt.

Heute sieht alles ganz anders aus: Es gibt viel mehr verschiedene Literatur, Filme, Dokumentationen, Medienberichte, Selbstvertretung und Accounts von Betroffenen in sozialen Netzwerken, Chats, Gruppen, u.a. Darüber, wie der Austausch im analogen Leben deutschlandweit aussieht, wie viele Selbsthilfegruppen, Vernetzungsinitiativen, Intervisionsgruppen und Arbeitskreise existieren, haben wir keinen Überblick.

Wir bekommen vor allem über unsere Öffentlichkeitsarbeit und die Peer- und Angehörigenberatung etwas von der „Betroffenencommunity“ und der „Helfer*innen-Szene“ mit. Wir sehen Ausschnitte von dem, was an Selbstvertretung und Aktivismus passiert, auf Instagram (andere social media-Kanäle nutzen wir nicht), in Blogs, Podcasts oder anderen Publikationen. Und uns fällt auf, dass wir uns immer weniger, d.h. fast gar nicht mehr „dazugehörig“ oder „gemeint“ fühlen.

Wir haben einerseits den Eindruck, dass Vieles einfach vermischt wird und Unterschiede keine Rolle mehr spielen: Anteile, Ego States, DIS- egal, alles das Gleiche? Ein spannendes Thema, um sich in seiner Individualität und mit unterschiedlichen Seiten zu zeigen- DIS als „Followercatcher“ im Insta-Profil? DIS als Erklärung oder Legitimation für das eigene Sein- fast wie ein Lifestyle: „Du kannst alles/jede*r sein- feel free!“?

Andererseits sehen wir, dass zum Thema DIS viel „exotisiert“ und „spezifiziert“ wird: Reaktiv oder programmiert, polyfragmentiert, hoch funktional, mit oder ohne Innenwelt, usw.- DIS ist nicht gleich DIS, logisch. Die Ausprägungen, Symptome, Strukturen sind verschieden, bunt, individuell. Die Diagnosekriterien sind jedoch klar definiert.

Wie positioniert sich die „Fachwelt“ heute im Vergleich zu „vor 25 Jahren“? Wir haben nicht die Zeit, Kraft und Finanzen, um uns durch diverse Fachbücher zu arbeiten; außerdem fehlt uns der Zugang zu entsprechenden Fortbildungs- und Tagungsangeboten. Das bedeutet, dass wir kein umfassendes, vollständiges Wissen dazu haben, wie heute in der „Traumatherapie-“ oder generell „Helfer*innen-Szene“ über die DIS gedacht, gesprochen, geforscht und mit ihr gearbeitet wird. Ausschnitte sind uns jedoch bekannt.

Wir sind sehr froh darüber, dass in den letzten Jahrzehnten viel mehr erkannt, verstanden und verändert wurde: Die DIS wurde sowohl per bildgebenden Verfahren belegt, diagnostisch genauer beleuchtet (siehe ICD-11) und insgesamt nicht mehr als „absolut seltenes Phänomen“, sondern als in sich logische und existente Traumafolgestörung gerahmt. Diese Erkenntnis ist bei manchen Institutionen und erst recht bei Behörden leider noch nicht ganz angekommen und wird auch von Gegenströmungen im Sinne eines „backlashs“ negiert, aber ganz grundsätzlich muss/müsste man heute keine Grundsatzdiskussionen mehr führen.

Traumatherapie ist kein Hexenwerk und keine „Nische“. Es gibt Ausbildungs-, Fortbildungs-, Weiterbildungs-, Supervisions-, Vernetzungsangebote und -möglichkeiten. Wenn man ein*e gute*r Traumatherapeut*in werden möchte, kann man sich mit entsprechenden persönlichen, fachlichen und finanziellen Voraussetzungen vor Ort auf den Weg machen und muss dafür nicht in die USA reisen oder das Rad neu erfinden.

Und obwohl (oder gerade weil?) sich so viele Optionen mit den Jahren entwickelt haben, sich Informationen, Wissen und Kontakt zu/mit DIS zu verschaffen, sind wir mit Vielem, was uns medial begegnet, nicht glücklich. Wir haben den Eindruck, dass es einen „blind spot“ gibt, quasi ein „no-go“ in der Betroffenencommunity: Die Frage danach, wie eigentlich Selbstvertretung stattfindet und wie „wir“ uns öffentlich zeigen und positionieren. Wie prägen „wir“ das „Bild“ über DIS? Welche Behauptungen, Thesen, Haltungen tragen „wir“ in die Welt? Wo und wie tragen wir zu Stigmatisierung, Exklusion und letztlich auch Isolation bei?

Ein Aspekt, der uns beispielsweise beschäftigt, ist die Aufteilung der DIS in eine „reaktive“ oder „programmierte/von Täter*innen gemachte“ Form. Wir wissen nicht, wer diese Unterscheidung eigentlich etabliert hat und wie sie in der „Fachwelt“ diskutiert wird. An einigen Stellen wird sie jedoch immer wieder aufgegriffen und ausgestaltet, im Sinne einer Aufklärung beschrieben und beleuchtet. Unsere Frage dazu ist: Welchen Sinn macht das und wofür ist das gut?

Unsere eigenen Gedanken sind: Warum eine DIS ensteht, ist individuell verschieden. Frühe, langjährige Gewalt spielt immer eine Rolle, „niemand hat geholfen“ ebenfalls. Strukturelle Dissoziation braucht bestimmte Voraussetzungen, um sich entwickeln zu können- und unserem Verständnis nach ist sie immer ein reaktiver Vorgang auf äußere Gegebenheiten. Eine DIS ist eine traumaassoziierte Anpassungsleistung des Gehirns, sie findet also immer „im eigenen Kopf“ statt und nicht außerhalb.

Dass Täter*innen in organisierten Gewaltkontexten den menschlichen Automatismus der Dissoziation nutzen, um ein Kind nach eigenen Vorstellungen zu prägen, trainieren, „gefügig zu machen“, ist unstrittig. Wenn man vorhat, Kinder langfristig in einer Gruppierung auszubeuten, von ihnen zu profitieren und dabei sicher zu sein, dass man damit nicht auffliegt, dann bietet es sich an, Wissen und Fähigkeiten im Bereich von sogenannter „mind control“ zu haben und anzuwenden. Nicht jede Täter*innengruppe, die kommerziell sexualisierte Gewalt ausübt, „trainiert“ ihre Opfer gleich intensiv. Nicht jedes Kind, das in solchen Strukturen aufwächst, wird in Sachen DIS gleich fokussiert „bearbeitet“. Manchmal reicht es Täter*innen einfach auch, wenn Opfer schlicht und unkompliziert situativ angepasst funktionieren: Dazu braucht es unserer Ansicht nach nicht zwingend eine riesige Anzahl hochkomplex durchprogrammierter Innenpersonen.

Eine Situation erfordert eine Orientierung und Anpassung. Eine Aufgabe erfordert eine Lösung. Ein Trauma erfordert einen Überlebensmechanismus („Fight-Flight-Freeze-Fawn-Fragment“). Alles, was dazu in einem Menschen stattfindet, ist reaktiv. Jede Spaltung, jede neue Innenperson- auch jene, die von Täter*innen bewusst forciert, gewollt, gestaltet, per „mind control“ initiiert ist- ist ein reaktiver Vorgang. Auch jede etablierte Konditionierung und Programmierung ist ein reaktiver, d.h. angepasster Effekt im Gehirn der/des Betroffene*n und somit letztlich „selbst gemacht“.

Uns ist klar, dass diese Sichtweise die Gemüter vor allem auf Betroffenenseite erhitzen kann. Wir möchten betonen: „Selbst gemacht“ meint nicht „selbst Schuld“! Und „selbst gemacht“ bedeutet auch nicht „Dann löse es doch einfach wieder auf!“ Diese langjährige, traumatische und somit auch neuronale Prägung hinterlässt schwerwiegende Folgen auf allen Ebenen- wir wissen, wovon wir sprechen und wie hart die Arbeit an Veränderung ist. Wir wissen zudem aus eigener Erfahrung, dass sich manches nicht verändern und erst recht nicht heilen lässt.

Die Unterscheidung in „reaktive“ und „gemachte/programmierte“ Systeme trägt unserer Ansicht nach nicht dazu bei, dass alle irgendwie besser verstanden, anerkannt, gesehen, bedacht oder unterstützt werden. Wir erleben es so, dass dadurch zum Einen eine „Hierarchie des Schreckens“ gefördert wird und zum Anderen vermittelt wird, dass „gemachte/programmierte“ Systeme eine besondere, andere, umfangreichere, herausfordernde, „spezielle“ Psychotherapie benötigen- die quasi im Grunde niemand zu leisten vermag, weil sich ja niemand mit dieser „hohen Komplexität“ auskennt oder fachlich wirklich geeignet ist. Es kann also nur schiefgehen. Die täter*innensuggerierte Ausweglosigkeit wird weiter gefüttert, es bleibt bei einer kollektiven Erstarrung und Lähmung, sowohl im inneren als auch im äußeren System und alle Beteiligten fühlen sich handlungsunfähig. Die Einzigen, die davon unbeeindruckt weiter aktiv sind, sind die Täter*innen.

Langjährig verschiedenen Methoden von „mind control“ ausgesetzt zu sein, bedeutet, massiv körperlich und psychisch Gewalt zu erleben. Ein Kind, das in seiner direkten Umgebung so gefoltert wird, hat keine Chance auf eine gesunde Identitätsentwicklung und eine innere Abspaltung findet zwangsläufig statt- und das tut sie auch, wenn „mind control“ keine Rolle spielt. Frühe, massive Gewalt- eine Grundvoraussetzung zur Ausbildung einer strukturellen Dissoziation im kindlichen System und Teil ganz logischer, posttraumatischer Symptomatik.

Wir denken, dass es bei der Behandlung und Begleitung komplextraumatisierter Menschen darauf ankommt, dass Helfer*innen Fachwissen und menschliche Eignung mitbringen. Zu Fachwissen gehört für uns maßgeblich auch das Wissen um/über verschiedene Formen von Gewalt. Wozu Menschen fähig sind, im Innern und im Außen- sich damit zu befassen erfordert eine Fähigkeit, sich Dinge vorstellen und für möglich halten zu können. Die Bereitschaft, das eigene Weltbild zu hinterfragen und sich zu reflektieren. Wenn ich nicht weiß oder wissen will, welche Ursachen einer DIS zugrunde liegen können, kann ich nicht (professionell) unterstützen.

Auch das Wissen über „mind control“-Methoden gehört für uns zur fachlichen Qualifizierung dazu. Ich muss mir nicht bildlich ausmalen, welche Qualen konkret ausgeführt werden- aber ich muss verstanden haben, welchen Effekt diese Gewalt auf das Kind/den Menschen hatte und heute noch hat. Was ist von Täter*innen getan worden um was zu erreichen (Reiz-Reaktion)- und was bedeutet das heute für den/die Überlebende*n? Diese Frage wirklich in die therapeutische Arbeit mit einzubeziehen, empfinden wir als wesentlich wichtig, wenn es nicht nur um „Dauerstabilisierung an der Oberfläche“ gehen soll, sondern um gesamtsystemische, traumaintegrative Prozesse mit langfristigen, lebensverbessernden/-erleichternden Veränderungen.

Zurück zum Ausgangsthema: Mit all diesen Gedanken und Erfahrungen fühlen wir uns allein, obwohl es eine große „Betroffenencommunity“ im Internet gibt, die nur einen Klick entfernt ist. Eine Community, die sich für uns so fremd geworden anfühlt- und einer „Helfer*innenszene“, bei der wir auch als Peer- und Angehörigenberater*innen außen vor bleiben. Bei den Einen kommen wir uns zu wenig oder zu anders betroffen vor, um Teil von ihnen zu sein, bei den Anderen zu viel. Das macht uns auch traurig- gleichzeitig sind wir aber auch wütend: Wir wollen gar nicht dazugehören, wenn das Bild einer DIS auf social media „so“ aussieht, oder wenn Fachleute „solche“ Ideen dazu haben, oder wenn Medienberichte „so“ formuliert werden, usw.

Die Frage ist, wo „wir“ hinwollen.

Öffentlichkeitsarbeit 2025

Neues Jahr, neue Projekte!

Wann sehen wir uns?

Wir freuen uns, wenn Beratungsstellen, Vereine, Institutionen und andere Akteur*innen des „Hilfesystems“ (auch Selbsthilfe!) uns einladen, um zum Themenbereich Dissoziative Identitätsstruktur und organisierte, sexualisierte Gewalt zu sprechen.

Was beschäftigt Euch? Worüber möchtet Ihr mehr wissen? Welchen Input braucht Ihr und welche Perspektiven wollt Ihr mit uns erarbeiten?

Wir gehen auf Euren Bedarf ein und gestalten kreativen, lebendigen Austausch auf Augenhöhe.

Gerne kommen wir zum Beispiel mit Euch in Kontakt zu speziellen Fragestellungen aus Eurem Arbeitsalltag, berichten aus unserer Peerberatung, beleuchten Herausforderungen und Möglichkeiten in der Unterstützung von Menschen mit DIS und tragen zu positiven, stärkenden Vernetzungen bei.

Wir sind gespannt auf Euch und freuen uns, von Euch zu lesen.

Meldet Euch gerne per Mail:

paula (minus) rabe (ät) posteo (punkt) de

Viele freundliche Grüße,

Paula Rabe

Ja zur Liebe

Was wir zum Jahresende sagen möchten?

„Es ist gut und richtig, Bindungen einzugehen und das Herz zu öffnen. Jemandem mit Liebe zu begegnen und Liebe aufzunehmen. Ja, das bedeutet eben, lebendig und Mensch zu sein.

Es ist ein Trugschluss, zu glauben, dass man in Sicherheit ist, wenn man innerlich hart wird und bleibt. Es führt nur dazu, dass man das Alleinesein, die Isolation etabliert. Wenn man nicht liebt, wenn man sich nicht verbindet, wird man auch nicht verletzt- es tut einfach nicht weh, weil es kein Verlassenwerden, keine Verletzung, keinen Abschied, keinen Konflikt, keinen Verlust gibt. Wenn man nichts hat, kann man auch nichts verlieren und erspart sich die Tränen.

Ja. Nein!

Der Schmerz ist trotzdem da. Ohne Liebe, Freundschaft, Beziehung, Menschen- und/oder Tierbezug ist und bleibt da dieses Loch, diese Leere, diese furchtbare Kälte – und das Leben geht dennoch weiter. An einem vorbei.

Wenn man nichts (mehr) fühlt, was für ein Leben ist das dann? Wer ist man dann, als Lebewesen, das Antennen, Sensoren, Zellen, Kanäle, Sinne usw. hat? Hart, stumpf, leer, taub – damit es bloß nicht weh tut? Welch hoher Preis!

Diese Medaille hat doch zwei Seiten. Manchmal fokussiert man sich nur auf die eine, weil man muss(te) und vor Angst erstarrt ist. Liebe bringt Schmerz mit sich – das ist die eine Seite. Und die andere? Ohne Liebe ist das Leben hohl – wie viel reichhaltiger, bunter, klarer, schöner ist es, wenn man sich und andere liebt und fühlt.

Wir haben schon Menschen und Tiere verloren, die wir geliebt haben. „Wir“ waren schon unglücklich und hoffnungslos verliebt, wurden verlassen, belogen, misshandelt, ignoriert, ausgenutzt… Wir kennen die guten und die schlimmen Aspekte von „Bindung“. Und immer noch und immer wieder taucht der Gedanke auf, dass es „dumm“, „falsch“, „gefährlich“ ist, sich auf jemanden emotional einzulassen. Wir wissen, woher der Gedanke kommt und welchen Sinn er hat(te). Wir haben Erfahrungen damit, ihm zu begegnen, ihn ernst zu nehmen und ihm mit Mitgefühl zu begegnen – so dass wir auch neue, andere Erlebnisse und Veränderungen schaffen können.

Im Leben zu sein und zu bleiben bedeutet für uns, Verbindungen zu fühlen und damit dieser tiefgreifenden Einsamkeit im Innern zu begegnen. Erst wenn wir uns diesem Schmerz zuwenden und spüren, dass Verhärtung nicht (mehr) schützt, sondern Altes aufrechterhält, kann sich auch etwas (auf-)lösen.

Gefühle wie Trauer, Wut und Angst wahrzunehmen, statt sie automatisch zu dissoziieren, ist für uns ein ständiger Lernprozess. Wir halten aus, dass es sich (erst mal) nicht gut anfühlt und dass wir nicht darin geübt sind, uns damit zu konfrontieren. Außerdem halten wir aus, dass „es“ dauert. Dass sich nichts forcieren lässt. Dass es mal leichter und mal schwerer geht. Dass es Situationen gibt, die ohne „sich wegzumachen“ (noch) nicht zu bewältigen wären.

Wir gehen damit weiter, weil wir unser Leben nicht an uns vorbeiziehen lassen wollen. Das ist eine Erkenntnis von Verlustschmerz, mit der wir arbeiten können: Das Leben ist endlich. Ein großer Teil davon war für uns furchtbar. Ein anderer großer Teil war so, so schön. Und die Zeit, die noch vor uns liegt, möchten wir so gut wir es können in unserem Sinne gestalten.

Das geht nicht mit verschlossenem Herzen.

Mit Tieren leben

Viele komplextraumatisierte Menschen leben mit Haustieren. Viele empfinden diese Bindung und Beziehung als deutlich vertrauensvoller, näher, ehrlicher, ungefährlicher, als sie es je mit einem anderen Menschen sein könnte. Viele fühlen sich von ihrem tierischen Begleiter verstanden, gesehen, respektiert – kurzum: Bedingungslos geliebt und auch kompromisslos gebraucht. Manchmal zum ersten Mal überhaupt.

Mit einem Tier zu leben bedeutet, weniger einsam zu sein. Und es bedeutet auch, Verantwortung zu tragen: Man versorgt ein anderes, abhängiges Lebewesen mit Nahrung, Medizin, Bewegung, Auslastung, Pflege, Zuwendung – und zwar bestenfalls auch dann, wenn man selbst krank, erschöpft, belastet o.a. ist. Jahrelang – bis zum Lebensende des Tieres.

Sich darüber bewusst zu sein, welche (auch finanziellen) Anforderungen auf einen zukommen (können); abzuwägen, welche Möglichkeiten und Ressourcen einem dafür zur Verfügung stehen; zu reflektieren, warum man zu welchem Zeitpunkt ein Tier zu sich holen möchte und welche Erwartungen man ihm ggf. (unbewusst) entgegenbringt – all das sollte Teil der inneren Auseinandersetzung sein.

Bei menschengemachtem Komplextrauma ist es sehr verständlich, dass eine Bindung zu einem Tier leichter fallen kann, als zu einem anderen Menschen – dennoch kann es nicht Aufgabe oder gar Verantwortung eines Tieres sein, diese Wunden zu heilen oder das zu ersetzen, was auf der Menschenebene fehlt(e). Ein Tier ist ein eigenständiges Lebewesen, mit individuellen Bedürfnissen und Grenzen.

Im Zusammenhang mit unseren Gewalterfahrungen spielen auch Tiere eine Rolle. Da gibt es Triggerpotenzial und mehr oder weniger große Herausforderungen. Ein Lebewesen auch dann liebevoll, „erwachsen“ und konsequent zu versorgen, wenn es krank, ängstlich, kompliziert, „dysfunktional“ ist, ist nichts, was wir jemals erfahren oder gelernt hätten. Natürlich ist es leicht, ein gesundes, freundliches, zufriedenes Tier zu füttern, zu kuscheln und zu bespaßen- natürlich ist es unbeschreiblich „heilsam“, diese Herzverbindung zu spüren, gemeinsam zu lernen, zusammen Wege zu gehen, usw. Wenn alles gut ist, ist alles gut?!

Ich kann das nicht. Ich darf nicht. Es ist alles meine Schuld. Ich will meine Ruhe haben. Es soll alles (wieder) normal sein. Ich bin ein schlechter Mensch. Ich bringe Unglück.

Innere Härte. Tätergedankengut. Dissoziation. Traumaassoziationen. Flashback-Reaktionen. Reizüberflutung. Innerer Rückzug.

Traumafolgesymptomatik sieht verschieden aus im Alltag, ist mal mehr, mal weniger präsent, kann mal alleine, mal (nur) mit Unterstützung kompensiert werden. Dazwischen lebt vielleicht ein oder mehrere Tiere- und hilft möglicherweise nur durch die bloße Existenz dem Menschen dabei, überhaupt am Leben zu bleiben, am Leben teilzuhaben. Was für ein Schatz, was für eine Bedeutung! Was für ein Konfliktpotential?!

Kurz vor Weihnachten ist eine unserer beiden Katzen gestorben.

Sie war ca. 16 Jahre alt und sehr krank und wir mussten mit unserer Frau zusammen entscheiden, sie einschläfern zu lassen. Dass diese Entscheidung auf uns zukommen würde, war absehbar und wir waren „froh“, damit nicht alleine zu sein, sondern mit unserer Frau den Zeitpunkt und die Umstände besprechen und entscheiden zu können. Alleine hätten wir unsere Katze nicht so gut versorgen können, weder vorher in dem längeren Zeitraum der Krankheit, noch in der Sterbesituation.

Wenn ich „Ja“ zu einem Tier sage, muss ich auch „Ja“ zu einem Abschied sagen können. Gehe ich diese Bindung ein, kommt auch irgendwann der Verlustschmerz. Vielleicht reagiere ich automatisch dissoziativ, weil die Gefühle zu groß und zu unaushaltbar sind oder scheinen. Vielleicht ist es auch möglich, einen Trauerprozess bewusst zu durchlaufen. In jedem Fall ist der Tod des geliebten Tieres ein Zeitpunkt, der Altes (re-)aktivieren kann und deshalb nicht einfach „übergangen“ werden sollte zugunsten einer vermeintlichen Funktionalität oder „Gefasstheit“.

„Besser gar nicht erst lieben, damit es nicht weh tut“ ist eine sehr massive, haltbare und auswirkungsreiche Traumawahrheit- die dazu führt, dass man in sich eingeschlossen und verhärtet bleibt.

Mit einem Tier zu leben und es irgendwann bewusst zu betrauern, wirkt dem entgegen und ist eine mutige, bedeutsame Entscheidung. Die Liebe zuzulassen, sie auszudrücken, sich wirklich an ein Lebewesen zu binden, von dem man weiß, dass es irgendwann furchtbar fehlen wird – dieses „Ja“ zur Herzöffnung und dem unvermeidbaren, schlimmen Schmerz- das ist eines der größten Wagnisse, die man eingehen kann.

Balance braucht Achtsamkeit

Und irgendwann geht es dann nicht mehr ums existenzielle Überleben. Irgendwann muss nicht mehr nach Schutzwohnungen gesucht, die Notaufnahme gefunden und die Nacht überlebt werden. Irgendwann hat sich etwas beruhigt im Traumafolgeerleben und es gibt mehr Routine und weniger Chaos.

Irgendwann geht es nicht mehr darum, den Körper vor der nächsten Selbstzerstörungsaktion zu retten oder bestimmte Innenpersonen davon abzuhalten, ihn der Gewalt auszuliefern.

Irgendwann sind Feiertage nur noch Tage, vielleicht mit Krisenpotenzial, vielleicht auch ohne. Der Adrenalinspiegel zeigt weniger Spitzen. Und das darf so sein, ohne zu Tode zu ängstigen oder zu langweilen. Leben ist ausbalancierter geworden.

Und dann?

Hältst du das aus?

Fühlt es sich gut und richtig, oder schlecht und falsch an – oder beides/alles?

Gibt es manchmal den Impuls, genau diese Balance (zer-)stören zu wollen/müssen?

Wünschst du dich manchmal zurück in eine Zeit, in ein Leben, das sich vertrauter und somit sicherer angefühlt hat, als „das hier“?

Fragst du dich, wer du eigentlich bist, jetzt, wo es nicht mehr um Leben und Tod geht?

Kennst du dieses Gefühl von absoluter Haltlosigkeit, obwohl es im Innen und im Außen gute (neue), selbstgewählte, selbstgestaltete Verbindungen gibt?

Dann weißt du sicher auch, wie schnell jahrelang hart erarbeitete Stabilität bröckeln kann.

Nur ein kurzer Blick in eine Onlinepräsenz eines Menschen von damals, nur eine kleine Google-Anfrage, nur ein harmloser Spaziergang an einen Ort, der etwas „Undefinierbares“ innen macht, nur ein Mal eine alte Telefonnummer wählen und direkt wieder auflegen, bevor jemand abhebt, nur ein paar Minütchen durch ein altes Fotoalbum blättern…

Nur kurz noch mal Adrenalin. Andocken an Vertrautes. Sich irgendwie auskennen. Es geht ja nicht mehr um Leben und Tod.

Schon so lange raus aus der Gewalt, schon so viel Therapieerfahrung, was soll denn passieren…?

Kennst du das? Dann achte bitte gut auf Dich. Besonders in dieser Zeit, aber auch sonst.

Denn Balance ist etwas, was Achtsamkeit braucht.

Zum 25.11.: In Sicherheit gebracht- und dann?

2001 machten wir in aller Konsequenz unsere Schritte raus aus der organisierten Gewalt. Wir waren aufgrund der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung und Dissoziativen Identitätsstruktur bereits seit 1998 sowohl in ambulanten, als auch in stationären psychotherapeutischen Behandlungen gewesen. Dies ermöglichte uns, den Schritt zu wagen, „von dort wegzugehen“.

Die Entscheidung zu treffen, alle Kontakte abzubrechen, für körperliche Sicherheit zu sorgen und „erst mal in der Anonymität zu verschwinden“, schafften wir damals auch deshalb, weil es Menschen gab, die uns darin unterstützten. Weil es positive Beziehungs- und Bindungserfahrungen gab, (auch) mit Personen, die dem Hilfesystem angehörten. Die wenigsten von ihnen hatten Erfahrungen und Fachwissen zum Thema „Dissoziative Identitätsstruktur“ und „organisierte, sexualisierte Gewalt“. Sie waren jedoch offen für uns, bereit zu lernen, auszuprobieren, mitzugehen, zu reflektieren – sich einzulassen und uns in dem, was wir ausdrückten, brauchten, mitteilten ernst zu nehmen und anzuerkennen.

„Uns in Sicherheit zu bringen“ erwies sich als komplizierter, als gedacht/gehofft: Wo gibt es Schutzeinrichtungen? Wer begleitet einen „Ausstieg“ aus organisierten Strukturen? Wie schafft man es, „unter dem Radar“ zu verschwinden?

Das, was es damals, vor 24 Jahren, für uns gab, war eine kurzzeitige Unterbringung in der geschlossenen Psychiatrie und ein anschließender Platz in einem Frauenhaus. Einem Haus, das zuvor noch nie (bewusst) einen Menschen mit einem Hintergrund wie unserem aufgenommen hatte und trotzdem (!) bereit war, mit uns zu schauen, was wie gehen kann. Und dann an seine Grenzen kam.

Heute sieht die Versorgungssituation für gewaltbetroffene Menschen, die „sich in Sicherheit bringen wollen“, leider nicht besser aus, obwohl Verantwortungsträger*innen wissen, wie schlimm die Lage ist. Frauenhausplätze sind rar, Hilfeinstitutionen müssen um die Finanzierung ihrer Arbeit bangen und kämpfen, spezielle Schutzeinrichtungen für Opfer von Menschenhandel, Zwangsprostitution, organisierter Gewalt sind praktisch nicht vorhanden. Wie jedes Jahr weisen auch heute wieder viele engagierte Menschen auf die Bedeutung des 25.Novembers, dem „Tag gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen“ (#orangedays) hin (wir bezeichnen ihn lieber als „Tag gegen patriarchale Gewalt“), es wehen Fahnen und Banner, Politiker*innen sagen dies und jenes (und kürzen trotzdem)- und „in Sicherheit“ sind weiterhin zu wenige.

Manchmal fehlt uns in Diskussionen über patriarchale Gewalt und ihre Formen und Varianten ein Fokus auf das Leben mit den Folgen. Was bedeutet für die Betroffenen denn eigentlich „Sicherheit“? Wie geht es für sie weiter, nach dem Frauenhaus, nach der Ambulanz, der vertraulichen Spurensicherung, der Akutpsychiatrie, dem Gerichtsprozess? Was brauchen sie mit den Folgen der erlebten Gewalt in ihrem Leben, um fühlen zu können: „Das ist mein Leben, ich bin selbstbestimmt und frei und ich mag es, dass ich da bin!“?

Es ist wichtig, dass das Beleidigen, Bedrohen, Belästigen, Schlagen, Vergewaltigen aufhört. Dass Körper und Seele geschützt werden vor weiteren Übergriffen, so gut das irgendwie möglich ist. Dass der Einfluss des/der Täter*in(nen) auf die/den Betroffene*n unterbunden wird. Das Ende der äußeren Gewalt ermöglicht einen Anfang: Zur Ruhe kommen und Erholung suchen, Grundbedürfnisse erkennen und versorgen, sich selbst wahrnehmen, sich selbst verstehen – wieder mehr zu sich kommen und dann herausfinden, wie es weitergehen kann/soll.

Damit es ein „Danach“ (nach der Gewalt) und/oder „Vorwärts“ überhaupt geben kann, brauchen Betroffene Unterstützung, die über „akut“ hinausgeht: Langfristige Begleitung komplextraumatisierter Menschen bedeutet zum Beispiel ambulante und stationäre Psychotherapie, Familienhilfe, Assistenzleistungen, Rechtsbeistand, medizinische und verschiedene therapeutische Versorgungen, „betreutes Wohnen“, finanzielle Unterstützung, u.a. Nichts davon ist für Betroffene wirklich leicht und zuverlässig zugänglich und erhältlich. Nichts davon ist etwas, das ganz selbstverständlich zu einem „Sicherheitspaket“ für jemanden, der patriarchale Gewalt erlebt und verlassen hat, gehören würde.

Wie sie mit den Gewalterfahrungen und ihren Folgen (weiter-)leben können und/oder wollen, ist ein großer Teil der inneren Auseinandersetzung von Betroffenen. Irgendwie muss/soll/will das, was erlebt wurde, „integriert“ werden und irgendwie muss/soll/will ein Platz in dieser Welt, in dieser Gesellschaft gefunden werden, d.h. Verbindung im Innern und im Außen hergestellt werden. Wir wünschten, Betroffene wären in diesem Prozess nicht so häufig so allein und „unbegleitet“, sondern hätten viel mehr „Andockmöglichkeiten“, sowohl im Privatbereich, als auch im „Hilfesystem“.

Als wir 2002 nachts im Zug auf dem Weg nach „weit weg“ saßen, waren wir krank. Wir hatten eine turbulente, temporeiche, sehr belastende Zeit hinter uns, bis unsere damalige gesetzliche Betreuerin einen einigermaßen „geschützten“ Wohnplatz für uns gefunden hatte. Sie saß uns gegenüber und schlief die ganze Fahrt, während wir bei jedem Halt des Zuges den Impuls verspürten, rauszuspringen. Wir waren zu krank, zu erschöpft und zu erstarrt, um das wirklich umzusetzen- und wir hatten wahnsinnige Angst. Vor dem, wovor wir flüchteten- aber viel mehr noch vor dem, was auf uns zukam. Wir fuhren in ein großes, umfassendes Nichts, hatten keine Ahnung, was eigentlich „Sicherheit“ für uns bedeuten könnte und ließen alles zurück, was wir kannten.

Inzwischen haben wir Klarheit, Wissen, Fühlen, Erfahrung dazu, wofür es sich lohnte, diesen Weg zu machen. Wir fühlen uns dort, wo wir leben, verbunden und „zu Hause“, haben weitere gute Beziehungs- und Bindungserfahrungen machen dürfen, uns stabilisiert, traumaverarbeitende, integrative Prozesse durchlaufen, sinnstiftende Tätigkeiten etabliert, u.a.

„Es ist richtig und wichtig, dass wir da sind und dass es unser Leben so für uns gibt!“ können wir denken, fühlen und sagen.

Vielleicht ist das ein „gutes Danach“, nach einer bisher sehr gewaltvollen, traumatisierenden Biographie.

Verletzt bleiben wir, auch wenn gleichzeitig Heilung stattfindet- weil Heilung von komplexen Gewalttraumatisierungen unserer Ansicht nach keinen „Endzustand“ meint, sondern einen lebenslangen Prozess.

Unser „Danach“ bedeutet eben nicht „vorbei“, sondern eher „daneben, dazwischen, parallel“.

So geht es vielen anderen Betroffenen ebenfalls.

Und das sollte man heute und ganz generell nicht vergessen.

Koalition, Opposition, Dissoziation: Über Systempolitik

„Wenn wir innen einen Bundeskanzler hätten, könnte der auch mal einen Idioten einfach feuern.“, sagt jemand, während wir Nachrichten schauen.

„Ein*e Bundeskanzler*in wird demokratisch gewählt“, entgegnet eine Andere „Und von Demokratie kann man bei uns ja nicht so richtig sprechen.“

„Wovon denn sonst? Diktatur? Anarchie? Strukturiertes Chaos?“

„Ein um Demokratie bemühtes, ursprünglich hierarchisch strukturiertes System mit Minderheitsregierung…“

...

Wir beobachten das, was in der Welt außen passiert, wie „Politik“ oder „Staatsführung“ aussehen kann – und fragen uns, warum Menschen eine Dissoziative Identitätsstruktur eigentlich so häufig exotisieren. Außensysteme und Innensysteme sind doch im Grunde gar nicht so verschieden und müssen sich mit ähnlichen Fragestellungen beschäftigen- um Wege zu finden, (gut) miteinander leben zu können.

Menschen teilen sich einen Planeten, ein Land, eine Stadt, ein Dorf, eine Siedlung, ein Haus und müssen sich organisieren. Das ist die Basis. Daraus entstehen unterschiedliche „Organisationsformen“: Mal bestimmt nur Eine*r, wo es langgeht, mal teilen sich mehrere bestimmte Verantwortungsbereiche; wer wann wie viel Macht, Einfluss, Möglichkeiten hat, kann mit Kampf, Krieg, Erbschaft, Traditionen, Wissen, Kapital, Status, Grundlagen, usw. zu tun haben.

Es gibt marginalisierte Gruppen, Unrecht, Diskriminierung, transgenerationale Weitergabe, Gewalt, Neid, Missgunst, Manipulation, Taktik, u.a.

Und es gibt Solidarität, Hilfsbereitschaft, Freund*innenschaft, Rettung, Vermittlung, Verbindung, Widerspruch, Einsatzbereitschaft, Gemeinschaft.

Wichtig ist, zu schauen, wie man miteinander kommuniziert, wie von wem Entscheidungen getroffen werden, ob es eine gemeinsame Richtung gibt, ob Kompromisse gefunden werden, wie Konflikte ausgetragen werden.

Ergreifen welche für andere Partei? Sind welche bereit zur Fürsprache, zum Demonstrieren oder Streiken? Beharren andere auf ihrem Recht, oder stecken sie auch mal zurück? Sind (alle) Regeln und Gesetze in Stein gemeißelt oder beweglich?

Wird allen Mitgestaltung ermöglicht? Sind die, die über Privilegien verfügen, freiwillig bereit, etwas abzugeben, oder muss man sie zwingen? Braucht es Gesetze- und wenn ja, wer legt sie fest und wer verteidigt sie wie?

Was ist mit jenen, die Grenzen überschreiten? Sind manche Grenzen verrückbar und andere nicht? Werden die Gründe dafür gewürdigt und berücksichtigt?

Wohin mit Personen, die Schaden anrichten? Gibt es bei ihnen ein Bewusstsein zum „Gemeinwohl“? Wie werden Sanktionen festgelegt und umgesetzt? Wird ihre Wirksamkeit überprüft und reflektiert?

Und so weiter, und so fort.

Menschen teilen sich Lebensbereiche. Manche haben mehr Raum zur Verfügung, manche weniger. Manche haben sich ihren Ort ausgesucht, andere wurden dort hin geboren oder „platziert“.

Wenn verschiedene Persönlichkeiten einen Körper miteinander teilen (müssen), sind sie dort, weil sie zur Lebenserhaltung und Anpassung wichtig sind. Sie bilden ein System- und müssen sich zwangsläufig damit beschäftigen, wie sie sich (weiter) organisieren wollen. Sofern es darum gehen soll, am/im Leben zu bleiben und so etwas wie Selbstbestimmtheit spüren zu können. Wenn strukturelle Dissoziation mit all ihren Symptomen die Königin des Hauses bleibt, verhungern die Bewohner*innen langsam trotz gefüllter Speisekammer. Weil ihnen der Zugang verwehrt wird.

Das, was außen in der Welt passiert, kann ein Spiegelbild dessen sein, was im Innern abläuft – und umgekehrt. Systeme dissoziieren strukturell – indem sie „ausblenden“, was ist; indem sie (sich) spalten und in einer Erstarrung verharren. 

Rechte Strömungen breiten sich aus, radikale Personen bekommen (mehr) Macht, ganze Gruppen/Völker werden ausgelöscht, der Klimawandel schreitet voran – und es lähmt das Gefühl, dem nichts entgegensetzen zu können. „Es“ passiert (scheinbar) einfach. Es gibt jene, die Gewalt ausüben und/oder unterstützen (wählen), aus unterschiedlichen Gründen- und jene, die „dagegen sind“ und etwas anderes wollen. Belastung, Angst, Krise, Überforderung- und dann? Kampf oder Flucht? Oder Erstarrung und Unterwerfung? Sich dem „Schicksal“ fügen? Es findet kollektive Dissoziation statt.

Das, was in überfordernden, belastenden, beängstigenden Situationen hilft, ist, in Verbindung mit anderen zu gehen. Sich verbünden und solidarisieren, Mitgefühl spüren, sich helfen, (be-)schützen, stärken, beruhigen- wenn dies möglich (gemacht) wird, kann Erstarrung vermieden werden. 

Menschen bleiben (oder werden wieder) handlungsfähig, wenn sie sich mit anderen verbinden können.

Verbindung bedeutet Bewegung und Bewegung bedeutet „Ausweg(e) aus der Dissoziation“.

Es entsteht Assoziation- und aus der Monarchie kann eine Republik werden.

Eine bewegte, dynamische Gemeinschaft in Balance halten zu können, bedeutet für uns, dass es mehrere Verantwortungsträger*innen und Aufgabenverteilungen geben muss. Ein „Grundgesetz“, in dem basale Regeln des Zusammenlebens festgehalten werden, ist für uns unverzichtbar. All das nützt jedoch wenig, wenn eine insgesamt respektvolle (besser noch: liebevolle) Grundhaltung abhanden kommt. Ohne sie ist alles nichts.

Außenpolitik, Innenpolitik – so viele Systemfragen, die so logisch sind.

Wie spannend, mit all dem zu arbeiten, oder?

Für jetzt und morgen

So viel kann Dir gerade in Kopf und Herz herumspuken, was sich nicht gut sortieren lässt. So viel kann davon alt und traumageprägt sein. So Vieles kann auch immer wieder aktualisiert und aufgefrischt werden, wenn die Gewalt noch nicht aufgehört hat.

Vielleicht denkst Du, es lohnt sich eh nicht, Veränderung zu probieren. Weil es nicht hilft, weil niemand hilft, weil es schon immer so war und die Kraft für Neues nicht reicht.

Möglicherweise ist das Sprechen zu schwer und eine Bewegung zu anstrengend; wahrscheinlich ist die Angst sehr groß und die Hoffnung sehr klein (wenn überhaupt)…

Vielleicht zieht Dich so viel zurück; hin zu Orten, an denen Du etwas bekommst, was sich kaum ausdrücken lässt, sich aber so notwendig anfühlt, dass Du einen Preis dafür zahlst, der höher ist als der „Gewinn“.

Schulterzucken, wegdriften, anpassen, erstarren, resignieren, Gefühle anschalten- „Ist doch eh egal“?

Nein! Es ist eben NICHT egal, was mit Dir und Euch ist!

Es ist NICHT egal, wo Du bist, wohin Du gehst, was Du tust- und ob überhaupt.

Wie gut, dass es Dich und Euch gibt!

Bitte bleib(t) im Leben!

Zum zeitlichen Rahmen der Peer- und Angehörigenberatung

Wir bieten seit kurzem neben der Onlineberatung auch die Möglichkeit an, ein persönliches, analoges Gespräch in der Beratungsstelle zu führen. Ein weiterer Anschlusstermin ca. 2-3 Monate später ist ebenfalls möglich. Weitere Treffen oder einen längeren Beratungsprozess können wir leider nicht anbieten.

Auch in der Onlineberatung gibt es inzwischen einen klar definierten, begrenzten Zeitrahmen: Nach zwei Monaten Emailaustausch findet eine Kontaktpause von einem Monat statt. Danach können weitere zwei Monate genutzt werden und anschließend endet der Mailkontakt. Diese „5-Monats-Regel“ hat sich aus unseren Erfahrungen der letzten 3 Jahre Peer- und Angehörigenberatung entwickelt.

Viele Menschen, die mit uns schreiben, wünschen sich eine längerfristige Begleitung. Manche empfinden den genannten Zeitrahmen als stressig und beengend und möchten sich lieber nicht darauf einlassen, weil er nicht zu ihren Bedürfnissen passt. Manche merken im Verlauf unseres Kontaktes miteinander, dass das vorgegebene Beratungsende ihnen Schwierigkeiten macht, die Zeit gar nicht reicht, ein Abschied problematisch wird, o.a.

Manche erleben den Zeitrahmen auch als hilfreich, um einen Fokus auf ein bestimmtes Thema zu halten. Sie nutzen unseren Kontakt für sich aktiv, bewusst- zum Teil auch mit dem Gedanken: „5 Monate sind besser als nichts.“

Für uns ist die zeitliche Begrenzung zum Einen wichtig, weil unsere Kapazitäten eben so aussehen, wie sie aussehen: Unsere Stundenzahl in der Peer- und Angehörigenberatung ist relativ gering. Zudem sind wir „alleine“, das heißt, wir haben keine Kolleg*innen, mit denen wir uns die Beantwortung der Mails teilen könnten.

Zum Anderen liegt uns ein „fokussiertes“, „anliegen- oder lösungsorientiertes“ Arbeiten mehr, als ein längerfristiges, „prozessorientiertes“ mit einem „offenen Ende“.

Das neue analoge Angebot ist dafür gedacht, die Möglichkeit einer persönlichen Begegnung zu eröffnen- bei der man sowohl denken könnte: „Was will man denn bitte in einem einzigen Gespräch erreichen?“, als auch „Ein einziges Treffen kann schon etwas bewegen.“ Wir haben nicht den Anspruch, in diesem Austausch etwas zu „schaffen“. Uns geht es viel mehr darum, einen Raum zu öffnen für eine bestimmte Frage oder ein bestimmtes Thema, das man miteinander so anschaut, wie es die Umstände zulassen- und zwar in einer direkten Begegnung, die sich anders anfühlen kann, als ein Kontakt per Email.

Wir haben selbst Erfahrungen damit gemacht, dass einzelne Begegnungen mit Menschen (egal, ob ebenfalls betroffen oder nicht) etwas in uns anrühren können: Ein Wiedererkennen, ein Fühlen, Wahrnehmen, sich gesehen fühlen; etwas Tröstliches, etwas Konfrontatives, etwas Relativierendes, Sortierendes, Inspirierendes, o.a.

Zufallsbegegnungen, nebenbei, kurzzeitig- und trotzdem haben sie in uns Spuren hinterlassen.

Weil wir das so erlebt haben, bzw. immer wieder auch erleben, war und ist es uns wichtig, auszuprobieren, was geschieht, wenn wir einen analogen Raum öffnen.

Begrenzte Zeit ist eben auch Zeit.

NEU: Peer- und Angehörigengespräche vor Ort

Wir freuen uns, dass wir in Zukunft die Möglichkeit anbieten können, ergänzend zur Emailberatung einmalige analoge Peer- oder Angehörigengespräche in der Beratungsstelle „Frauen helfen Frauen Stormarn e.V.“ in Bad Oldesloe zu führen.

In diesem Treffen soll es darum gehen, eine bestimmte Frage oder ein konkretes Thema/Anliegen, das Ihr mitbringt, lösungs- und ressourcenorientiert im direkten, persönlichen Kontakt miteinander zu besprechen.

Ein weiterer Termin für Rückmeldungen oder zur Klärung einer ergänzenden Frage kann bei Bedarf/Wunsch zwei bis drei Monate später in Anspruch genommen werden.

Weiterführende Peer- und Angehörigenberatungsprozesse können in diesem Kontext leider nicht angeboten werden.

Es ist okay, wenn Ihr eine Begleitperson mitbringen möchtet. Bitte teilt uns das vorher mit.

Es ist wichtig, dass Ihr ausreichend stabil für ein persönliches Gespräch seid und Euch selbst durch individuelle Hilfsmittel regulieren könnt. Vor Ort gibt es während unseres Treffens und im Anschluss keine beraterische oder therapeutische Unterstützung.

Zur Terminabsprache und Klärung Eures Anliegens nehmt bitte per Email Kontakt zu uns auf:

peer – beratung @ fhf – stormarn . de (ohne Leerzeichen)

Viele freundliche Grüße,

Paula Rabe